Grundeinkommen in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“

In der 22. Sitzung der Enquete-Kommission (Video und weiteres Material), am 15. Oktober 2012, kam das Bedingungslose Grundeinkommen zur Sprache. Susanne Wiest kommentiert die Sitzung in ihrem Blog und macht dort zudem das Sitzungsprotokoll verfügbar. Auffällig ist an der gesamten Sitzung, welch geringen bis keinen Stellenwert eine bürgerschaftliche Deutung von Gemeinwesen hat, also eine, die das Bedingungslose Grundeinkommen aus diesem Zusammenhang begreift. Siehe auch Sascha Liebermann, „Das Menschenbild des Grundeinkommens – Wunschvorstellung oder Wirklichkeit?“

„Die Schattenseiten des Grundeinkommens“ – Wie ‚Aufklärer‘ den mündigen Bürger erledigen

Ein Leser unsers Blogs hat uns auf einen Beitrag zum Grundeinkommen bei Spiegelfechter, Jens Berger, hingewiesen, der schon etwas länger zurückliegt, und uns um eine Einschätzung gebeten. Der Beitrag ist eine Replik auf einen Gastkommentar von Frank Thomas auf derselben Website mit dem Titel „Schafft die Arbeitlosenversicherung ab. Da Jens Berger auch für die Nachdenkseiten schreibt, sei auch auf unseren jüngsten Kommentar zu Einlassungen Albrecht Müllers zum Grundeinkommen hingewiesen.

Schon der Beginn des Beitrags von „Die Schattenseiten des Grundeinkommens“ lässt deutlich werden, wohin die Reise führen soll. (Der Text wird so zitiert, wie unser Browser ihn angezeigt hat).

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut ? leider ist dem allerdings meist nicht so. Ideologien zeichnen sich meist durch ein positives Menschenbild aus und scheitern an der Realität.
Schlecht sieht es also für die Grundeinkommensbefürworter – wie alle Vertreter von Ideologien – aus, hoffnungslos idealistisch sind sie, die wirkliche Welt wollen sie nicht sehen. Da darf der Hinweis auf ihr „positives Menschenbild“ nicht fehlen. Schnell ist die Behauptung aufgestellt – wo aber bleibt der Beleg? Leugnen Grundeinkommensbefürworter tatsächlich, dass Menschen auch Negatives hervorbringen? Meint der Verfasser vielleicht, dass die reale Welt so konfliktfrei nicht ist, wie Ideologien sie sich zurechträumen? Bislang war mir nicht bekannt, dass Grundeinkommensbefürworter in der Regel auf den Rechtsstaat und die Verfahren verzichten wollen, mittles derer Rechtsverletzungen sanktioniert werden. Wenn, wie der Verfasser meint, die Menschen „meist nicht…hilfreich und gut“ sind, dann hilft auch eine Rechtsordnung nichts, denn sie ist darauf angewiesen, dass die Mehrheit sie auch zu tragen bereit ist. Ist Bergers Einwand womöglich ideologisch?

Selbst unsere parlamentarische Demokratie und die soziale Marktwirtschaft sind gegen diese Gefahren nicht immun. In einer pluralistischen Parteiendemokratie haben nun einmal starke Interessengruppen auch einen starken Hebel auf die politische Willensbildung.
Ja, und? Es soll wohl heißen, dass, wie immer und überall, wo Menschen sind, Interessenkonflikte vorkommen. Schon diese Feststellung lässt aufhorchen. Ist es etwa der Verfasser, der, wie vielleicht auch manche Grundeinkommensbefürworter, sich eine Welt ohne Konflikte wünscht, eine Welt ohne Interessenlagen, also letztlich eine Welt ohne Menschen? Interesengruppen gibt es ja nur, wo es Interessen gibt, und die kann es nur geben, wo Menschen sind. Sind „starke Intressengruppen“ ein Problem oder können sie auch ein Vorteil sein, weil ihre Interessen damit sichtbar sind? Ist etwas die Initiative neue soziale Marktwirtschaft nicht für jedermann erkennbar, als das was sie ist? Oder die Bertelsmannstiftung? Wer aber nicht hinschauen will, der wird es auch nicht sehen. Wer es nicht sehen will, den scheint es nicht zu stören. Wenn wir Bürger solchen Interessengruppen zuviel Einfluss einräumen, dann sind wir dafür verantwortlich. Weder ist es ein Geheimnis, dass Lobbyisten deutsche Abgeordnete belagern, noch ist das alleine ein Problem. Es wird erst eines, wenn Abgeordnete sich von Lobbyisten lenken lassen. Kurzgefasst: Bergers Einstieg scheint darauf hinauszulaufen, dass er den Bürgern nicht zutraut, sich selbst zu informieren, wenn sie es wollen und nicht gelten lassen zu können, dass sie sich womöglich nicht informieren wollen, wenn sie es nicht tun. Nicht die „Meinungsmache“ allein ist das Problem, sie gibt es immer und überall.

Als einzige Immunisierung gegen diese fortschreitende Lobbykratie käme eine funktionierende vierte Gewalt in Frage, wenn die Medien allerdings selbst ein Teil der Interessengruppen sind, versagt auch diese Medizin.
„Vierte Gewalt“? Die Medien? Wer legitimiert sie dazu? Warum nicht schlicht auf öffentlichen Disput setzen, auf den lebendigen Streit unter Bürger, den die Medien, so wie sie sind, fördern können. Wenn die Bürger aber nicht daran interessiert sind, dass er gefördert wird, werden sich auch die Medien verselbständigen. Immerhin brauchte es die klassischen Medien offenbar kaum, um die Erhebungen in arabischen Staaten und Stuttgart 21 möglich zu machen. Die Welt ist nicht so hermetisch, wie es hier behauptet wird, gerade durch das Internet gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich zu informieren. Und denken, das muss jeder immer noch selbst, kein Expertenurteil steht in seiner Bedeutung in der Demokratie höher als die Meinungsbildung der Bürger.

Wenn wir also über eine derart progressive Reform wie das bedingungslose Grundeinkommen nachdenken, sollten wir dies zunächst auf Basis des Status quo tun. Keine Frage ? in einer besseren Welt, in der der Mensch nicht nur edel, hilfreich und gut ist, sondern auch über transparente Informationen verfügt und frei von jeglicher Manipulation durch Interessengruppen ist, würde ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) funktionieren. Was aber würde in der realen Welt passieren, wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden würde?
Aha, wie sich das schon angebahnt hat im Text. Den Menschen, also allen außer dem gut informierten Verfasser, ist nichts zuzutrauen in dieser Hinsicht, weil sie nicht über transparente Informationen verfügen. Ließe sich nicht genau der andere Schluss daraus ziehen, dass sich die Lage hier nur ändert, wenn die Bürger solche Informationen einfordern und es gerade auf der Basis eines BGEs leicher wird, weil man mehr Zeit zur Verfügung hätte? Den Kampf dafür kann ihnen kein aufgeklärter Kämpfer abnehmen, das müssen sie selbst wollen, sonst wird daraus nichts. Die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen kann hierfür als Beleg herhalten, sie hat zur Präzisierung der Argumente in jeder Hinsicht geführt, trotz der Meinungsmache. Oder meint Jens Berger, die Meinungsmache habe zum Erfolg der Grundeinkommensdiskussion geführt? Das müsste er dann so sehen.

Nach einer kurzen Darstellung möglicher positiver Auswirkungen fährt Berger fort und stellt fest, der Teufel stecke im Detail:

Ein Großteil der Produkte und Dienstleistungen würde sich nämlich keinesfalls verbilligen, sondern ? ganz im Gegenteil ? massiv verteuern. Importe oder Produkte mit einem hohen Anteil importierter Vorleistungen würden von den niedrigeren Herstellungskosten nicht profitieren.
Das ist insofern zutreffend als die Konsum- oder Ausgabensteuer keine Auswirkungen auf die Erstellung von Vorleistungen in einem Land hätte, das nicht über eine entsprechende Steuer verfügt. Es stellt sich allerdings schon anders dar, wenn den importierten Vorleistungen nach Deutschland exportierte Vorleistungen aus Deutschland vorausgehen. Auf diese immerhin würde sich die Konsumsteuer auswirken. Ob dann die Verbindung aus BGE (wegen der Förderung invividueller Neigung und der Folgen für Leistungserstellung) und Konsumsteuer nicht zu effizienteren Fertigungsprozessen führte und dadurch wiederum ein Kostenvorteil (in welchem Ausmaß ist unklar) entstünde, muss offen bleiben. Das kann auch Berger nicht wissen, wenn er behauptet, es käme zu einer massiven Verteuerung. Die Frage ist, ob sich gesamtwirtschaftliche die Effekte nicht ausbalancieren, Teuerung auf der einen, Vergünstigung auf der anderen Seite. Keine Silbe verwendet er auf den Umgestaltungsprozess. Es wird ja nicht so sein, dass in Deutschland, würde das BGE eingeführt, von heute auf morgen sich alles verändern würde, sondern sukzessive. Nachbarländer und Handelspartner würden das beobachten, denn in Europa und Nordamerika sind die Probleme vergleichbar, auch dort wäre ein BGE der Diskussion wert. Selbst ohne BGE wäre es denkbar, dass andere Länder ebenfalls stärker Richtung Ausgabensteuer gehen, dann würde sich auch die Situation der Vorleistungen verändern. Wie aber genau, das lässt sich nicht vorhersagen, wäre aber durch sukzessive Umgestaltung beobachtbar. Wo dann unerwünschte Folgen aufträten, könnte gegengesteuert werden.

Alternativen im eigenen Land zu produzieren, ist eine naive Phantasie ? auch mit chinesischen Löhnen könnte man in Deutschland heute keine Produkte mehr konkurrenzfähig herstellen, da andere Kostenfaktoren ? z.B. die Kosten für Energie – ebenfalls zu Buche schlagen. Wir können China nicht kopieren und es wäre mehr als dumm, wenn wir dies überhaupt versuchen wollten. Wenn sich nun aber die erhöhten Konsumsteuersätze, aus denen das BGE finanziert werden soll, auf die meisten Produkte auswirken, sind die 1.200 Euro BGE auch nicht mehr wert als die heutigen Hartz-IV-Regelleistungssätze.
Sicher können wir nicht mit China konkurrieren, mal sehen, wie lange China noch diesen Produktionsvorteil haben wird. Davon abgesehen muss man mit China auch nicht konkurrieren, wenn auf Fertigprodukte, die importiert werden, eine Konsumsteuer erhoben wird. Sie würden dadurch relativ teurer als heute. Auch könnte eine solche Konsumsteuer für Importe durchaus höher ausfallen, wenn das notwendig wäre, um Preisungleichgewichten entgegenzuwirken. Will Berger denn darauf hinaus, dass der Preisvorteil aufgrund geringer bis gar keiner sozialstaatlichen Infrastruktur in China einfach hingenommen werden sollte? Weshalb? Er kann auch nicht ernsthaft dagegen etwas einwenden, dass durch steigende Einkommen auch Preise von Gütern steigen, die heute nur deswegen billig sind, weil die Einkommen niedrig sind. Einfach zu behaupten, es komme, wie er meint, ist dahergesagt.

Mit einer Einführung des BGEs würde sich das Lohngefüge massiv verschieben. Unangenehme Berufe müssten einen signifikanten Bonus für Arbeitnehmer aufweisen.
Was „unangenehm“ ist, ist relativ zu den eigenen Ambitionen und Berufsvorstellungen (siehe unseren Kommentar „Einfache Tätigkeiten…“). Man nehme nur den Müllmann aus dem Film Designing Society, der zu seiner Tätigkeit befragt wird. Für ihn ist es unvorstellbar in einem Büro zu arbeiten, eine Antwort, die jeder Stahlkocher auch geben würde. Was ist schon unangehm? Viele können sich nicht vorstellen, in der Altenpflege zu arbeiten, kranke Menschen zu behandeln, als Lehrer tätig zu sein usw. usf. All das, wozu man keine innere Affinität hat, keine Neigung, und womit man sich nicht identifizieren kann, ist unangenehm, widerstrebt einem. Wer selbst aus beruflichen Gründen Texte zu verfassen hat  (z.B. Journalisten, Wissenschaftler), der weiß, wie unangenehm, wie anstrengend und mühsam es ist, bis ein solcher Text einmal steht, bis er so ist, dass man ihn zu veröffentlichen bereit ist. Das Widerständige zu überwinden gehört hier zum Beruf. Dennoch wird es getan, weil auf die Anstrengung auch eine Erfüllung folgt – das gilt für die Müllabfuhr und Reinigungspersonal genauso, solange Maschinen sie nicht ersetzen können. Sie stellen eine wichtige, wenn auch nicht immer wertgeschätzte, Dienstleistung bereit. Aus diesem Grund ist es keine ausgemachte Sache, dass „unangenehme“ Tätigkeiten einen Bonus aufweisen müssten, denn durch das BGE stünden sie schon anders da. Würde der bisherige Lohn zum BGE addiert, könnte das Einkommen dieser Tätigkeiten schon höher ausfallen als heute. Berger bemüht hier Klischees, nicht aber triftige Argumente.

Natürlich ? in Teilzeit Kinder betreuen oder hinter einer Kasse zu stehen, ist kein Problem.
Da kommt schon das nächste Klischee – für wen ist das kein Problem? Nur für diejenigen, die sich damit identifizieren können, für die anderen ist es eine Qual. Wer mit Kindern nichts anfangen kann, wird sich zur Tätigkeit quälen. Erkennbar ist hier schon, wie sehr Einschätzungen über berufliche Anforderungen vor dem Hintergrund nicht ausgewiesener Werturteile gefällt werde. Der Maßstab ist das Problem, nicht die Menschen, die daran gemessen werden.

Wer würde aber für ein paar Euro freiwillig im Schlachthof schuften oder die Abwasserkanäle reinigen? Solche Berufsbilder werden in den netten Utopien einer Star-Trek-Welt natürlich meist ausgeblendet. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Unsere Welt besteht allerdings nicht nur aus Forschern, Literaten und sozial Engagierten auf dem Sonenndeck, sondern auch aus den Hilfsarbeitern, die im Maschinenraum dafür sorgen, dass unserer Luxusdampfer überhaupt fährt.
Soll das der realitätsgetränkte Blick des BGE-Kritikers sein? Hier gilt dasselbe wie oben auch, es ist eine Fragen von Neigungen, Interessen und Fähigkeiten. Als nächstes wäre die Frage, wie stark automatisiert werden kann (Kanalreinigung z.B.) und wenn das nichts hilft? Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen. Berger hingegen hält die Illusion aufrecht, unter heutigen Bedingungen sei es garantiert, für die genannten Tätigkeiten Personal zu finden, das ist es aber nicht.

