Götz W. Werner ist am vergangenen Dienstag, kurz nach seinem 78. Geburtstag, verstorben. Die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen hat mit ihm eine tragende Stimme verloren. Unsere Anteilnahme gilt seiner Familie und allen Angehörigen.
Wer an die Zeit zurückdenkt, als die jüngere öffentliche Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen einsetzte, also etwa um die Jahre 2004/5 herum, kommt an Götz W. Werner nicht vorbei. Zwar war er nicht der einzige, der sich damals für ein BGE einsetzte, er war aber der mit Abstand am meisten Vernommene, der auch dort gehört und eingeladen wurde, wo andere nicht hindrangen. Unsere allererste Begegnung mit seinem Denken hatte noch gar nichts mit einem BGE zu tun, uns war nicht einmal bekannt, dass er sich dafür interessierte. Im Sommer 2003 oder 2004 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung ein Porträt über ihn und sein Verständnis von Unternehmensführung. Bestechend fanden wir darin einen Satz, der sinngemäß lautete, Menschen könne man nicht motivieren, lediglich könne man gute Bedingungen dafür schaffen, dass sich ihre Motivation entfalte. Angesichts des ständigen Geredes über Mitarbeitermotivation, Anreizsysteme und solche Dinge fanden wir das bemerkenswert, erstaunlich geradezu. Denn in diesem einen Satz drückte Werner aus, was seine Haltung zum BGE auszeichnete: es brauche all diese „Anreize“ nicht, er hielt sie sogar für hinderlich, eher müsse man – hier frei abgewandelt – die Knüppel aus dem Weg nehmen, die jemanden daran hindern, initiativ zu werden. Nicht Druck, so eine andere Wendung, Sog sei nötig, wenn es Veränderungen geben solle, Initiative entfalte Sog, könne andere mitreißen. Deswegen könne man „Arbeit […] ermöglichen, bezahlen kann man sie nicht“.
Wenige Monate nach der Lektüre des Porträts, also im Dezember 2004, erhielten wir den Hinweis auf ein Interview, veröffentlicht in a tempo, einer Beilage des dm-Magazins Alverde, mit dem Titel „Immer am Säen“ (wieder abgedruckt hier). Das Interview sei unseren Überlegungen so ähnlich – und so war es, wir waren ziemlich erstaunt und begeistert. Die Debatte war gerade dabei in Gang zu kommen und es gab viele Einwände gegen ein BGE. Zu sehen, dass es Mitstreiter gab, die ähnlich argumentierten, bestärkte uns gerade zu diesem Zeitpunkt darin, in unserem Bemühen fortzufahren. Es war unserer Erinnerung nach dieses Interview, das den Anstoß gab, Herrn Werner anzurufen, zuerst erfolglos, denn wir erreichten ihn nicht, woraufhin er, ohne Berührungsängste wie er war, einfach zurückrief. Das war der Beginn eines regen, über viele Jahre anhaltenden Austauschs darüber, was ein BGE alles ermöglichen könnte, wie eine Einführung vorstellbar wäre, wo Ungewissheiten lägen. Überhaupt war es ihm wichtig, sich mit anderen auszutauschen, ganz gleich, ob sie seiner Auffassung waren oder nicht, er suchte geradezu die Kritik, bot sie doch Gelegenheit, die eigenen Überlegungen zu prüfen. Dafür schuf er immer wieder Anlässe, seien es Arbeitstreffen, Gespräche im kleinen Kreis, Symposien oder Podiumsdiskussionen. Konsens war nicht sein Ziel, der Austausch diente dazu, die eigene Haltung zu bestimmten Fragen wie auch der des Gegenübers zu klären. So konnte man im Dissens auseinandergehen und blieb dennoch verbunden.
