…daran hat sich in der Ausarbeitung nichts geändert, die die Bundesministerin Lisa Paus im Interview mit der tagessschau erkennen lässt. Vieles ist noch zu entscheiden, was die Ausgestaltung betrifft, das wird im Gespräch deutlich. Worin sieht die Ministerin die Veränderung durch eine Kindergrundsicherung?
„Paus: Der Paradigmenwechsel besteht darin, dass wir eine strukturell verfestigtete Kinderarmut in Deutschland systematisch angehen. Erstens durch die finanziellen Leistungen, zweitens durch die Bündelung der vielen Leistungen, bei denen selbst Expertinnen und Experten nicht mehr durchblicken, und drittens durch eine neue Servicepflicht des Staates.“
Das spricht für mehr Übersichtlichkeit und ist zu begrüßen, aber zugleich gilt doch: Kinderarmut ist Einkommensarmut der Eltern, will man das eine nicht, kann man das andere nicht lassen – sie gehören zusammen.
Weiter heißt es:
„Viele Familien wissen nicht, auf welche Sozialleistungen sie Anspruch haben. Wir wollen künftig alle Familien erreichen, die einen Anspruch haben. Heute nehmen bis zu 70 Prozent aller Familien, die einen Anspruch auf Leistungen haben, diesen nicht wahr. Wir wollen aus der Holschuld der Bürgerinnen und Bürger künftig eine Servicepflicht des Staates machen. Darin liegt ein großer Hebel. Dafür werden wir ein digitales Kindergrundsicherungsportal und den „Kindergrundsicherung Check“ schaffen.“
Das ist in der Tat skandalös und bestätigt die Ziel-Ungenauigkeit des bestehenden Sozialstaats. Doch auch hier gilt sie nur für die Kinder, für die Eltern kann er zielungenau bleiben.
„Die Kindergrundsicherung soll alle Familienkonstellationen erreichen, auch die Mittelschicht. Denn in eine finanzielle Schieflage zu geraten, kann jeden treffen. Zum Beispiel durch eine Trennung: Insbesondere Frauen, die plötzlich alleinerziehend sind, können schnell in finanzielle Schwierigkeiten kommen.“
Die Kindergrundsicherung trägt aber nicht dazu bei, dass alleinerziehende Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben können, dazu ist sie zu niedrig, es sei denn, es wäre hier noch eine Zusatzleistung vorgesehen, danach klingt es nicht. Es mag also eine Verbesserung sein, die jedoch wenig zu der entscheidenden Frage beiträgt, mehr Zeitsouveränität zu erreichen. Im Grunde sind Alleinerziehende dadurch in einer ähnlich schwierigen Lage wie heute. Kontrastieren wir das mit den Möglichkeiten, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen schüfe, wird deutlich, wo wegweisende Veränderungen lägen.
„tagesschau.de: Ihr Koalitionspartner FDP befürchtet, dass die Kindergrundsicherung am Ende so hoch ist, dass der Anreiz zum Arbeiten verloren geht. Wie sorgen Sie dafür, dass es so weit nicht kommt?
Paus: Wir wollen die Anreize zur Arbeitsaufnahme deutlich verbessern, so wie auch zuletzt beim Bürgergeld. Das ist auch das Ziel bei der Kindergrundsicherung. Ich kann Ihnen zahlreiche Beispiel vorrechnen, in denen Menschen von ihrem Verdienst nur zehn Prozent behalten dürfen. Oder manchmal ist es sogar so, dass Sie nach einem mehrverdienten Euro netto sogar weniger haben als vorher.“
In altem Fahrwasser – siehe unseren früheren Kommentare dazu hier und hier.
Und abschließend:
„Ich weiß, was für ein Mammutprojekt die Kindergrundsicherung ist. Ich habe jetzt über zehn Jahre lang an dem Konzept mitgearbeitet, mir die verschiedenen Aspekte angeschaut und daran gefeilt. Ja, es dauert jetzt noch ein bisschen. Bis zum Ende der Legislaturperiode muss die Kindergrundsicherung dann allerdings auch tatsächlich kommen. Kinderarmut ist eine Schande für so ein reiches Land wie Deutschland. Wie wir damit umgehen ist auch ein Gradmesser dafür, wie sozial gerecht es bei uns zugeht und wie stark der soziale Zusammenhalt ist.“
Recht hat sie, doch allzu viel verändert die Kindergrundsicherung dann doch nicht, ein zarter Schritt in die richtige Richtung.
Sascha Liebermann