Um in einer Welt ohne impliziten Arbeitszwang Arbeitskräfte für solche unangenehmen Jobs zu finden, müsste man sie über höhere Löhne ködern. Gleichzeitig würden die Löhne für angenehme Jobs natürlich in den Keller gehen ? Angebot und Nachfrage, wir leben in einer Ferengi-Welt und nicht auf der Enterprise.
Man könnte dies als Meinungsmache bezeichnen. Weshalb müssen, wenn die einen steigen, die anderen in den Keller gehen? Sie könnten auch einfach sinken und immer noch hoch genug sein. Als gäbe es heute nicht ein Missverhältnis zwischen Berufen und ihrer Entlohnung. Das könnte zum Ausgleich kommen, allerdings läge die Entscheidung dazu beim Einzelnen. Wo ist hier der große volkswirtschaftliche Sachverstand, dessen sich der Verfasser in seinen Antworten auf Kommentare zu seinem Artikel rühmt?

Der Anteil deutscher Lohnkosten, die im durchschnittlichen Warenkorb eines Haushalts stecken, ist eher gering ? es dürften rund 10% sein. Selbst wenn die Lohnkosten sich halbieren würden ? was sehr unrealistisch ist -, wären die Einsparungen für den deutschen Konsumenten mit 5% eher marginal.  Dafür müsste der Konsument aufgrund der erhöhten Konsumsteuern allerdings kräftig in die Tasche greifen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 50%, die für eine Finanzierung des BGE notwendig wäre, und eine Ausweitung des Mehrwertsteuersatzes auf alle Produkte und Dienstleistungen würde massiv inflationär wirken. 1.200 Euro BGE hätten bei einem Inflationsschub von 30% ziemlich exakt die Kaufkraft der heutigen Hartz-IV-Bezüge.
Richtig ist, dass sich das Verhältnis von Preisentlastung zu -belastung durch Konsumsteuer unterschiedlich darstellen wird. Es wird Produkte und Dienstleistungen geben, deren Preis sinkt, solche deren Preis sich nicht verändern muss und wiederum solche, deren Preis steigt. Das hängt natürlich davon ab, welchen Anteil die Löhne bzw. die Arbeitskosten an den Gesamtkosten eines Unternehmens haben. Es hängt aber auch davon ab, inwiefern effizienter produziert werden kann. Welche Folgen aber hätte es für die Preisentwicklung, wenn die Last durch Steuern und Abgaben ans Ende Wertschöpfungskette verlegt wird und nicht in sie schon hineingreift? Dazu sagt Berger nichts.

Mit diesem BGE würde sich also erst einmal nicht viel ändern ? die BGE-Bezieher müssten immer noch arbeiten, um sich ein würdiges Leben leisten zu können. BGE-Summen von 1.500 Euro aufwärts, die bei einer unterstellten effektbedingten einmaligen Inflation von 30% notwendig wären, sind aber in keiner Form finanzierbar. Wenn man an der Steuerschraube drehen würde, würde lediglich die Inflation weiter ansteigen und das höhere BGE würde schlichtweg verpuffen.
Weshalb? Hier würde man sich zumindest eine Erläuterung wünschen. Kommt das BGE nicht einfach auf die bestehenden Einkommensverhältnisse oben drauf, sondern wächst in sie hinein, würde also bestehende Einkommensteile einfach ersetzen (schematisch gedacht), weshalb sollte dann dieser Effekt entstehen? Etwa, weil das Gemeinwesen mehr ausgeben will als bislang? Dann müssten die geschilderten Effekte auch dann gelten, wenn der Regelsatz von Arbeitslosengeld II stark erhöht würde.

Einen Effekt hätte das BGE allerdings ? Deutschland wäre plötzlich ein Niedriglohnland par excellence. Im Grunde wirkt das BGE wie ein flächendeckender Kombilohn. Es steht außer Frage, dass dadurch auch die Löhne flächendeckend sinken ? und zwar um die Summe des BGEs. Nominell hätten die Arbeitnehmer dann genauso viel Geld wie vorher, nur dass dieses Geld weniger wert ist, da die Produkte sich ja massiv verteuern. 
Hier wird nur die Behauptung mit der Verteuerung fortgeführt und Meinungsmache betrieben. Selbst wenn Löhne flächendeckend sinken würden, weil das BGE einen Teil des Lohnes ersetzte, hätten solchermaßen zustande gekommenen niedrigeren Löhne nicht dieselbe Bedeutung, die Niedriglöhne heute haben. Entscheidend ist die Einkommenssumme aus BGE + Lohn. Auch mit dem Schlagwort „Kombilohn“ wird nur ein Schreckgespenst beschworen. Dieser Kombilohn, da er dem Einzelnen Verhandlungsmacht verschafft, wäre kein Problem, weil er nicht an Erwerbstätigkeit gebunden ist, das unterscheidet ihn von allen bislang bekannten Kombilöhnen.

