…sagt Cornelia Klinger im Interview in der taz, ohne weiter auszuloten, was denn ein Bedingungsloses Grundeinkommen gerade leisten könnte. Es geht in dem Gespräch um „Care“, Klinger hält den Ausdruck „Lebenssorge“ für angemessener und äußert sich an einer Stelle zum BGE:
„[taz] Es stimmt, die patriarchale Grundstruktur ist nie aufgeknackt worden. Wie würde man da denn rauskommen? Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen in der Hoffnung, dass dann alle Menschen ihr Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und Lebenssorge besser austarieren können?
[Klinger] Diese Fragen muss ich den Ökonominnen und den Sozialwissenschaftlerinnen überlassen. Meine Befürchtung wäre, dass die ganzen gut gemeinten Reformen nichts ändern werden, wenn sich die Gesellschaft in ihrer Gesamtstruktur nicht verändert. Forderungen nach ein bisschen mehr Lohn – diese Vertariflichung von Arbeit hat nicht zur Veränderung von Klassenverhältnissen geführt. Solange die Logik der kapitalistischen Ökonomie und der nationalstaatlichen Rahmung nicht verändert ist, sehe ich keinen richtigen Ausweg. Die sogenannte Humanisierung des Kapitalismus durch kleine Schritte hat wenig gebracht. Die Schere gesellschaftlicher Ungleichheit geht immer weiter auf.“
Klinger antwortet hier überraschend zurückhaltend, als Philosophin könnte sie doch ausloten, was ein BGE möglich machen könnte und was nicht, indem sie vergleicht, welche Möglichkeiten es schüfe, die es heute in der Form nicht gibt. Ebenso überraschend fällt dann ihre nachfolgende Bewertung der „gut gemeinten“ Reformen aus, dabei kommt es nicht darauf an, ob Reformen gut gemeint sind, sondern darauf, was sie tatsächlich ermöglichen. Das könnte in Sachen BGE ausgelotet werden, unterbleibt aber, vielleicht ist ihr die Debatte auch nicht vertraut. Desweiteren wäre die Frage, was denn wohl die „Gesamtstruktur“ der „Gesellschaft“ ausmacht, ist sie überhaupt so homogen, wie es bei Klinger erscheint? Gibt es nicht Veränderungsmöglichkeiten, die klein scheinen, aber große Folgen haben?
All die gut gemeinten Reformen, die sie dann anführt, sind solche innerhalb der Erwerbszentrierung, und es ist geradezu konsequent, dass die Bedeutung von Erwerbstätigkeit nicht ab-, sondern eher noch zugenommen hat, seitdem sie für Frauen gleichermaßen gilt wie für Männer. Klinger scheint genau diesen Zusammenhang nicht zu sehen und zugleich wäre das der Ansatzpunkt, um ein BGE in seiner Reichweite zu bestimmen. Dass ein BGE die Erwerbszentrierung in ihrer normativen Stellung aufheben würde, dass Einkommenssicherheit nicht mehr an Erwerbsbereitschaft gebunden wäre, dass dann erst die Möglichkeit bestünde, Sorgetätigkeiten zu übernehmen, ohne zuvor die Frage geklärt zu haben, wie Einkommen erzielt wird – nichts davon erwähnt sie. Dabei wäre das die entscheidende Frage, wenn die Degradierung von „Lebenssorge“ ein Ende haben und aus der Erwerbszentrierung hinausgelangt werden soll. So bleibt die Rede von der „Gesamtstruktur“ abstrakt und unterbestimmt.
Ebenso erstaunt ihre Geringschätzung der „nationalstaatliche[n] Rahmung“? Ist nicht andersherum der Nationalstaat gerade die Form politischer Vergemeinschaftung, die Universalismus verkörpert und zugleich Selbstbestimmung ermöglicht? Sie ist bislang die einzige durch und durch demokratisch legitimierte Form politischer Selbstbestimmung, sie bietet alle Möglichkeiten.
Zuvor sagt sie noch dies:
„[taz] Wo kollidieren Lebenssorge als bezahlte Arbeit und Kapitalismus?
[Klinger] Die Frage ist, ob das Leben von Menschen profitabel gemacht werden kann. Ich glaube, da verzocken wir uns. Ja, solange die menschliche Arbeitskraft vermachtet und vermarktet wird, kann und soll auch Sorgearbeit – gut – bezahlt werden. Aber die Sache geht schief, wenn Profit zum einzigen Motiv der Lebenstätigkeit wird. Dieses Leben, das so ins Einzelne geht, und das so am Einzelnen hängt, das gepflegt und versorgt werden muss, das können wir der ökonomischen Rationalität nicht unterwerfen. Und jetzt ist die Frage: Ändern wir unsere Rationalität so, dass sie für unser Leben passt? Oder ändern wir unser Leben so, dass es in die rationalen Prozesse von Markt und Staat passt?“
Welche „Sorgearbeit“ meinte sie hier, die als professionelle Dienstleistung erbrachte, die in den eigenen vier Wänden, für Angehörige, für Freunde? Das sind verschiedene Dinge, denn im ersten Fall geht es zwar auch um die Sorge für eine Person, allerdings für eine, zu der man keinerlei über das professionelle Sorgeverhältnis hinausgehende Verbindung haben muss, sie wäre sogar eher kontraproduktiv, Quell von Überlastung und Überforderung, wenn man jedes Lebensschicksal nah an sich heranließe. Die zweite Form ist gerade anders herum gestrickt, wenn man so sagen will, sie beruht auf einer Nahbeziehung, die nicht über die professionelle Sorgetätigkeit entstehen kann, sondern ihr vorausgeht, sie überhaupt erst eröffnet und nahelegt. Soll sie „bezahlt“ und damit in eine Dienstleistung verwandelt werden? Erhalten sorgende Angehörige ein „Gehalt“, inklusive festen Arbeitszeiten, Urlaubsansprüchen usw.? Klinger würde damit jedoch gerade vorantreiben, was sie zuvor zum Problem erhoben hat. Es geht dabei nicht darum, ob „Profit“ Zweck der Dienstleistung ist, es geht um das Beziehungsgefüge, das im Zentrum steht. Ist denn „Profit“ heute das einzige „Motiv“ oder ist das eher ein Klischee? Nun sagt sie wenige Zeilen später, dass das Leben nicht der „ökonomischen Rationalität“ unterworfen werden soll. Das würde eine Bezahlung aber mit sich bringen, die sie zuvor vorgeschlagen hat.
Was ist nun der Ausweg? Hängt man die Frage etwas niedriger auf und zielt nicht sogleich auf die Gesamtstruktur, dann wäre das BGE ein weitreichender Vorschlag, der Vieles leisten könnte. Klinger scheint das fremd zu sein.
Sascha Liebermann