„Beratung auf Augenhöhe“, „Coachingangebote“, „gesellschaftliche Teilhabe“ – ja, mit einem Bürgergeld ohne Bürger

Vor wenigen Wochen habe ich die Ausführungen zum „Bürgergeld“ im Sondierungspapier kommentiert. Nun ist der Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen vorgelegt worden, welche Richtung nimmt das Bürgergeld dort, ist es mehr als eine Aufhübschung des Bestehenden?

Die Ausführungen, beginnend ab Zeile 2471, machen schnell deutlich, worum es geht. Das Bürgergeld stellt „die Potentiale der Menschen und Hilfen zur Integration in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe“ (Z. 2485). Während man bei „Potentiale der Menschen“ noch denken könnte, es gehe um die Menschen selbst, obgleich die Rede von Potentialen stets auf die Hebung bzw. Entwicklung derselben aus ist, weist die „Integration in den Arbeitsmarkt“ klar die Richtung. Die Potentiale verbinden sich schnell mit dem Arbeitsmarkt in Potentiale bezüglich des Arbeitsmarkts. Damit ist die Ausrichtung deutlich, es ist kein Bürgergeld um der Bürger willen, es ist eines um der Erwerbstätigkeit willen.

Damit ist „gesellschaftliche Teilhabe“ allzu schnell verengt auf eine am Arbeitsmarkt – erschöpft sie sich etwa darin, ist sie überhaupt die entscheidende? Für die Koalition schon. Ein Leben jenseits ist also eines in den Resträumen, die Erwerbstätigkeit noch lässt.

Wenn direkt darauf folgend von einer „Beratung auf Augenhöhe“ (Z. 2487 f.) die Rede ist, klingt das nach Professionalisierung der Beratung im Sinne eines Arbeitsbündnisses, doch ein solches beruht auf Freiwilligkeit. Sie ist aber in einem Zusammenhang, dessen Ziel die sanktionsbewehrte Reintegration in den Arbeitsmarkt ist, nicht möglich. So erhält die wohlklingende Formel sogleich einen schalen Beigeschmack. Das wird um so deutlicher, wenn darauffolgend von der Teilhabevereinbarung (Z. 2490) und den schon bekannten Mitwirkungspflichten (Z. 2495) die Rede ist. „Teilhabevereinbarung“ – klingt auch gut, aber – vom Bürger aus gedacht – wäre da Teilhabe nicht der Ausgangspunkt, der keiner Vereinbarung bedarf? Auch wird „Coachingangebot im Sanktionsfall“ (Z. 2499) angeboten, topmodern das ganze, Beratung auf Augenhöhe, Coaching – nun ja, sanktionsbewehrtes Coaching.

Wichtig für die Gesamtausrichtung ist dann noch das Ziel, „Mütter von kleinen Kindern früher“ zu erreichen (Z. 2525), also früher wieder in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Warum Mütter? Nun, Väter sind ja ohnehin schon dort, doch statt sich die Frage zu stellen, wie Familien mehr Luft zum Atmen erhalten könnten, also Luft frei von Erwerbstätigkeit, wird auf den fahrenden Zug aufgesprungen, den die Koalitionen der vergangenen Jahre tüchtig am Laufen gehalten haben: U3-Betreuung, Ausbau der Betreuungszeiten, Ausweitung des Betreuungsumfangs. Nichts Neues also von dieser Seite, die weitere Verdrängung von Familie an den Rand.

Das Bürgergeld ist also doch ein Erwerbstätigengeld, der Vorrang bleibt klar, Hartz IV ist endlich überwunden, abgeschafft, ausradiert oder wie auch immer – aber nur semantisch.

Sascha Liebermann