Gewinner eines BGE wären somit vor allem die exportorientierten Unternehmen, die massiv Lohnkosten einsparen würden und so ihre Wettbewerbsstellung verbessern können. Vor allem im Niedriglohnsektor würde BGE-Deutschland ein Dorado für Unternehmer werden. 400 Euro für einen Vollzeitjob sind zu wenig? Die Arbeitnehmer bekommen doch schließlich schon 1.200 Euro vom Staat und 1.600 Euro ist ja nun im internationalen Vergleich ein stolzer Lohn. Willkommen im Unternehmerparadies Deutschland, finanziert vom Arbeitnehmer über seine Konsumausgaben. Die Umverteilung von unten nach oben würde durch das BGE sogar noch weiter forciert.
Ihre Wettbewerbsstellung würden sie aber nur dann gegenüber dem Ausland stark verbessern, wenn andere Länder keine Konsumsteuer einführten. Der Vorteil hier könnte demgegenüber den Nachteil beim Import aufwiegen, dass die Konsumbesteuerung sich nicht auf die Vorleistungen auswirkt, die im Ausland erbracht werden. Und was wäre gegen den Vollzeitjob zu sagen, der hier verteufelt wird, wenn das Gesamteinkommen stimmt? Es wäre doch eine Entscheidung des Einzelnen, ob er das hinnimmt, wie es auch heute in eingen Fällen eine Entscheidung des Einzelnen ist, Arbeitsverhältnisse hinzunehmen, statt für andere zu kämpfen. Der Schlusssatz gälte aber nur für die Unternehmen, die vorwiegend oder ausschließlich exportieren und nur dann, wenn andere Länder keine Konsumsteuer einführen. Das ist doch ziemlich unwahrscheinlich und somit Bergers Schlussfolgerung überzogen.

In der real existierenden Welt hätte eine Einführung des BGE nicht den Effekt, den seine Befürworter ihm zusprechen. Eine prinzipiell gute, begrüßenswerte und überaus progressive Reform würde durch die Markteffekte unseres Wirtschaftssystems zunichte gemacht. Um das BGE sinnvoll anzuwenden, müsste man die Marktwirtschaft außer Kraft setzen. Man müsste Löhne abseits der Preiseffekte am Arbeitsmarkt festsetzen, man müsste Preise regulieren und womöglich sogar den freien, grenzüberschreitenden Warenverkehr strenger regulieren.
Weshalb? Auch in der BGE-Welt muss ein Unternehmen kosten decken, müssen Löhne und Preise in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Das würde bei Lohnverhandlungen immer eine Rolle spielen, wie es auch heute bei den Tarifpartnern eine Rolle spielt. Was sollte sich daran ändern? Nur weil Löhne niedriger sein könnten als heute, Unternehmen aber eine viel höhere Konsumsteuer abführen müssten, verändert sich nicht alles. Wenn es sinnvoll wäre, den grenzüberschreitenden Warenverkehr zu regulieren (wie konkret?), um die Bedingungen für ein BGE zu schaffen, was spräche dagegen? Berger malt Schreckgespenster an die Wand, behauptet Zusammenhänge, ohne triftige Argumente zu bemühen.

Nur mit solchen tiefgreifenden Flankierungen würde das BGE die gewünschten Effekte erzielen. Wahrscheinlich ist das BGE alternativlos, wenn wir unsere Gesellschaft an unsere Zeit anpassen wollen. Wer aber soll solch tiefgreifende Reformen, die weit über das BGE hinausgehen, realisieren? In einer parlamentarischen Demokratie ist dies schlichtweg unmöglich. Es wird daher keinen sanften Übergang zur modernen Gesellschaft geben. Die Alternative ? ein harter Übergang ? ist allerdings ebenfalls nicht vorstellbar, da wir nun einmal nicht in einer idealen Welt leben und wir nicht einfach den Reset-Knopf drücken können, um dann eine bessere Welt zu erwarten. Der Mensch ist ein Mensch, mit all seinen Fehlern. Jedes Gesellschaftsmodell baut auf dem Menschen auf. Ein Modell, das auf einer fehlerhaften Schlüsselkomponente aufbaut, ist aber immer selbst fehlerhaft. Wenn bei einem Computer das Mainboard kaputt ist, hilft langfristig auch weder ein Reset, noch die Installation eines anderen Betriebssystems. Stellen wir uns lieber darauf ein und machen wir das Beste daraus.
Wie, das BGE also doch wünschenswert, vorausgesetzt die erforderlichen Veränderungen würden vorgenommen? Bezweifelt wird also nur, dass die notwendigen Mehrheiten für ein BGE gewonnen werden können. Dieser Zweifel ist nur verständlich, doch lässt er außer Acht, wie weit es die BGE-Diskussion schon gebracht hat. Er lässt ebenso außer Acht, dass – so weit weg vom Gegenwärtigen ein BGE erscheinen mag – es gleichwohl sehr nah ist. Wir haben ein Existenzminimum, es gibt Steuerfreibeträge, Kindergeld, Bafög, Rente usw. Sie müssten nur umdefiniert werden, es geht also um eine Änderung der Gewährungsbedingungen. Auch wenn ein BGE nicht so hoch ausfiele, wie wir es uns heute wünschen, wenn es „nur“ die Kaufkraft aller Leistungen des ALG II (Regelsatz + Pauschalen) von heute haben würde, aber pro Individuum vergeben und nicht nach dem Haushaltsprinzip gestaltet würde, dann wäre damit schon viel gewonnen. Der Betrag alleine ist es nicht, entscheidend sind die Bedingungen, nach denen er bereitgestellt wird. Selbst also ein solches BGE würde eine große Veränderung bedeuten, weshalb in der Grundeinkommensdiskussion die eigentliche große Hürde nicht die Betragshöhe ist, es ist die Bedingungslosigkeit – sie steht für eine starke Solidargemeinschaft der Bürger, nicht der Erwerbstätigen wie heute. Welche Dynamiken, welche Veränderungen dadurch zum Positiven hin freigesetzt würden, das können wir erahnen.
Jens Berger sieht genau diesen Zusammenhang offenbar, wie viele Kritiker, nicht (siehe auch seine Antwort 202). Er sieht nicht, dass es um die Anerkennung des Bürgers als Individuum geht, damit um die Anerkennung der Bürgergemeinschaft um ihrer selbst willen. Sie ist kein „Modell“, sondern schon gestaltete politische Ordnung. Der Mensch ist keine „fehlerhafte Schlüsselkomponente“, er ist wie er ist. All seine ‚Schwächen‘ ändern nichts daran, dass unsere Demokratie schon heute einen mündigen Bürger voraussetzt und zugleich in Anspruch nimmt, sie verlangt keinen idealen, sondern den realen Menschen. Dem scheint Berger nicht zu trauen. Nicht die BGE-Befürworter sind es, die sich mit dem realen Menschen nicht begnügen wollen, er ist es. Er hätte gerne einen anderen, den gibt es aber nicht, und weil es ihn nicht gibt, müssen wir so weiterleben, wie bisher, geführt durch die Aufklärer, die es besser wissen als die anderen. Genau darin besteht die Blockade, die es zu lösen gilt.

