„Geld für alle. Ein Dorf testet das bedingungslose Grundeinkommen“ – interessantes Interview in der FAZ

Dieses Interview mit einer Ethnologin über das Grundeinkommensprojekt in Namibia im Hochschulanzeiger der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sticht aus der Berichterstattung über das Bedingungslose Grundeinkomen heraus, weil es den Blick für Fragen öffnet, die oft vernachlässigt werden: die kulturellen Voraussetzungen nämlich, die darüber entscheiden, wie ein BGE womöglich genutzt werden würde. In Deutschland wird das Projekt in Namibia häufig als Beleg dafür angeführt, was ein BGE bewirken könne. Doch der Forschungsbericht – im Unterschied zu diesem Interview – über das Projekt geht auf kulturelle Eigenheiten und Voraussetzungen, so weit ich sehen kann, gar nicht ein (siehe auch diesen Vortrag von Claudia & Dirk Haarmann über das BIG-Projekt in Namibia). Genau deren Bedeutung sollte jedoch nicht übersehen werden, denn, was sich in Namibia vollzogen hat, ist nicht einfach auf ein anderes Land übertragbar, dessen kulturelle Voraussetungen andere sind. Und selbst dort, wo die Resultate ähnlich scheinen, können die Wirkzusammenhänge andere sein.

Ausgewählte Stellen seien hier kommentiert:

…(FAZ) Sie haben untersucht, wie das Geld das Leben der Dorfbevölkerung verändert hat. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Man muss wissen, dass in Otjivero zu rund 80 Prozent Damara leben, eine Volksgruppe, die zu den Khoisan-Völkern gehört. Bei den Khoisan herrscht eine ausgeprägte Kultur des Schenkens und des Einforderns. Wer etwas übrig hat, egal ob Essen, Wasser, Geld oder Zeit, gibt anderen etwas ab. Und wer etwas braucht, eine Tasse Maismehl, ein Stück Seife oder jemanden, der auf die Kinder aufpasst, fragt bei Angehörigen und Nachbarn. Wir Deutschen definieren uns ja eher über das, was wir haben: Wenn Sie mit 40 immer noch in einer Studentenbude wohnen, fragt die Familie, wie es weitergehen soll. Das würden die Khoisan nie tun. Sie definieren sich darüber, was sie anderen geben. Wer nie etwas abgibt, dessen Status sinkt, und irgendwann wird er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen…

Folgt man den Ausführungen, dann fällt eines gleich auf. Schenken und Einfordern, wie es hier geschildert wird, bedeuten nicht, dass bedingungslos gegeben wird. Es herrscht ein hoher Grad der Verpflichtung zu geben, das Geben kann also wiederum eingefordert werden. Das könnte Ausdruck eines hohen Maßes an sozialer Kontrolle sein, damit womöglich einer traditionalen Gemeinschaftsvorstellung. Dazu, sofern das zutrifft, gehört auch eine Sicht auf das Individuum, in der das Kollektiv Vorrang hat, während für die moderne Demokratie ein gleichgewichtiges Verhältnis von Individuum und Kollektiv konstitutiv ist. Nicht ganz ohne Vorurteile ist die Bemerkung über die „Studentenbude“. In unserer Kultur mit einer ausgesprochen starken Vorstellung vom Individuum und großen Anforderungen an Autonomie muss bei der Deutung der „Studentenbude“ der normative Hintergrund bedacht werden. Das Studium ist ein Moratorium, also ein Schutz- und Schonraum, der gerade begünstigen soll, sich müßig mit einer Sache – dem Gegenstand eines Studiums – auseinanderzusetzen. Das Einüben einer Forschungshaltung ist hierbei Zweck. Diesen Schonraum zeichnet dabei auch aus, noch nicht die volle Verantwortung und nicht die vollen Verpflichtungen eines Erwachsenen übernehmen zu müssen. Das Verlassen der „Studentenbude“ – sieht man einmal von Klischees, die damit verbunden werden, ab – ist also auch Ausdruck dafür, sich aller Verantwortung und allen Verpflichtungen des Erwachsenenlebens zu stellen, den je eigenen Weg zu finden, ihnen gerecht zu werden. Es geht dabei auch um eine Ablösung aus der Herkunftsfamilie, auch der Alimentierung durch sie und der Hinwendung zum Gemeinwesen als umgreifender Gemeinschaft. Ich würde auch die Einschätzung nicht teilen, dass es in unserer Kultur vorwiegend um das Haben geht, denn allerhand Schenkrituale wie Geburtstage, Weihnachten und andere Anlässe zeigen die große Bedeutung des Gebens, das noch viele andere Formen kennt, ganz wesentlich die der Familie. Denn in ihr widmen sich die Eltern bedingungslos ihren Kindern. Verantwortung und Verpflichtung haben in unserer Kultur also nur eine bestimmte Form und einen bestimmten Inhalt. Das Haben von etwas wird dort herausgestellt, wo es ein Fehlen von etwas anderem kompensiert – z.B. das Fehlen von Sinn im Beruf oder gar im Leben. Unsere Kultur in Gestalt politischer Gemeinschaft kennt auch keine Ausschluss, zumindest nicht von der Seite, Staatsbürger zu sein. Und Einschränkungen der Bürgerrechte sind – darüber wird im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II diskutiert – sind kein Ausschluss im strengen Sinn. Das ist offenbar bei den Khoisan anders, ausgeschlossen wird, wer die Pflichten verletzt. Manches am Vergleich mit der „Studentenbude“ ist also schief oder gar unzutreffend.