Er war zu dieser Idee zunächst wegen der seiner Ansicht nach erforderlichen Revision des Steuersystems hin zu dessen Vereinfachung durch eine alle anderen Steuerarten ablösenden Konsumsteuer gekommen. Da durch eine solche Umsteuerung der Steuerfreibetrag wegfallen würde – im Prinzip kommt in diesem Freibetrag ja schon der Geist des BGE zum Ausdruck, nur eben beschränkt auf Einkommenserzieler – könnte durch ein BGE dies universalisiert werden; in angemessener Höhe ausgezahlt, würde endlich jeder Staatsbürger als Person gewürdigt und praktisch anerkannt werden. Um diesen Geist, um die Idee des BGE zu befördern versuchte Götz Werner im Jahr 2005, wie so oft im Austausch mit anderen, deren Einschätzung ihm wichtig war, mit einer halbseitigen Anzeige in allen großen deutschen Tageszeitungen, Aufmerksamkeit für das BGE zu schaffen. Das öffentliche Echo war erheblich, wie schon wenige Monate zuvor, als er mit einem Interview in brand eins „Wir leben in paradiesischen Zuständen“ für erheblichen Wirbel gesorgt hatte. Dass ein Unternehmer sich für ein BGE aussprach und wie er es tat, begeisterte und irritierte, denn für gewöhnlich äußerten sich Unternehmer wenig zu politischen Fragen und dann schon gar nicht in diese Richtung. Wenige Monate danach gab er der Stuttgarter Zeitung ein Interview, in dem er sagte: „Die Wirtschaft hat die Aufgabe, die Menschen von der Arbeit zu befreien“. Damit bürstete Werner die öffentliche Diskussion um Arbeitslosigkeit und den aktivierenden Sozialstaat gegen den Strich und kritisierte, dass Arbeitsplätze wie Beschäftigungstherapie betrachtet werden, das sei aber nicht Aufgabe der Wirtschaft. Ebenso deutlich ließ er erkennen, von welchem Menschenbild er ausging, als er sagte „Hartz IV ist offener Strafvollzug“ (Interview im stern im April 2006) – er verstand es, prägnante Formulierungen für drängende Fragen zu finden. Er hielt Vorträge über Vorträge, nahm an Talk-Runden im Fernsehen teil, auf Podien, gab unzählige Interviews, unterstützte die BGE-Debatte in den verschiedensten Formen, scheute keine Diskussionen – auch mit denjenigen nicht, die in ihm die Verkörperung des Kapitalismus erkannten und ihn für einen Scharlatan hielten. In den Jahren 2005 und 2006 war er derart präsent in der medialen Berichterstattung, dass der Eindruck entstehen konnte, eine Einführung stünde kurz bevor.
Zu seinen unzähligen Veröffentlichungen kleinerer Art gehörten ebenso größere wie einige Bücher zum Grundeinkommen. Die womöglich wichtigsten seien hier benannt, das erste im Jahr 2006 war eine Sammlung von Interviews mit Werner und Benediktus Hardorp kombiniert mit Gastbeiträgen anderer Autoren aus der öffentlichen Debatte. Dann folgte 2007 Einkommen für alle, 2008 eine Zwischenbilanz zum Grundeinkommen, in 2010 1000 Euro für jeden gemeinsam mit Adrienne Goehler, 2012 Das Grundeinkommen: Würdigung – Wertungen – Wege, ein Sammelband mit verschiedenen Beiträgen, die das Spektrum der Fragestellungen bearbeiten, die ein BGE aufwirft, und zuletzt, 2018, eine vollständig überarbeitete Version von Einkommen für alle, im Grunde ein neues Buch. Verfasst hat Werner die Bücher nicht selbst, daraus machte er kein Geheimnis, aber sie waren in seinem Geiste geschrieben, das erschloss sich einem schnell, wenn man Vorträge gehört oder Interviews mit ihm gelesen hatte.
Viele Schubladen wurden bemüht, um seine Stellungnahmen einzuordnen. Er sei ein Träumer – doch ohne Träume keine Zukunft, keine Alternative, deswegen nannte er sich einen Realträumer; er sei ein Neoliberaler – doch einen Neoliberalen, der vergleichbar für ein BGE argumentiert, sucht man vergebens; er wolle nur sicherstellen, dass seine Waren gekauft werden – nun, als Unternehmer ist das notwendig, sonst gehe das Unternehmen unter; er sei ein Idealist und gehe davon aus, der Mensch sei edel und gut – hierauf pflegte er zu entgegen, man müsse nur hinschauen, dann sehe man die Bereitschaft, sich zu engagieren, und wo das nicht der Fall sei, gebe es Gründe dafür. Viele der Einwände fallen in Werners Augen auf diejenigen zurück, die sie vorbringen, etwa indem sie den Menschen als einfaches „Reiz-Reaktions-Wesen“ betrachten. Er hingegen ging stets von der Menschenwürde, von Freiheit und Selbstbestimmung aus, und hielt sie für die Grundpfeiler des Zusammenlebens. Mit Götz W. Werner hat die öffentliche Diskussion einen inspirierenden, charismatischen, streitbaren, keine Diskussion scheuenden Befürworter verloren, der an konkreten Lösungen interessiert war und dennoch grundlegende Fragen des Zusammenlebens durchdachte.
Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung