Bedingungsloses Grundeinkommen und bedarfsgeprüfte Leistungen – ein Ausschlussverhältnis?

Mir scheint hier ein Missverständnis vorzuliegen, ohne dass der Verfasser der Beiträge angibt, worauf er sich hier bezieht. In der fachlichen wie akademischen Diskussion gibt es durchaus Positionen, die mit Hilfe eines BGEs alle bedarfsgeprüften Leistungen ersetzen wollen oder eine solche Ersetzung für ideal halten, so seit eh und je Thomas Straubhaar. Es gibt aber ebenso andere Positionen, für die ein BGE einen ganz anderen Status hat als ihn bedarfsgeprüfte Leistungen haben und deswegen beide unabhängig voneinander betrachtet werden müssen. So liegt es zwar nahe, dass ein BGE in der Höhe des dann bereitgestellten Betrages z. B. Regelleistungen in der Grundsicherung ersetzen könnte und eventuell auch andere, doch hängt das eben von der Betragshöhe ab und betrifft nur die Pauschalierung. Bedarfsgeprüfte Leistungen über den Pauschalbetrag soll es diesen Positionen gemäß weiterhin geben. Dass sich die Situation für Alleinstehende dann ganz anders darstellt als für Familien in einem Haushalt ist eine Auswirkung eines BGE, das pro Person gewährleistet wird. So könnte es – wieder je nach Betragshöhe – sein, dass eine vierköpfige Familie mit den BGE-Pauschalbeträgen ihre Bedarfe decken kann, eine alleinstehende Person aber nicht. Zu behaupten, ein BGE würde alle bedarfsgeprüften Leistungen ersetzen, übergeht diese Unterscheidungen in der Debatte, die teils auch bewusst unterlaufen wurden in früheren Beiträgen z. B. von Christoph Butterwegge und anderen, denen es allerdings auch nicht um eine differenzierte Diskussion ging, sondern um eine grundsätzliche Ablehnung.

Dass es bei dem Pilotprojekt nicht um ein BGE im strengen Sinne ging, ist leicht zu erkennen, wenn man sich z. B. an den BGE-Kriterien des Basic Income Earth Networks oder des Netzwerk Grundeinkommen orientiert.

Siehe „Über Bedarfe und Bedürftigkeit„.

Siehe „Bedingungsloses Grundeinkommen und bedarfsgeprüfte Leistungen: entwirrt„.

Sascha Liebermann

„Wie kriegen wir Christian Lindner und Karl Marx in eine Linie?“ – Also doch keine bedarfsgeprüften Leistungen mehr?

Diese Frage wirft ein Interview Thomas Straubhaars mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland auf, in dem er folgendes sagte:

„[RND] Und alle Sozialleistungen werden durch das Grundeinkommen ersetzt? Rente, Kindergeld, Arbeitslosengeld…

[Straubhaar] Im Prinzip ja, mit einer Ausnahme: Für das Krankheits- und Pflegerisiko werden wir weiter eine Versicherung brauchen. Der Mindesttarif muss beim Existenzminimum berücksichtigt werden.“
Es gäbe also keine bedarfsgeprüften Leistungen mehr und diejenigen, die von ihnen abhängig wären, um selbstbestimmt leben zu können, stünden ohne da? Wenn Straubhaar das ernst meinte, wäre es keine Weiterentwicklung seines ersten Buches, sondern eher ein Rückfall auf seine frühere Argumentation.
Sein Verweis auf das Kindergeld als Vorläufer eines BGE ist halbgar, denn zum einen wird von Kindern keine Erwerbsbereitschaft erwartet, deswegen treffen sie auch die Bedingungen nicht, die für Erwachsene hingegen gelten sollen. Zum anderen ist es nicht ganz richtig, was Straubhaar sagt, denn das Kindergeld in Verbindung mit dem Kinderfreibetrag wird ins Verhältnis zum Einkommen gesetzt. Der höhere Freibetrag greift erst bei entsprechendem Einkommen. Das Kindergeld ist altersgebunden. Mit einem BGE hat das also wenig zu tun. Erst wenn der Freibetrag zur Ausschüttung umdeklariert wird, dann nimmt er die Form eines BGE an. In einem anderen Interview unterscheidet Straubhaar auch Kindergeld und BGE.
Sascha Liebermann