Missbrauchsbefürchtungen, Konsumismus und die Verführbarkeit der Bürger

Unter diesem Titel „Grundeinkommen für alle – Das Ende des Sozialstaats“ hat der Hessische Rundfunk am 9. November ein Radio-Feature gesendet, das hörenswert ist (Podcast herunterladen, direkt anhören). Die Sendung informiert ausgewogen über die Diskussion, führt Argumente pro und contra auf.

Besonders aufschlussreich sind zwei Stellungnahmen, die eine von dem Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge (ausführlicher in anderem Zusammenahng auch hier), die andere von dem Soziologen Klaus Dörre (zu einem früheren Kommentar von uns).

Buttwegge (ab Minute 33) befürchtet, das Grundeinkommen könne dazu benutzt werden, weitere Sozialstaatsleistungen abzubauen, ohne eine entsprechende Absicherung zu schaffen. Ein solcher Missbrauch wäre seiner Auffassung nach der Fall mit dem Solidarischen Bürgergeld. Nun weiß auch Butterwegge, dass das Althaus-Modell nicht so weit geht wie andere, also nicht so große Freiräume schaffen will. Den anderen, hier vor allem dem Vorschlag, alle Steuern abzuschaffen und nur eine Konsumsteuer beizubehalten, wirft er hingegen vor, dass er die Armen übermäßig belaste, die Wohlhabenden und Unternehmen jedoch entlaste. Außerdem würde eine hohe Konsumsteuer dazu führen, dass die Preise stiegen, folglich das Grundeinkommen nicht mehr das wert wäre, was seine Befürworter erhoffen – das trügen diejenigen, die ausschließlich auf Grundeinkommen angewiesen wären. Für diesen Einwand sei Christoph Butterwegge darauf verwiesen, sich die Argumente einmal genauer anzusehen, die für den Konsumsteuervorschlag vorgebracht werden (z. B. hier und hier).

Interessant an dem Einwand zum Missbrauch des Grundeinkommens und der Befürchtung weiteren Sozialabbaus ist das bevormundende Misstrauen Butterwegges in die Bürger. Wie die sogenannten Hartz-Gesetze lehren, sind die Daumenschrauben längst angezogen, die Sanktionsmöglichkeiten verschärft worden. Wenn das gewollt ist, und dafür gab es im Fall von Hartz IV Mehrheiten, dann ist es immer möglich. Ist es gewollt, dann ist es auch demokratisch legitimiert. Wer glaubt, Hartz IV habe diesen Rückhalt nicht gehabt, der muss nur einmal eine Grundeinkommensveranstaltung aufsuchen, dann wird ihm das Gegenteil vor Augen geführt. Wenn also all das, was Butterwegge befürchtet und verhindern will, längst mit der Rot-Grünen Bundesregierung eingeführt wurde, geht sein Einwand gegen das Grundeinkommen an der Sache vorbei. Was will er uns dann sagen? Als Bürger will er das bGE nicht, das ist sein gutes Recht. Der Verdacht des Missbrauchs allerdings führt noch auf eine andere Fährte. Er traut den Bürgern zum einen nicht zu, sich für ein freiheitsförderndes Grundeinkommen einzusetzen, daher die Befürchtung, es könne damit schlecht ausgehen. Zum anderen meint er, sie vor sich selbst schützen zu müssen. Er durchschaut, wozu die Bürger verführt werden sollen, zum Abbau des Sozialstaats (ganz ähnlich Matthias Möhring-Hesse). Daran erkennen wir, wie es um den Souverän und seine Mündigkeit in seine Augen bestellt ist: „…das würde wahrscheinlich hinterher bei den meisten zu einem sehr bösen Erwachen führen“.

Klaus Dörre (ab Minute 47’25) setzt einen anderem Akzent. Immerhin sieht er die Chance, mit einem bGE die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zu stärken, also einen Arbeitsmarkt zu schaffen. Doch schon die Gefahr einer Lohn-„Drift“ nach unten, die er ausmacht, stellt nicht wirklich ein Problem dar, weil niemand für einen in seinen Augen zu niedrigen Lohn arbeiten müsste, gleichwohl könnte er (denn bGE + niedrigerer Lohn = gleiches Einkommen wie heute). Die Verhandlungsmacht ginge nie verloren, es träte nicht der Fall ein, wie Dörre suggeriert, dass die Arbeitgebger über die Löhnhöhe alleine entscheiden würden (zu Mindestlöhnen siehe unseren Kommentar aus anderem Anlass).

Als es um die Höhe des bGEs geht, erachtet Klaus Dörre 1500-1600 € für notwendig. Seine Begründung allerdings ist sonderbar: Er geht von einer Tendenz aus, „…die wir ja auch immer haben…“, dem Konsumismus zu frönen, Güter anzustreben, um „nach außen etwas darzustellen“, um „mitreden zu können“. Nun, selbst wenn es so wäre, ist es doch nicht Aufgabe des Gemeinwesens, diese „Tendenz“ zu finanzieren, die Statusorientierung zur Grundlage öffentlicher Leistungen zu machen. Wer meint, er müsse „positionale Güter“, also Statussymbole erwerben, der hätte die Freiheit dazu. Was er dafür an Einkommen benötigte, das über das bGE hinausgeht, müsste er sich selbst beschaffen.

Dörre meint, damit ein bGE überhaupt funktionieren könnte, „…bedürfte [es] eines anderen Lebensstils“, um sich darauf einzulassen. – Ja und Nein. Sollte es dazu kommen, dass wir ein bGE einführen, wäre die Entscheidung für die Einführung schon Ausdruck eines geänderten „Lebensstils“. Die größte Hürde, die wir zu nehmen haben, ist, das Misstrauen in das Gegenüber zu überwinden, das allerorten herrscht, und uns als Bürgergemeinschaft zu begreifen. Erst wenn das erreicht ist, wird eine Einführung des bGE möglich sein. Die Einführung ist also schon die Veränderung. Was darüber hinaus sich ändern müsste, wäre der Erfahrung des Einzelnen überlassen, das müsste er selbst herausfinden. Er könnte aber auch weiter dem „Konsumismus“ frönen, den würde aber nicht die Gemeinschaft tragen, denn das stellt keine öffentliche Aufgabe dar. Überhaupt kann der „Lebensstil“ sich nur dadurch ändern, dass dem Einzelnen Möglichkeiten dazu an die Hand gegeben werden, ohne ihm eine Veränderungspflicht aufzuerlegen. Das ist eine Banalität, die schon heute gilt, es sei denn, man erwägt Umerziehungsprogramme zur Befreiung der Bürger. Dazu neigen wir in der Tat, auch das ist eine Erfahrung aus Grundeinkommensveranstaltungen. Demokratie heißt jedoch, Vielfalt nicht nur zuzulassen, sondern sie zu fördern, denn Demokratie lebt gerade davon, keine Lebensinhalte und -ziele zu definieren, auch keine Änderung des Lebensstils.

Wird den Bürgern nicht zugetraut, mit der durch ein bGE ermöglichten Freiheit umzugehen, heißt das letztlich, den Bürgern ihre Mündigkeit abzusprechen. Es heißt aber auch, sie in ihrer schon heute gelebten Autonomie zu unterschätzen, denn eine Demokratie wären wir schon lange nicht mehr, wenn es an der Bereitschaft fehlte, sich einzubringen und die politische Ordnung loyal zu tragen. Die Vorbehalte sind also das Problem, nicht die Lebenswirklichkeiten.

Sascha Liebermann