…Auch die Kriminalitätsrate sank: Auf den umliegenden Farmen wurde kaum noch gewildert. Frauen, die vorher gelegentlich genäht hatten, kurbelten ihr Geschäft an. Sie reisten nach Windhoek, um auch dort ihre Kleider zu verkaufen. Zudem konnten die Menschen ihr Ansehen in der Gemeinschaft steigern. Otjivero ist ein extrem armer Ort – es gibt kaum Vieh und so gut wie keine Arbeit. Viele sind auf die Unterstützung von Familienmitgliedern aus anderen Dörfern angewiesen. Nun konnten sie etwas zurückgeben: etwa Geld schicken oder Kinder aus der Verwandtschaft aufnehmen…

Hier wird deutlich, wie sehr das Schenken status- bzw. reputationsfördernd ist und so gleichmaßen ein Überbietungswettbewerb in Gang kommen kann. Auch sollte nicht vergessen werden, dass der heutige Sozialstaat ein ungleich abstrakteres Solidarband darstellt, als es in kleinen überschaubaren Gemeinschaften der Fall ist. Unsere Systeme sozialer Sicherung sind Ausdruck dessen, dass bestimmte Aufgaben an das Gemeinwesen übertragen werden, was eben zugleich eine Befreiung von familialen Abhängigkeiten mit sich bringt bzw. bringen soll.

…Ich finde, auch die Menschen sollte man einfach mal machen lassen und ihnen nur die Unterstützung anbieten, die sie selbst haben wollen…

Sehr interessant, wenn auch trivial. Doch genau dies ist ein heikler Punkt auch in der Grundeinkommensdiskussion. Dort finden sich ebenso Positionen und Argumente, die mindestens den Eindruck erwecken, es sei nicht Sache derer allein, die Hilfe benötigen, sie auch zu rufen (siehe frühere Kommentare dazu hier und hier). Von Hilfe zu Bevormundung ist es nur ein kleiner Schritt.

…Mehr Zeit für den Einzelnen und mehr Jobs für alle – klingt nicht übel …
Ja, aber das Grundeinkommen muss ja irgendwoher kommen. Götz Werner, der Gründer der Drogeriemarktkette dm und prominenter Befürworter der Idee, plädiert für ein Grundeinkommen von 1.000 Euro. Das würde uns jährlich über 900 Milliarden kosten. 900 Milliarden! Das halte ich nicht für realistisch. Namibia dagegen könnte sich aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte und der Einnahmen aus dem Verkauf von Diamanten und Uran ein Grundeinkommen für alle leisten. Ich fände es gut, wenn sie es dort mal fünf Jahre lang ausprobieren würden. Dann würde man sehen: Führt die Umverteilung tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit und weniger Armut? Oder ist es volkswirtschaftlich gesehen nichts weiter als eine schöne Idee?…

Angesichts der zahlreichen, doch sehr klaren Argumente zur Finanzierung wäre hier Zurückhaltung angebracht gewesen. Nur weil Frau Klocke-Daffa es nicht „realistisch“ erscheint, kann es dennoch realistisch sein. Alleine, wenn sie das Bruttoinlandsprodukt oder Volkseinkommen Deutschlands ins Verhältnis zu den 900 Milliarden gesetzt hätte, hätte ihr auffallen müssen, dass es nicht unrealistisch ist. Dass es beim BGE vor allem um die Frage geht, welcher Teil der Wertschöpfung soll in öffentliche Hand gelangen (z.B. zur Finanzierung des BGE) und welcher soll in privater verfügbar sein? Ein etwas sonderbares Verständnis von Selbstbestimmung zeigt sich in den abschließenden Fragen. Denn, ob die Bürger Namibias es für gerecht halten, ist ihre Angelegenheit. Wir können allenfalls wissenschaftlich etwas zur Einkommensverteilung feststellen, nicht aber, was die Namibianer davon zu halten haben. Womöglich bietet dieser Artikel von Frau Klocke-Daffa weitere Denkanstöße.

Sascha Liebermann