In diesem Videointerview redet sich Kevin Kühnert um Kopf und Kragen, wenn es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen geht. Er schildert, was ihm Angst mache angesichts eines BGE (ab Minute 28:22). Zuerst gibt er seine Aufgeschlossenheit zu erkennen, zeigt in die Kamera, welches Buch er dazu lese, erzählt, mit wem er darüber spreche und dass die Argumente, die pro BGE vorgebracht werden, alle gut klingen. Er nennt selbst einige Beispiele, was durch es möglich werde (z. B. Zeitsouveränität). Dann geht es mit den Einwänden los – wobei Einwände gegen ein BGE folgen gar nicht.
Also, die sogenannten Einwände: zuerst fehlten der Debatte „belastbare Erkenntnisse“ darüber, was ein BGE „mit den Menschen mache“ – oder sollte man eher sagen, was diese mit ihm machen? Diese unscheinbare, heute jedoch verbreitete Ausdrucksweise ist der Inbegriff der Kümmererhaltung, die letztlich auf Bevormundung hinausläuft, als widerfahre den Bürgern das BGE. Es schafft doch lediglich Möglichkeiten und die können ergriffen werden oder auch nicht. Insofern „macht“ das BGE nichts mit den Menschen, es eröffnet etwas, das ist alles. Abgesehen davon fehlt es nicht an Erkenntnissen darüber, was „Menschen“ wichtig ist im Leben und weshalb sie handeln, wie sie handeln – vielleicht kennt Kühnert sie nicht. Ein Blick ins Grundgesetz könnte schon Einsichten verschaffen, welche Zumutungen in Sachen Autonomie und Selbstbestimmung den Bürgern abverlangt wird, die nicht utopisch, sondern ganz real sind. Aber wie bei Christian Lindner und anderen (siehe auch hier) scheinen diese Überzeugungen, wenn man sie denn so nennen kann, nicht allzu weit zu tragen. Von den hehren Ansichten kippt es dann sogleich ins Gegenteil, wenn Kühnert folgendes sagt:
„meine Angst ist, dass die andere Hälfte der Gesellschaft“ die auf maximal hohes Gehalt ziele, einen guten Schnitt machen, vielleicht Leute ausbeuten, dass „die die gleiche Party […] unter sich veranstalten“
Die „andere Hälfte“ ist das Komplement zu denen, die gerne arbeiten, sich einbringen wollen, unbezahlte Arbeit leisten usw. – aber: die Hälfte der Bevölkerung? Die eine Hälfte ist also edel und die andere gierig und materialistisch? Und weil das so sei, wie er behauptet, habe er Angst vorm BGE? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Kühnert gibt damit – womöglich unfreiwillig – zu erkennen, dass er von dem, was das Grundgesetz ganz selbstverständlich voraussetzt, offenbar nicht allzuviel hält, also nicht allzu sehr darauf vertraut. Deswegen bedarf es dann wohl der Kontrolle der einen Hälfte oder vielleicht doch aller, weil das ja sonst ungerecht wäre?
Es ist doch immer wieder erstaunlich, welche Gestalt Einwände annehmen, die letztlich genau bestätigen, weshalb das BGE ein großer Schritt wäre: allerdings nicht, weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben wären, zumindest nicht unsere Lebensverhältnisse betreffend. Vielmehr scheitert es am Misstrauen in die eigenen Lebensrealitäten, eine Art Weltfremdheit bezüglich des Lebens, das schon gelebt wird.
Sascha Liebermann