Es scheint ans Eingemachte zu gehen,…

…so lesen sich zumindest die letzten Pressemitteilungen der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Nachdem vor kurzem Stephan Stracke schon davor gewarnt hatte, wohin das Bürgergeld führen könne (früher warnte er vor den Faulen), folgt ihm nun Hermann Gröhe mit dem üblichen Paternalismus, der zugleich all die Leistungen unerwähnt lässt, die überhaupt erst aus Kindern autonom handlungsfähige Bürger werden lassen, Stichwort familiale Fürsorge. „Eigenverantwortliche Lebensgestaltung“ heißt natürlich Erwerbstätigkeit, da ist für anderes kein Platz, was ist das wohl, was Eltern zuhause tun, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern, was machen wohl die Freiwilligen in der Feuerwehr, in all den Vereinen – ist das denn eigenverantwortlich oder nicht? Und wie schlecht es um die Bürger steht, die diesen Status haben, unverfügbar ist er, und dafür überhaupt gar nichts leisten müssen. Bürger zu sein ist von daher der Inbegriff des bloßen Leistungsempfängers, der vom schönen „Vater Staat“ gepampert wird und alle Viere von sich strecken könnte. Warum nur entspricht das nicht der Realität, eine Frage, auf die vielleicht eine der nächsten Pressemitteilungen eine Antwort gibt.

Mit leichten Verdrehungen nimmt Gröhe auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Bezug, denn nicht hat es Sanktionen bejaht, es hat eher hervorgehoben, dass das Grundgesetz sie nicht verbiete oder ausschließe:

„Die eigenständige Existenzsicherung des Menschen ist nicht Bedingung dafür, dass ihm Menschenwürde zukommt; die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen, ist vielmehr Teil des Schutzauftrags des Staates aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Grundgesetz verwehrt dem Gesetzgeber jedoch nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, solche Leistungen also nur dann zu gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können.“ (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16) (siehe auch den Kommentar Stefan Sells dazu)

Das liest sich schon etwas anders. Gröhe weiß darum, wie wenige der Leistungsbezieher überhaupt nur sanktioniert werden und hält es für ungerecht, Sanktionen dennoch auszusetzen, ungerecht denen gegenüber, die nicht sanktioniert werden. Eine interessante Gerechtigkeitsvorstellung. Er vergisst aber zu erwähnen, wofür die Sanktionierten (etwa 2-4 Prozent zwischen 2007 und 2019) sanktioniert werden. Meldeversäumnisse machen etwa drei Viertel der Sanktionen in den letzten Jahren aus. Es sei auch ungerecht gegenüber den Steuerzahlern, heißt es an anderer Stelle, die das ganze finanzieren. Das Existenzminimum ist also doch nicht unverfügbar, aus Gründen der Gerechtigkeit, nun ja.

Sascha Liebermann