„Ganztagsschulen zahlen sich aus – auch für den Staat“ – was zählt schon Familie?…

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…diese Frage wirft ein Beitrag auf Spiegel Online auf, der sich auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bezieht. Drei Vorteile der Ganztagsbetreuung werden benannt, aber – zumindest erscheint es im Beitrag so – nicht weiter hinterfragt:

„Kinder profitieren demnach von besseren Bildungschancen. Vor allem sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler, die etwa keinen Zugang zu Nachhilfe haben, könnten durch die Lernförderung höhere Abschlüsse erreichen, schreiben die Forscher. Das zahle sich auch finanziell aus: Die benachteiligten Kinder könnten dadurch ihre Einkommenschancen verbessern. Voraussetzung für den Erfolg sei allerdings, dass an den Ganztagsschulen qualifiziertes Personal eingesetzt wird und es pädagogisch wirksame Angebote gibt.“

Die entscheidende Frage ist ja stets, geht es um Angebote oder Pflicht, welche Folgen hat dies und über welche Art Erfahrungen reden wir hier? Der Ausbau von Ganztagbetreuung, wie er sich in Kindergärten und Kitas schon deutlich zeigt (immer längere Betreuungszeiten, immer jüngere Kinder), läuft auf eine Institutionalisierung des Lebens hinaus in dem Sinne, dass immer mehr Lebenszeit in Erziehungseinrichtungen verbracht und damit für Erfahrungen in der Familie und im nahen Lebensumfeld nicht mehr zur Verfügung steht. Eltern, Freunde und Nachbarn – das ist ein anderes Beziehungsgefüge als mit Erziehern, die einen Beruf ausüben. Solidar- und Autonomieerfahrungen in der Familie legen den Grund für spätere Erfahrungen. Sie brauchen ihre Zeit. Die bildungspolitische Ausrichtung hat darüber hinaus ganz praktische Folgen. Wie schon auf Spielplätzen am Vormittag seit längerer Zeit zu beobachten ist, dass dort kaum mehr Kinder unter drei Jahren spielen, so gilt dies zunehmend für den Nachmittag, weil Kinder in der Nachmittagsbetreuung in Kindergarten und Schule sind. Welche Erfahrungen nimmt das Kindern? Darüber spricht die Studie offenbar nicht. Insofern überrascht der nächste aufgeführte Vorteil nicht:

„Eltern würden laut der Studie von der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie profitieren: „Die verbesserte Schulkindbetreuung unterstützt das Bemühen von Müttern, ihre Arbeitszeit auszuweiten und ihren Stundenlohn zu steigern.“ Bis zu 54.000 Vollzeitstellen könnten so bis 2030 entstehen.“

Die „Vereinbarkeit“ darf natürlich nicht fehlen, um den Preis, der oben schon genannt wird. Was Kinder sich wünschen, spielt dabei offenbar gar keine Rolle, dass sie nämlich bis zum dritten und vierten Lebensjahr am liebsten mit ihren Eltern und nahestehenden Personen zusammen sind, sofern sie entsprechend intensive Erfahrungen vorher schon gemacht haben, findet nicht einmal Erwähnung. Als sei die Erfahrung des Angenommenwerden und Aufgehobenseins für die spätere Leistungsfähigkeit und – bereitschaft nicht grundlegend. Man wüsste hier gerne, auf Basis welcher Daten mit Hilfe welcher Annahmen die Autoren zu ihren Schlussfolgerungen kommen. Fehlen darf auch folgendes nicht:

„Volkwirtschaftlich würden sich die Investitionen in absehbarer Zeit durch höhere Staatseinnahmen refinanzieren, schreiben die Forscher. Schließlich entstünden dank Ganztagsbetreuung zusätzliche und höherwertige Jobs, gleichzeitig würden dadurch die Sozialausgaben sinken.“

Wie sehr die Forscher hier nur eine Dimension des Lebens herausheben und andere nicht sehen, wenn der Spiegel-Beitrag dies richtig wiedergibt, kann schon verwundern. Was ist von solcher Forschung zu halten, in der Familie als Erfahrungsort und -raum gar nicht in Erscheinung tritt, von der bei Ganztagsbetreuung nicht mehr viel übrig bleibt außer Teilzeitelternschaft zum Frühstück, zum Abendessen und am Wochenende?

Sascha Liebermann