Grundeinkommen auch für Häftlinge?

Eine Leserin unseres Blogs hat diese Frage vor einiger Zeit an uns herangetragen, zu der ich gerne Stellung beziehe. Auf den ersten Blick, die Grundeinkommensdiskussion vor Augen, scheint die Antwort eindeutig. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen allen Staatsbürgern und Personen mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung bzw. nach einer Mindestaufenthaltszeit gewährt werden soll, weshalb sollten Häftlinge – genauer: Strafgefangene – davon ausgenommen sein, sofern sie die genannten Voraussetzungen erfüllen?

Bei genauerer Betrachtung aber müssen wir uns vor Augen führen, was es bedeutet, wenn jemand eine Haftstrafe verbüßt (Strafgefangene oder auch Sicherungsverwahrte). Strafgefangener unter Bedingungen eines Rechtsstaats wird jemand, weil er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, das ist zuerst einmal trivial. Er hat mit seiner Tat die Rechtsordnung verletzt, die die Rechtsgemeinschaft sich gegeben hat. Nach geltendem Recht wird er verurteilt. Das richterliche Urteil vollzieht eine Wiederherstellung dieser Rechtsordnung, die durch die Tat verletzt wurde. Wichtig ist hierbei, welche Bedeutung dabei der Strafe zukommt. Schon der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat darauf hingewiesen (siehe G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosphie des Rechts § 99), dass die Bestrafung des Täters nicht bloß seine Unterwerfung unter das Recht vollzieht, sondern zugleich ihn als Täter, als mündige Person, anerkennt. Strafe und Anerkennung gehören also zusammen.

Was folgt hieraus nun für die zur Diskussion stehende Frage? Zumindest für den Fall, dass eine Haftstrafe durch Inhaftierung verbüßt wird, wäre die Bereitstellung des bGEs auszusetzen. Der Zweck des bGEs, die Entscheidungsautonomie zu stärken und Freiräume zu erhöhen, wäre durch die Inhaftierung als Folge der Staftat aufgehoben. Bei Strafen, die auf Bewährung ausgesetzt werden, sähe die Lage wohl anders aus, da der Täter in sein Lebensumfeld zurückkehren kann. Würde das bGE hier ausgesetzt, würde eine Erwerbsverpflichtung eingeführt. Der Verurteilte müsste sich dann in einem Wettbewerb behaupten, indem er nicht dieselbe Verhandlungsposition hätte wie andere, der Zweck des bGEs würde dadurch unterlaufen.

Nachtrag: In einer Zuschrift wurde darauf hingewiesen, dass das bGE sehr wohl ausgezahlt werden könnte und bei Straftgefangenen auf die entstehenden Kosten angerechnet werden sollte. In der Tat wäre das ebenso denkbar, hätte aber eine andere Bedeutung. Das bGE weiterzuzahlen und anzurechnen würde die Inhaftierung Kosten bilanzierend behandeln. Die Verletzung der Rechtsordnung ist aber eine Verletzung der Rechtsgemeinschaft als politischer Gemeinschaft, die eine Voraussetzung dafür ist, dass es überhaupt ein bGE geben kann. Das bGE für die Zeit der Inhaftierung auszusetzen, würde also auch zum Ausdruck bringen, dass eine Straftat eine Verletzung der Gemeinschaft darstellt.

Sascha Liebermann

Armut – wovon reden wir und was würde ein bedingungsloses Grundeinkommen ändern?

Über Armut, ihre Beseitigung und ihre Verhinderung wird viel diskutiert, auch unter Grundeinkommensbefürwortern. Doch die Gründe für Armut sind sehr unterschiedlich, selbst für eine vermeintlich einfache Form der Armut, der Einkommensarmut, können schwierige Lebenslagen der Grund sein. Eine Statistik erfasst diese Gründe allenfalls sehr grob, erlaubt vor allem keine Erklärungen, sie stellt nur fest.

Wenn also Traumatisierungen des konkreten Lebens hinter einigen, wenn nicht sogar vielen Formen von Armut stehen, dann stellt sich um so mehr die Frage, wie es möglich ist, Armut zu vermeiden und Selbstheilungskräfte des traumatisierten Lebens zu stärken, statt sie durch Bevormundung zu schwächen. An diesem Punkt wird es heikel, es geht ums Ganze von Selbstbestimmung und Freiheit. Schauen wir, um einen Eindruck über die öffentliche Armutsdiskussion zu erhalten, in den Dritten Armuts-und Reichtumgsbericht der Bundesregierung aus dem Jahre 2008, so ist er geprägt von einer Strategie, die man als Armutsvermeidung von oben bezeichnen könnte. Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens hat hierin einen geringen, Aktivierung und damit Fremdbestimmung einen hohen Stellenwert, wie an folgender Passage zu erkennen ist:

Kern sozial gerechter Politik ist es, ökonomische und soziale Teilhabe- und Verwirklichungschancen für alle Mitglieder in der Gesellschaft zu ermöglichen. Politik, die dazu beitragen will, Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern, kann sich daher nicht in der Sicherung materieller Grundbedürfnisse erschöpfen. Dauerhafte Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge führt zur Verfestigung von Armut – teilweise über Generationen hinweg – und muss vermieden werden. (S. I)

