…ein Artikel des kanadischen Sozialwissenschaftlers David Calnitsky.
Kategorie: Evelyn L. Forget
Grundeinkommensdiskussion in Kanada – Was ist der Stand der Dinge?
Kate McFarland schrieb dazu Anfang September für die Basic Income News unter anderem:
„The pilot is designed to test a guaranteed minimum income, in which participants’ total incomes are topped up to above the poverty line. This income subsidy will supplement any support received from existing anti-poverty programs, which will not be eliminated or replaced during the pilot.
Thus, although it is often referred to by the term ‘basic income’, the policy to be tested in Ontario should be distinguished from the commonly discussed “demogrant” model of basic income, wherein all individuals receive a regular payment of the same amount, regardless of other earnings or total income. Ontario will be investigating a program that supplements the earnings of individuals whose incomes are below a certain level (e.g. the poverty line). In this respect, the pilot is similar to Manitoba’s well-known “Mincome” experiment of the late 1970s.“
Mitte September erschien ein Bericht mit dem Titel „Pilot Lessons
How to design a basic income pilot project for Ontario“, der Empfehlungen macht, wie ein Experiment angelegt sein sollte. Eine der Autoren ist Evelyn L. Forget, die vor wenigen Jahren Auswertungen der Daten des Mincome Experiments aus den 70er Jahren in Manitoba veröffentlicht und dabei mit manchem Vorurteil aufgeräumt hatte (siehe „The Town with no Poverty“).
Sascha Liebermann
„Da würden sich Frauen eher von ihren Männern trennen“…
…diese überraschende und sonderbare Behauptung, im Brustton der Überzeugung vorgetragen, hört man immer wieder einmal in der Grundeinkommensdiskussion – von Befürwortern. Berufen wird sich dabei auf Ergebnisse aus den Grundeinkommensexperimenten in den 1970er Jahren in den USA und Kanada. Allerdings sind diese Ergebnisse selbst Gegenstand einer längeren Kontroverse, die Befunde sind strittig, die Daten komplexer und ungenügend ausgewertet. Davon abgesehen handelt es sich um standardisierte Daten, aus denen nur Wahrscheinlichkeitszusammenhänge zu schließen sind, aber keine Wirkungszusammenhänge.
Der amerikanische Philosoph und Ökonom Karl Widerquist wies schon vor Jahren in einem Artikel darauf hin, dass die Ergebnisse der Negative Income Tax-Experiments viel komplexer seien, als einfache Schlussfolgerungen nahelegen. Umstritten sei, was aus den Daten abgeleitet werden können, wie z. B. der angebliche Befund, dass unter den teilnehmenden Familien im NIT-Experiment die Scheidungsrate stieg. Noch deutlicher als Widerquist hat sich die kanadische Ökonomin Evelyn L. Forget in ihrem umfangreichen Beitrag „Town with no Poverty„, der sich mit dem Mincome-Experiment in Dauphin (Kanada) befasst, geäußert. Zum hier interessierenden Zusammenhang schreibg sie darin:
„The oddest outcome claimed by US researchers was that marital stability was undermined in jurisdictions that experimented with a GAI [Guaranteed Anual Income, SL] (Hannan, Tuma and Groeneveld 1977). The argument, which held great sway in US political debate, was that poor women, given a real choice by the existence of a GAI, would be less inclined to stay in unsatisfactory marriages. That finding was suspect from the outset and convincingly challenged by Cain and Wissoker who argued that statistical errors destroyed the credibility of the finding (Cain and Wissoker 1990). Nevertheless, we examined our data to see if family dissolution rates might be affected. We found no evidence of increased family dissolution rates among the Dauphin subjects [Hervorhebungen SL].“ (S. 21)
In aller Klarheit stellt Evelyn L. Forget heraus, das die Befunde, das GAI habe zu einer erhöhten Trennungsrate bei Paaren geführt, von Anfang an zweifelhaft waren. Früh schon wurde auf statistische Fehler hingewiesen, die gemacht wurden. In den Daten des Mincome-Projects, die dennoch auf diese Frage überprüft wurden, konnte auch keine erhöhte Trennungsrate festgestellt werden. Da beide Artikel seit Jahren online verfügbar sind, muss man sich fragen, weshalb sich die Behauptung, Frauen würden sich schneller trennen, in der Diskussion so vehement hält. Ist da womöglich der Wunsch, dass es so sein könnte, Grund für diese These, oder soll aus ideologischen Gründen mit der „bürgerlichen Ehe“ abgerechnet werden?
