…darüber schrieb im vergangenen April im Nordkurier Carsten Korfmacher und machte ein paar treffende Anmerkungen zu Meinungsumfragen und der undifferenzierten, leichtgläubigen Reaktionen auf sie.
Anlässlich einer standardisierten Befragung (denn das sind Umfragen in der Regel) des Allensbachers Umfrageinstituts unkten manche, sie komme zu „beunruhigenden Ansichten“. Korfmacher schreibt dann „Forscher werteten die Ergebnisse dem SWR zufolge als Anzeichen dafür, dass fast ein Drittel der Deutschen das demokratische System infrage stellt, wenn nicht gar abschaffen würde – was ganz offensichtlich Unsinn ist.“ Korfmacher hingegen macht etwas anderes in den Antworten ausfindig: „Eine mögliche erwünschte Alternative zu ‚dem demokratischen System‘ im Sinne der Befragten wäre ja kein autoritäres, anti-demokratisches Regime, sondern ein System mit noch mehr Einflussmöglichkeiten, noch mehr Bürgerbeteiligung.“ Insofern müssten die Befunde also differenzierter betrachtet werden. Weiter schreibt er:
„Das Mutterkonzept für die Idee der Demokratie wiederum ist jenes der Freiheit: Demokratie ist nur dann möglich, wenn Bürger sich politisch frei entfalten können. Entsprechend parallel dazu entwickelt sich das Empfinden der Bürger bezüglich demokratischer Zustände: Ein erhöhtes Demokratie-Empfinden ist nur möglich, wenn die Bürger auch ein entsprechendes Empfinden politischer Freiheit haben. Was aber könnte dieses Freiheitsempfinden beeinträchtigen? Die Möglichkeiten sind hier schier unendlich: niedrige Löhne, armutstreibende Renten, eine mangelnde Unterscheidbarkeit zwischen den politischen Parteien, soziale Ungerechtigkeit, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, lahme Behörden, ausufernde Bürokratie, Steuererhöhungen, als überzogen wahrgenommene Corona-Maßnahmen, einseitige Berichterstattung in den Medien, steigende Mieten, fallende Zinsen, Debatten-Maulkörbe, persönliche Angriffe in Twitter-Diskussionen. Praktisch jede Freiheitseinschränkung mit einer politischen Dimension kann von einem Bürger als Mangelerscheinung eines politischen Systems aufgefasst werden. Das sagt aber rein gar nichts darüber aus, ob dieser Bürger tatsächlich ein Problem mit der Demokratie an sich hat – oder einfach ein unter Umständen sehr berechtigtes Problem mit den wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er lebt.“
Eine differenzierte Beschreibung der Zusammenhänge, die standardisierte Befragungen so nicht erheben können, weil sie die Befragten nicht in ihren eigenen Worten antworten lassen. Korfmacher fährt fort:
„Anstatt uns also gegenseitig das Märchen vom undemokratischen Bürger zu erzählen, sollten wir genauer hinhören und differenzieren: Wo müssen wir Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretikern oder anti-liberalen Krakeelern, die es selbstverständlich auch gibt, die Stirn bieten? Und wo läuft hier etwas in unserer Gesellschaft, und nicht bei der Einstellung des Bürgers, schief? Denn über einen Mangel an Dingen, bei denen die Bundesrepublik Deutschland gesellschaftspolitisch auf ganzer Linie versagt hat, können wir uns wahrlich nicht beklagen. Und in der ehrlichen, offenen Diskussion, die dann hoffentlich entsteht, darf sich gerne auch eine weitere Idee durchsetzen: Genau so, wie Freiheit die Bedingung für Demokratie ist, ist Verantwortung die Bedingung für Freiheit. Nur dort, wo wir Bürger bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, sind wir auch der Freiheit würdig. Mehr Freiheit fordern, bei jeder Kleinigkeit aber nach dem starken Staat rufen, wenn es gerade nicht im eigenen Sinne läuft, ist nicht drin. Wer Kuchen essen will, muss auch die Kalorien akzeptieren.“
Sascha Liebermann