Sascha Liebermann

Nachtrag 26. Januar: Im Beitrag von Jens Berger wird einerseits der Anteil der Lohnkosten an den Gesamtkosten eines Unternehmens niedrig eingeschätzt, andererseits aber von einer „massiven“ Lohnkostenersparnis für Unternehmen bei Einführung einer Konsumsteuer gesprochen. In einem Beitrag des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hingegen heißt es, die Lohnkosten seien höher als gemeinhin angenommen. Dieselbe These wird auch hiervertreten. Demnach wären die Auswirkungen einer Konsumsteuer, bei Wegfall anderer Steuern, größer als Berger annimmt.

Das Menschenbild des Grundeinkommens…

…ist das Menschenbild der Demokratie (siehe Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland).

Woher rührt dann die Frage nach dem Menschenbild, weshalb erhält sie so großes Gewicht?

Wer regelmäßig über den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, ist alsbald mit der Frage konfrontiert, ob denn die Menschen schon so weit seien, ob es denn erst einer Phase der Vorbereitung auf das bGE bedürfe, bevor es eingeführt werden könne. Manche Grundeinkommensbefürworter, wie Wolfgang Engler (siehe auch Gespräche über morgen), fordern deswegen ausdrücklich eine Bildungspflicht. Kritiker, wie Christoph Butterwegge, Klaus Dörre und Matthias Möhring-Hesse, trauen den Bürgern nicht zu, sich gegen einen Missbrauch der Grundeinkommensidee zur weiteren Schwächung sozialstaatlicher Einrichtungen einzusetzen, wenn sie es denn für richtig halten. Selbst wenn wir Bürger einen weiteren Abbau wünschten, dann wäre auch das demokratisch legitimiert, sofern die dafür vorgesehen Verfahrenswege erfolgreich beschritten werden. Wer sich, weil ein Vorschlag missbraucht werden kann, deswegen gegen ihn ausspricht, äußert damit auch einen Vorbehalt gegen die Demokratie – eine Haltung also, die man getrost als elitär bezeichnen kann.

Missbraucht werden kann jede Idee, wenn dies aber demokratisch geschieht und der Souverän sich für einen solchen „Missbrauch“ ausspricht, ist es kein Missbrauch mehr – vielmehr entspräche dies einer Entscheidung gegen die ursprüngliche Idee. Demokratie ist nicht dann demokratisch, wenn sie die Entscheidungen hervorbringt, die bestimmten Gesinnungen entsprechen, sondern dann, wenn sie aus dem Souverän hervorgehen und von ihm getragen werden. Was sagt uns das über die Menschenbilddiskussion (siehe auch die Debatte im ZDF Nachtstudio)?

Offenbar, so müssen wir aus der verbreiteten Skepsis schließen, passt das Menschenbild in diesen Einwänden gegen das Grundeinkommen nicht zum Menschenbild der tatsächlich existierenden Demokratie, in der wir seit sechzig Jahren leben. Nicht ist es das Grundeinkommen, das aberwitzige Voraussetzungen macht oder illusionäre Hoffnungen auf den „guten Menschen“ pflegt, es sind manche Befürworter und die Kritiker, die sich über die Grundlagen der Demokratie nicht im klaren sind. Oder heißen sie diese Grundlagen nur nicht gut? Wäre es dann nicht konsequent, offen und direkt für die Abschaffung der Demokratie zu plädieren, wenn man sie nur solange haben will, wie einem die Entscheidungen passen (siehe auch „Wieder einmal: Volksentscheid am Pranger“)?