Im Klartext heißt das: die Abhängigkeit von Transferleistungen muss beendet werden und der einzige Weg dazu ist bislang die Rückführung eines Leistungsbeziehers in Erwerbsarbeit. Dass nicht die Daueralimentierung als solche, wie es bei einem bGE der Fall wäre, der Grund für diese „Verfestigung“ ist, sondern dass es sich hierbei um ein Missverhältnis von Zielen der Transferleistungen und der Problemlage der Bezieher handelt, wird nicht erwogen. In der Studie werden die meisten Einschätzungen zu Gründen für Armut ins Verhältnis zu Einkommensmangel gesetzt. Folglich – und ganz konsequent – müssen die Chancen auf Einkommenserzielung durch Erwerb erhöht werden. Bildung steht ganz in ihrem Dienst. Alle gegenwärtigen Maßnahmen im Sozialgesetzbuch, die für Transferleistungsempfänger Anwendung finden, werden genau damit gerechtfertigt. Das Streben nach Aktivierung bedeutet immer auch die Bereitstellung von Sanktionsmitteln für diejenigen, die sich nicht aktivieren lassen wollen. (Im Beschluss zum Europäischen Jahr gegen soziale Ausgrenzung und Armut, Arikel 2 ff., klingt das nicht besser.)

Diese Armutspolitik setzt ein bestimmtes Lebensideal voraus, das nicht in Frage gestellt wird. Wer ihm nicht entspricht, gilt als gescheitert. Damit eröffnet diese Sozialpolitik in Form der Leistungen des SGB XII gerade für diejenigen keine Perspektive, deren Problemlagen nicht aus einer Einkommenslosigkeit resultieren, sondern deren Einkommenslosigkeit schon Ausdruck lebensgeschichtlicher Traumatisierungen ist. Artikel 1 besagt: Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Leistung soll sie so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; darauf haben auch die Leistungsberechtigten nach ihren Kräften hinzuarbeiten. Zur Erreichung dieser Ziele haben die Leistungsberechtigten und die Träger der Sozialhilfe im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten zusammenzuwirken.

Wer aber von einer solchen Leistung gerade abhängig ist, muss sich dennoch vor dem kollektiv errichteten Erwerbsideal verantworten. Jegliche Sozialarbeit, die in diesem Zusammenhang erfolgt, muss sich ebenfalls vor diesem Ideal verantworten. Bis in Fördermassnahmen für Menschen mit Behinderung reicht dies hinein.

Was würde ein bGE hinsichtlich dieser Fragen ändern?

Die Antwort ist einfach. Wo es sich bei Armutsphänomenen um bloßen Einkommensmangel handelt, würde das bGE ihn beheben, sofern es ausreichend hoch ist. Initiative würde so gestärkt. Wo hingegen Traumatisierungen und vorübergehende Lebenskrisen Grund der Einkommensarmut sind, würde das bGE ausdrücklich dazu ermutigen, sich diesen Krisen zu stellen und Hilfe aufzusuchen, wenn der Einzelne sie will. Da das bGE kein Lebensziel mehr vorschreibt, müsste sich der Einzelne auch nicht mehr an einem bestimmten Ziel messen lassen. Durch die Ermöglichung von Selbstbestimmung macht das bGE mit Freiheit ernst, einer Freiheit, die auch es auch erlaubt, jegliches Hilfsangebot abzulehnen.

An einer so weit reichenden Freiheit scheiden sich die Geister. Die einen meinen, sogenannte bildungsferne Milieus dürfe man nicht sich selbst überlassen. Die Helfer wissen, was für diejenigen gut ist, denen zwangsgeholfen werden soll, kurzum: sie befürworten eine Helferdiktatur. Diese wird natürlich gerne mit aufklärerisch klingenen Schlagworten gepriesen wie „Verantwortung für andere“ oder „Fürsorge“.Eine solche Hilfe stünde der durch ein bGE gewonnenen Freiheit nicht nur entgegen, es verschärfte die Probleme derer, denen zwangsgeholfen werden soll, denn diese Hilfe verstärkt ihre Abhängigkeit. Statt die Selbstheilungskräfte durch das Eröffnen von Freiräumen zu fördern, würden sie durch Bevormundung geschwächt.

All zu leicht wird von den Helferdiktatoren übersehen, wie sehr schon heute Interventionen im Namen des Kindeswohls eine Gratwanderung darstellen. Wahrhaben wollen sie nicht, wie wenig sie diejenigen erreichen, die sich schon heute nicht helfen lassen wollen. Wer heute daran leidet in seinem Leiden nicht anerkannt zu werden, der würde durch ein bGE genau diese Anerkennung erfahren. Anerkennung ist als solche schon Ermutigung. Sozialarbeit stünde auf einem anderen Fundament, wenn Einkommensversorgung (durch das bGE) und Hilfsangebote, voneinander eindeutig getrennt würden. Kinder- und Jugendhilfe hätte ebenfalls eine andere Basis, nicht nur weil Jugendliche, die fremduntergebracht würden, ein BGE mitbrächten. Sie stünden ebenfalls nicht mehr unter dem Druck, auf Teufel komm raus, einen Platz im Arbeitsmarkt zu erringen.

Vielfältige Auswirkungen sind denkbar und zugleich weist das BGE dem Helfen eine Grenze: die des Individuums.

Sascha Liebermann