Rechnerisch oder systematisch? Zwei Perspektiven auf das bedingungslose Grundeinkommen

In einem Gespräch über „Grundeinkommen für alle“ zwischen Thomas Straubhaar und Hilmar Schneider im Deutschlandfunk, am 13. Juni, entstand wiederholt Verwirrung. Während Straubhaar eher auf die verändernde Kraft des Grundeinkommens hinwies, betonte Schneider vor allem, daß sich mit einem bGE gar nicht so viel ändern würde, wie viele glauben. Er warnte davor, zu große Erwartungen zu erwecken.

Woher rührt die unterschiedliche Einschätzung?

Als erstes ergibt sich eine solche daraus, wie man die Veränderungen betrachtet. Richtet man – rechnerisch – das Augenmerk nur auf den Geldbetrag, der am Ende den Bürgern als bGE zur Verfügung steht, dann könnte man zum Schluß kommen, es veränderte sich gar nichts durch das bGE. Diese Einschätzung gilt nicht nur für den Vergleich von bGE und ALG II. Er gilt auch für den von bGE und Negativer Einkommensteuer (z.B. Milton Friedman), die wesentlich liberaler wäre als ALG II. Schneider veranlaßte dies in dem Gespräch dazu festzustellen, daß die Nettosteuerschuld, die im Althausmodell ab einer bestimmten Einkommensgrenze entstehe, doch für diejenigen, die dann eine höhere Steuerlast tragen, als der Betrag des bGEs ist, vom bGE gar nichts hätten. Diese Schlußfolgerung muß ziehen, wer nur den Geldbetrag in Augenschein nimmt.

Allerdings macht es schon selbst bei diesem Betrag in Höhe von ALG II einen Unterschied, ob er frei verwendet werden kann, ob er frei von Kontrolle und Beaufsichtigung vergeben wird oder nicht. Auch Althaus sieht eine bedingungslose Vergabe vor, so daß also die Bürger, denn alle sollen das bGE erhalten, frei über es verfügen können und an das bGE keine Gegenleistungsverpflichtungen gebunden sind.

Die Sache sieht also ganz anders aus, wenn die Veränderungen, die ein bGE ermöglicht, systematisch betrachtet werden. Rückt man die Gewährungsbedingungen dabei ins Zentrum, ist selbst bei gleicher Betragshöhe wie ALG II eines erreicht: mit einem bGE von der Wiege bis zur Bahre wären alle Bürger gleichgestellt – ihr Engagement, wo immer es stattfände, wäre gleichwertig. Das Engagement wäre allerdings nur möglich, wenn der Betrag auch ausreicht, um auf Erwerbsarbeit zu verzichten.

Die Gleichwertigkeit des Engagements entsteht aus dem einfachen Zusammenhang, daß das Gemeinwesen den Betrag gewährt, ohne eine Vorleistung zu erwarten bzw. mit der Gewährung eine Rückführung in den Arbeitsmarkt zu verbinden. Ansprüche auf Transferleistungen müßten also nicht erst erworben werden, es gäbe auch nichts mehr nachzuweisen, wie es heute der Fall ist. Mit der Aufhebung dieser Verpflichtungen fiele auch der stigmatisierende Effekt der Transferleistungen weg, den nicht nur Hilmar Schneider offenbar für unbedeutend hält.

Das bGE wird vom Status (Staatsbürger bzw. dauerhaft Aufenthaltberechtigter), nicht von einer Leistung abhängig gemacht. Es ist keine Ermäßigung oder ein Steuerfreibetrag, wie Thomas Straubhaar sagte, denn einen Steuerfreibetrag kann nur geltend machen, wer Erwerbseinkommen erzielt hat, das bGE aber erhalten alle.

Von der Systematik aus gedacht, sind vom bGE erhebliche Veränderungen zu erwarten: die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen, die durch die Gewährung des Betrags ausgesprochen wird, stärkt die Solidarität, weil das bGE selbst schon solidarisch ist; jeder wird sich dann fragen, was er beitragen will und kann; das normative Ideal, demzufolge Erwerbsarbeit der höchste Zweck ist, würde aufgehoben und vieles mehr.

Daß die Freiheit, die wir ermöglichen wollen, auch von der Höhe des Betrags abhängt, versteht sich von selbst. Doch die Erfahrung zeigt, der schwerste Schritt ist der, ein wirklich bedingungsloses Grundeinkommen zu wollen. Wagen wir diesen Schritt, steht die Diskussion um die Höhe auf einer anderen Grundlage.

Sascha Liebermann