Verfehlte Nostalgie, einseitige Wahrnehmung und Ausweglosigkeit in der Debatte – zur jüngsten Sendung von Hart aber fair

Frank Lübberding schreibt über die jüngste Sendung von Hart aber fair in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und macht auf manch Interessantes aufmerksam, so z. B. darauf dass einst, und zwar in den Zeiten des sogenannten Wirtschaftswunders, einmal als Maßstab von Wohlstand galt, von einem Einkommen leben zu können, auch als Familie. Dass wir davon weit entfernt sind, wurde in der Sendung an einem Gast deutlich, der alleinerziehenden und erwerbstätigen Djamila Kordus. Sie gehört von ihren Einkommensverhältnissen her eher zu den Working Poor, die gerade so über die Runden kommen. Selbst ein Mindestlohn von 12 Euro würde daran nicht viel ändern.

Obwohl auch heute dieser Maßstab, dass ein Einkommen ausreichen sollte, sein Recht hätte, denn das minderte die Erwerbsverpfllichtung, käme keiner mehr auf die Idee, sich daran zu orientieren. Stattdessen ist der Maßstab heute die möglichst umfängliche Teilnahme am Erwerbsleben, ganz gleich was das mit den anderen Lebensbereichen macht, wie an Frau Kordus Ausführungen zu erkennen war (siehe hierhier und hier).

An der Realität vorbei, wenn auch als bürgerliches Ideal damals präsent, ist das Klischee von der „Hausfrauenehe“, worauf Lübberding zurecht hinweist. Denn die Erwerbsquote von Frauen in Westdeutschland zwischen 1950 und 1970 lag schon bei etwa 45%, kaum niedriger als in der DDR zur gleichen Zeit (siehe Deutschland in Zahlen, S. 145).

Dass nun gerade diejenige in der Runde, die wahrlich weiß, was es heißt, im Alltag kämpfen zu müssen, ihre Erwerbstätigkeit damit begründet und verteidigt, als Vorbild für ihr Kind dienen zu können, denn was solle „aus unseren Kindern werden, wenn sie sehen, dass wir nicht arbeiten und zuhause sitzen und wenn das alle machen, geht das auch nicht weiter“ (1:06:12), zeigt, wie tief die Sorge um den Verfall sitzt. Dabei ging es an dieser Stelle der Sendung gar nicht darum, zuhause zu sitzen, sondern den Druck auf die Löhne zu erhöhen. Dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil darauf hin sein Loblied von der Erwerbstätigkeit singen konnte, wie wichtig sie sei für viele, war letztlich eine Zustimmung zum Bedingungslosen Grundeinkommen, wie das ein Zuschauer mit anderen Worten erwähnte. Nur würde Heil das anders sehen.

Sascha Liebermann