Wo vom Menschenbild, das erforderlich sei, die Rede ist, wäre zu fragen, was damit gemeint sein soll. Zielt die Frage darauf, wie sich das Handeln der tatsächlich mitten unter uns lebenden Menschen darstellt? Oder zielt sie auf das Bild, das die Handelnden sich von ihrem Handeln – also wir uns von uns selbst – machen? Oder meint sie gar, dass ein demokratisches Handeln davon abhänge, das richtige Menschenbild zu haben?

Für unser tatsächliches Zusammenleben ist das wichtigste, wie wir de facto heute schon zusammenleben – wir leben in einer Demokratie, die es ohne unsere Bereitschaft, sie zu tragen, nicht gäbe. Daran kann niemand ernsthaft zweifeln, es sei denn, er hält die Menschen doch für fremdbestimmt, unmündig und manipuliert. Damit würde ihnen aber zugleich die Verantwortung für manche Missstände abgesprochen, die wir zu beklagen haben. Hier täuschen sich manche über die Mehrheitsverhältnisse hinweg, wenn sie mit Berufung auf Meinungsumfragen glauben, die meisten Bürger seien gegen die Nutzung von Kernenergie, „Stuttgart 21“, die Rente mit 67 oder Hartz IV. Wo sind die Großdemonstrationen, wo sind die Mehrheiten, die dagegen sein sollen? Weshalb sieht man sie nicht oder kaum? Meinungsumfragen sagen gar nichts darüber aus, wie Abstimmungen ausgehen würden, wenn sie denn stattfänden. Entscheidend ist, wie Menschen handeln, ob sie sich also für oder gegen etwas einzusetzen bereit sind.

Ein Menschenbild ist nicht Ausdruck unseres Handelns selbst, sondern Resultat dessen, wie wir unser Handeln deuten. Es kann sich mit dem Handeln weitgehend decken, es kann ebenso weit davon abweichen. Jemand kann sich für sehr liberal halten und ist tatsächlich aber dogmatisch. Ein Menschenbild bringt also zum Ausdruck, wie wir unser Handeln deuten, nicht aber, wie wir tatsächlich handeln. Gleichwohl ist es folgenreich. Es trägt dazu bei, ob wir Handlungsmöglichkeiten, die tatsächlich bestehen, als solche auch wahrnehmen, ob sie für uns überhaupt als Möglichkeiten erscheinen oder wir sie gar nicht erst in Betracht ziehen. Drastisch zum Vorschein kommt dies, wenn der vielbeschworene ‚kleine Mann‘ über sich selbst spricht und sagt, es bringe nichts sich einzumischen, da ohnehin keiner auf ihn höre. So macht der ‚kleine Mann‘ sich selbst klein. Der ‚kleine Mann‘ ist nur so klein, wie er sich macht, Möglichkeiten sich zu engagieren und Dinge zu verändern, gibt es immer – die Grundeinkommensdebatte ist hierfür nur ein Beispiel unter vielen.

Zwei Wege der Entmündigung müssen wir mindestens festhalten: der eine führt über die elitäre, hochmütige Haltung, Mündigkeit den anderen abzusprechen, was durchaus auch im Gewand der Fürsorge geschieht – ein allzubekanntes Phänomen. Es ist eine Haltung, die der verwandt ist, welche Zwangshilfe befürwortet und nicht gelten lassen will, dass sich jemand dagegen ausspricht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der andere Weg der Entmündigung ist die Selbstentmündigung, in der es sich bequem leben lässt, weil sie die Verantwortung für das Bestehende immer den anderen zuschiebt. Auch dieses Phänomen ist allzu verbreitet.

Beide aber täuschen gleichermaßen darüber weg, dass heute niemandem wesentliche Entscheidungen des Lebens abgenommen werden, in privaten wie in öffentlichen Angelegenheiten. Wie die Proteste gegen „Stuttgart 21“ und andere, viel kleinere und unauffälligere Bürgerinitiativen zeigen, sind die Bürger aktiver und interessierter, als gemeinhin behauptet wird. Wohl aber nicht aktiv genug und vor allem scheint es, dass wir uns zu wenig darüber klar sind, auf Basis welcher Voraussetzungen wir heute leben. Von diesen aus ist es zum bedingungslosen Grundeinkommen viel weniger weit, als es den Eindruck macht.

Sascha Liebermann

Das Menschenbild des Grundeinkommens „ist nicht wünschenswert“ (Prof. Gerhard Bosch)

Im Funkhausgespräch auf WDR 5, am 30. März diesen Jahres, haben Götz W. Werner und Gerhard Bosch (Professor an der Universität Duisburg Essen) über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert („Grundeinkommen – der Traum vom sorgenfreien Leben“). Die Einwände des Arbeits- und Wirtschaftssoziologen verdienen eine Kommentierung, denn an ihnen wird deutlich, wie tief das Mißtrauen gegenüber den Bürgern ist, wie sehr wir eine Politik machen, die von der Ausnahme und nicht von der Regel ausgeht.

