„Der beste Schutz vor Armut ist Arbeit“…

…so Arndt Kirchhoff, Präsident von Unternehmer NRW und Metall NRW, in einem Interview mit der Rheinischen Post:

In NRW ist das Risiko, in Armut abzurutschen, auf ein Rekordniveau geklettert. Da läuft doch was falsch.
Kirchhoff: Der beste Schutz vor Armut ist Arbeit. Deshalb sollten wir unsere sozialen Sicherungssysteme hinterfragen. Ein Hartz-IV-Empfänger mit zwei Kindern bekommt Netto nicht viel weniger als ein Beamter auf der untersten Stufe.“

Diese Äußerung spricht dem Umstand Hohn, dass es zahlreiche Aufstocker gibt, die gerade mit ihrer Erwerbstätigkeit kein auskömmliches Einkommen erzielen. Eine solche Platitüde zu äußern ist angesichts der Lage nicht nur befremdlich, sie ist weltfremd (siehe dazu hier). Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Vorstellung, erwerbstätig werde jemand nur, wenn es sich lohnt, ebenfalls empirisch nicht haltbar ist (zur Armutsfalle siehe hier). Zur Debatte darüber, was Hartz IV-Bezieher tatsächlich erhalten, siehe folgende Grafik und die Ausführungen von Johannes Steffen:

Wie geht es im Interview weiter?

„Was schlagen Sie stattdessen vor?
Kirchhoff: Wir müssen stärkere Anreize zur Aufnahme einer Arbeit schaffen. Man könnte darüber nachdenken, Menschen zu Beginn der Arbeitslosigkeit sogar mehr zu zahlen als heute, die Zuwendungen dann aber relativ zügig abzuschmelzen. Hier empfehle ich, dass wir uns das dänische Modell des „Förderns und Forderns“ mal genauer ansehen. Für Härtefälle müsste es natürlich eine andere Lösung geben. Auch das gehört zur sozialen Marktwirtschaft.
Zur Wahrheit gehört auch, dass der Betrag in Ihrem Hartz-IV-Rechen-Beispiel wegen der Kinder so hoch ist.
Kirchhoff: Ich will, dass das Geld auch tatsächlich den Kindern zugutekommt. Deshalb bin ich für Bildungsgutscheine. Das ist übrigens auch ein Instrument, dass wir im Asylbereich anwenden sollten.“

Auch hier greift er wieder auf die „Anreiz“-Denke zurück, die eben gerade den Problemlagen nicht entspricht, die in diesem Zusammenhang gelten (siehe oben Armutsfalle). Dass andere Länder in der Tat anders mit Leistungen für Arbeitslose verfahren, zeigt immerhin, dass es immer Alternativen gibt. Bildungsgutscheine als Disziplinierungsinstrument, um die Eltern an der Leine zu führen? Eine interessante Haltung angesichts dessen, dass Arbeitgeber doch gerne den liberalen Arbeitsmarkt hochhalten, aber von einer Liberalität gegenüber Leistungsbeziehern wenig zu halten scheinen.

„Sie meinen Gutscheine statt Geld für Asylbewerber?
Kirchhoff: Genau. Viele Flüchtlinge kommen auch deshalb in unser Land, weil hier die staatlichen Zuwendungen besonders hoch sind. Sie gehen zum Beispiel nicht nach Portugal, weil der Staat dort weniger zahlt. Wenn wir weiter bei unserem System bleiben, werden wir auch die meisten Flüchtlinge haben. Ich bin dafür, nur ein Taschengeld ergänzt um Gutscheine etwa für Wohnung, Lebensmittel, Kleidung und Bildung zu zahlen. Das könnte finanzielle Fehlanreize verringern.“

Manchmal führt es weiter, sich Fragen zu stellen wie diese: wie lange ist denn die Verweildauer im Leistungsbezug und wer befindet sich aus welchen Gründen länger darin? Gibt es wirklich ein „Anreiz“-Problem, das für die heutige Lage verantwortlich ist? Daran einmal Gedanken zu verschwenden, könnte Auswege aus der gegenwärtigen Misere weisen. Die Äußerungen dazu, weshalb „Flüchtlinge“ in unser Land kommen, sind derart eindimensional, dass man staunen kann. Welche Krisen, welches Scheitern es für sie bedeutet, wenn sie es hier nicht schaffen, der Kulturschock, der meist unterschätzt wird – das sollte in diesem Zusammenhang wenigstens benannt werden. Doch einmal mehr erweist sich ein Arbeitgebervertreter demselben Paternalismus verhaftet, den diese Seite doch sonst gerne kritisiert.

Sascha Liebermann