Wer sich mit Paarbildungsprozessen und Paarbeziehungsdynamiken beschäftigt und (familien-)soziologische wie andere Forschung dazu heranzieht, wird ebenfalls die behaupteten Ergebnisse wie die in der Grundeinkommensdiskussion kursierende These für zweifelhaft gehalten haben. Man stößt dann sehr schnell darauf, dass es in Paarbeziehungen im geringsten um Geld oder Einkommen geht. Paarbeziehungen entstehen heutzutage nicht aus Einkommensmotiven heraus und können sich als authentische Beziehungen durch sie auch nicht aufrechterhalten. Wo Einkommen Grund für solche Beziehungen war oder geworden ist, sind sie unauthentisch, unlebendig, im Grunde schon zu Beginn am Ende (Eheverträge sind dafür ein schönes Beispiel). Trennungen sind deswegen so schwierig und aufwühlend bis sie einmal vollzogen sind, weil der Schritt zur Trennung bedeutet anzuerkennen, dass die Beziehung, der mit ihr verbundene Lebensentwurf, gescheitert ist. Das heißt, es muss anerkannt werden, dass man sich getäuscht hat, der andere war nicht oder ist nicht mehr derjenige, mit dem man das Leben teilen will. Genau dies aber, das Leben miteinander zu teilen, sich aufeinander einzulassen und dies ohne eine im Vorhinein ausgesprochene Frist zu tun, sich also ins Offene unendlich auf den anderen einzulassen, zeichnet eine Paarbeziehung autonomer Erwachsener gerade aus. Diese Eigendynamik ist nicht von der Ehe als Institution abhängig, wird von ihr jedoch bekräftigt und erhielt einst ihren religiösen Ausdruck in der katholischen Formel „bis das der Tod uns scheidet“. In säkularisierter Form entspricht dies dem Unendlichkeitsversprechen, das der Eröffnung jeder Paarbeziehung zugrunde liegt.
Wenn Paare sich nicht trennen, obwohl eine authentische Beziehung nicht mehr möglich ist, kann das verschiedene vor allem psychodynamische Gründe haben. Es alleine nicht aushalten zu können, immer jemanden an der Seite haben zu müssen, den anderen deswegen „zu brauchen“ – bis hin zu neurotisch angelegten gegenseitigen Erniedrigungen für die ein Paar einander „braucht“. Dass es keine gute Idee ist, gemeinsamer Kinder wegen zusammenzubleiben, ist mittlerweile bekannt, weil den Kindern sich dann das Unauthentische der Beziehung mitteilt, sie die Erfahrung machen, dass das Unauthentische offenbar es wert ist, aufrechterhalten zu werden.
Woher kommt dann die Vorstellung, mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen würde die Trennungsrate zunehmen? Zu dieser Schlussfolgerung kann nur gelangen, wer annimmmt, dass Paarbeziehungen aus Einkommensgründen aufrechterhalten werden. Ich will nicht sagen, dass dies nicht vorkommt, es ist allerdings schon Ausdruck einer gescheiterten und unauthentischen Beziehung, wo dieser der Fall ist. Man müsste sogar so weit gehen zu sagen, dass gerade in einem solchen Fall selbst ein BGE eine Trennung nicht befördern würde, wenn der- oder diejenige schon vorher bereit war, des Einkommens wegen den anderen weiter auszuhalten. Dass sich Paare einseitig auch in Absehung von der Einkommenslage trennen, selbst wenn Kinder da sind, die es für den alleinerziehenden Elternteil dann enorm schwer machen, das Einkommen aufzubringen, das für das Auskommen benötigt wird, belegt das reale Leben. Wer meint, von einem solchen Schritt lassen sich Frauen oder Männer ernsthaft abhalten, weil ihnen das vermeintlich sichere Einkommen wichtiger ist als mit sich im Reinen zu leben, hat sich damit vom BGE im Grunde schon entfernt. Denn er müsste dann auch annehmen, dass sich Menschen des Einkommens wegen alles Mögliche gefallen lassen, davor könnte sie ein BGE dann auch nicht retten.
Sascha Liebermann