Die Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen hat sich für ein „minimales Existenzgeld“ ausgesprochen und das zu einem Zeitpunkt, da mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ein durchdachter und in seinen vielfältigen möglichen Wirkungen dargelegter Vorschlag längst in der Diskussion ist. Ein Rückfall, ein schlechter Witz oder will man sich einfach als großartige Neuerer präsentieren?
In einem Interview mit Horst Opaschowski in der taz ist der Geist zu erkennen, der in dem Vorschlag weht. Auf die Frage der Interviewer, ob das Nichtstun gefördert werde, sagt Herr Opaschowski:
„Der Mensch ist auf Leistung programmiert. Menschen wollen immer etwas haben, das andere nicht besitzen. Sie wollen mehr Geld und sich damit von anderen abgrenzen. 86 Prozent der Befragten wollen weiterarbeiten. Der Wettbewerb ist im Menschen angelegt.“
Daß die Menschen sich einsetzen wollen, das weiß jedes Kind, man muß nur in die Welt schauen, um das festzustellen, es bedarf dazu keiner wissenschaftlichen Untersuchung. Einige schauen eben darüber hinweg und fragen sich nicht, was der Grund dafür ist, daß manche sich nicht engagieren. Diese Einsicht wird nun verbunden mit einer – wie soll man sagen – „kleinbürgerlichen“, die im Neid den Antrieb zu Leistung erkennt. Hilfsbereitschaft, Solidarität und bürgerschaftliches Engagement lassen sich damit nicht erklären.
Die Höhe des Betrages (580 €) soll an gegenwärtigen Leistungen anschließen. Es ist ein Rechenmodell, das nach systematischen Zusammenhängen nicht fragt. Aus diesem Grund wird von Bürgern und Demokratie, von Gemeinwesen und Solidarität auch nicht gesprochen. Da die „Leistungsfähigen“ die Finanzierung tragen, so Opaschowski, sollen sie nicht über Gebühr belastet werden. Es sind aber nicht die „Leistungsfähigen“, die den Fortbestand des Gemeinwesens sichern, sondern es ist die Loyalität der Bürger, ganz gleich, welche Erwerbsleistung sie erbringen.
Während der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens auch als Bürgereinkommen zu verstehen ist, gibt sich das „minimale Existenzgeld“ als Armenversorgung mit Gegenleistungsverpflichtung zu erkennen. Konsequent heißt es:
„Außerdem soll das Existenzgeld nach Meinung der Bevölkerung nicht bedingungslos bleiben. Soziale Dienste könnten Pflicht werden oder werden auf die Rente angerechnet. Das wird dann beispielsweise auch Kindererziehungszeit für Frauen sein.“
Und in der Vorstellung der Studie heißt es:
„Das Votum der Bevölkerung richtet sich eindeutig gegen die Anhänger eines ‚bedingungslosen Grundeinkommens‘, für dessen Erhalt es keinerlei Bedingungen gibt und auch Spitzenverdiener das Grundeinkommen beziehen sollen – ob sie es brauchen oder nicht. Nach Ansicht der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung widerspricht eine solche Option den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit.“
Hier wird wissenschaftliche Seriosität auf der Grundlage von Meinungsumfragen vorgegaukelt – doch Meinungsumfragen sind oberflächlich und statisch.
Da der Vorschlag eines BGE nicht den bisherigen Sicherungssystemen entspricht, löst er Befremden aus, das ist normal. Allerdings beruht dieses Befremden auch häufig darauf, sich mit den Folgen und Möglichkeiten des Vorschlags nicht auseinandergesetzt zu haben. Wo dies geschieht, und die Diskussion ist in Deutschland hier erst am Anfang, können sich Meinungen ändern – das ist entscheidend.
Opaschowski und die Stiftung wollen Argumente offenbar durch Meinungsumfragen ersetzen, statt den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung durch Argumente zu fördern. Sicherlich kann der Tag kommen, an dem dem BGE eine Absage erteilt wird, dann wollen die Bürger es eben nicht. Doch dieser Tag ist noch fern und alles spricht bislang eher dafür, daß das BGE tatsächlich die weitreichendste Lösung vieler Probleme verspricht, es ist weitreichender als alle anderen Vorschläge.
Sich auf Meinungsumfragen zu stützen, bevor der Versuch unternommen wurde, eine öffentliche Diskussion auch in der Breite anzuregen und zu führen, kommt einer Selbstentmachtung der Bürger gleich.
Nachtrag: Einem Hinweis von Jörg Walter folgend, möchten wir darauf hinweisen, daß die Befragung laut Hinweis einer Grafik Personen ab dem 14 Lebensjahr beinhaltet. Abgesehen von der Tauglichkeit von standardisierten Befragungen im allgemeinen ist zu bezweifeln, daß Jugendliche und Adoleszente die Folgen eines Existenzminimus angemessen einschätzen können.
Sascha Liebermann