Zuerst fiel das individualistische Menschenbild des Soziologen auf, der partout nichts vom „Staat“ geschenkt haben will. Er will sein Leben selbst gestalten und sein Geld selbst verdienen. – Was hat dies mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu sein? Offenbar hat es vor allem mit einem Menschenbild zu tun, das glaubt, es gebe einen einzigen Bürger in unserem Land, der sich selbst versorgen, der ohne die kollektive Unterstützung unseres Gemeinwesens überhaupt leben könne. Gerade Gerhard Bosch als Professor müßte es besser wissen, er muß sich nicht am Markt bewähren, kann als Beamter geschützt forschen und lehren. Und nicht einmal für den privatwirtschaftlichen Markt gilt, was er für den Einzelnen behauptet. Sonderbar, daß er genau für den Markt etwas einräumt, was er für den Einzelnen nicht gelten läßt: daß beide nämlich vom Gemeinwesen abhängig sind. Der Markt ist nur existent durch die ordnungspolitische Stabilisierung, die das Gemeinwesen leistet. Erstaunlich genug, daß ein Soziologe all dies behauptet, denn wir alle leben vom und im Gemeinwesen.

Darüber hinaus verbietet ein Grundeinkommen nicht, ein zusätzliches Erwerbseinkommen zu erzielen, genausowenig wie es vorsieht, die Lebensgestaltung in die Hand des „Staates“ zu legen – auch das behauptet Gerhard Bosch in der Sendung. Heute haben wir doch viel weniger Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten, als es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen der Fall wäre. Fragt man sich, woher all die sonderbar verdrehten Einwände gegen das Grundeinkommen herrühren, stößt man letztlich auf das, was dann auch eingeräumt wird: Gerhard Bosch hält das Menschenbild des Grundeinkommens für nicht wünschenswert. Eigentlich müßt er dann auch gegen die Demokratie sein, die auf den Gestaltungswillen des Einzelnen setzt; gegen die die marktwirtschaftliche Ordnungspolitik, die darauf setzt, daß Unternehmer und Unternehmen Güter und Dienstleistungen erzeugen.

Wo er mit den Konsequenzen seiner Einwände polemisch konfrontiert wird, gibt er sich erschrocken. Doch Sachhaltigkeit und Nüchternheit sind nicht dasselbe. Ein sachhaltiges Argument kann durch polemische Zuspitzung an Klarheit gewinnen – in nüchterner Askese läßt sich alles behaupten, ohne ein einziges Argumente vorzubringen.

Im Unterschied zum Paradies, also zu einem sorgenfreien Leben, wie es Gerhard Bosch einem Leben mit Grundeinkommen attestiert, wäre es eine enorme Herausforderung. Jeder Mensch stünde viel mehr als heute vor der Frage, was er mit seinem Leben anfangen will. Nicht mehr, sondern weniger Intervention des „Staates“ würde das Grundeinkommen bedeuten.

Wer Arbeitslosengeld II für ein Grundeinkommen hält, wie Gerhard Bosch, hat sich entweder nicht mit den Vergabebedingungen beschäftigt oder hält die rigide Kontrolle für erstrebenswert. „Aktivierung von Arbeitslosen“, „Druck“ sei notwendig, sonst würden wir die Bedürftigen sozial vernachlässigen. „Drogenabhängige Jugendliche“ benötigen sozialarbeiterische Unterstützung – wer hätte etwas dagegen – doch unter welchen Bedingungen findet sie heute statt? Freiwillig oder erzwungen?

Wer ALG II erhalten will, muß eine rigide Kontrolle und Durchleuchtung über sich ergehen lassen. Was wie beratende Hilfe dargestellt wird, ist heute tatsächlich eine Bevormundung und unterläuft die Voraussetzungen für eine gelingende Hilfe: nur wenn Rat und Hilfe freiwillig gesucht werden, werden die Selbstheilungskräfte des Einzelnen gestärkt. Erzwungene Hilfeleistungen setzen nur die Stigmatisierung fort, die wir heute schon erleben. Statt von den Ausnahmen her unser Sozialsystem zu entwerfen, wie es Gerhard Bosch tut, müssen wir von der Regel her denken. Statt ein Szenario der „sozialen Vernachlässigung“ zu entwerfen, die mit dem Grundeinkommen einhergehe, sollten wir uns einmal fragen, weshalb Einzelne nicht oder kaum in der Lage sind, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Wer in dieser Lage ist, wird durch ein Grundeinkommen gestärkt, er muß sich vor keiner Behörde mehr rechtfertigen, er könnte vom Grundeinkommen leben, solange es hoch genug ist.

Doch dem Einzelnen zu vertrauen, das fällt uns besonders schwer (siehe auch „Grundeinkommen – ein gefährlicher Traum“, von Carsten Schneider (MdB, SPD): ) da werden alle möglichen Einwände mobilisiert und Gefahren mahnend beschworen, die doch letztlich nur eines offenbaren: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – und genau damit würde das bedingungslose Grundeinkommen Schluß machen.

Sascha Liebermann