„Ich sehe ja, was passiert, wenn mein Chef nicht da ist“

Sich selbst als Beispiel nehmend erläuterte kürzlich in einer Podiumsdiskussion ein Diskutant vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), kurz: der Kritiker, was passieren würde, gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen. Er verglich die Situation nach der Einführung eines bGE mit der, wenn sein Chef außer Haus ist. Dann lasse seine Leistungsbereitschaft und -fähigkeit nach. Genau das erwarte er von der Einführung eines bGE; da es einen unabhängig mache von Aufsicht und Anleitung, sei ein Leistungseinbruch zu erwarten.

Das Beispiel ist aufschlussreich, es sagt wenig über das bGE und viel über die Arbeitshaltung des Kritikers. Sollte seine Arbeitsleistung tatsächlich von der Anwesenheit seines Chefs abhängen, dann wäre das IW gut beraten, darüber nachzudenken, ob dieser Mitarbeiter am richtigen Ort ist. Was kann schon von einem Mitarbeiter erwartet werden, auf dessen Motivation und Bereitschaft, seine Aufgaben verantwortungsvoll wahrzunehmen, kein Verlass ist, der nur dann seine Verantwortung wahrnimmt, wenn er beaufsichtigt wird? Oder liegt hier eine Selbsttäuschung in zweierlei Hinsicht vor?

Das Beispiel könnte auch so gelesen werden:
1) Die Abwesenheit des Chefs offenbart ihm, unter welchem Druck er steht, wenn der Chef im Hause ist. Zwar ist er in seiner Anwesenheit geschäftig, macht viel, aber nicht so gründlich, wie es notwendig wäre. Das könnte zum einen daran liegen, dass er zu Dingen gedrängt wird, die er sachlich nicht für begründet hält, zum anderen daran, dass ihm nicht die Zeit gegeben wird, die er bräuchte, um gut zu arbeiten.
2) Die Abwesenheit seines Chefs offenbart ihm selbst, dass es ihm an innerem Antrieb fehlt und er konsequenterweise die Stelle aufgeben müsste, dazu sich aber nicht im Stande sieht, weil er sich mit dem angenehmen Einkommen eingerichtet hat und bislang nicht weiß, was er sonst machen soll. Hier muss vielleicht ergänzt werden, dass der Kritiker selbst darauf verwies, wie gerne er zu den Bundesligaspielen des FC Köln gehe und die Tickets sich nur leisten könne, wenn er eine Stelle habe.

Kann sich jemand über seine eigenen Motive täuschen, ist das nicht eine unverschämte Unterstellung?

In der Tat kann man sich über die eigenen Motive und Überzeugungen täuschen. Deutlich wird dies an dem zweiten Beispiel mittels dessen das bGE als kontraproduktiv abgetan werden sollte. Der Kritiker bemühte wiederum seine Lebenserfahrung. Er habe Zivildienst geleistet, und zwar in der Pflege von dementen Senioren. Im Nachhinein empfinde er die Erfahrung als sehr wichtig und wolle die Zeit nicht missen. Doch im Vorhinein sei er von dieser Aufgabe nicht so begeistert gewesen. Hätte er nicht Zivildienst leisten müssen, wäre ihm diese Erfahrung verschlossen geblieben.

Moment mal, Verpflichtung wozu? Zivildienst als Ersatz für Wehrdienst ist verpflichtend, das ist zutreffend, nicht aber die Art des Dienstes, die muss der Zivildienstleistende selbst aussuchen. Der Kritiker hat sich also diese Aufgabe selbst gesucht, hat sich, trotz seiner Bedenken, dennoch für die Pflege von Dementen entschieden. Würde ein bGE dies verhindern oder erschweren? Gerade nicht, ein bGE erklärt genau dies für wünschenswert, was das Beispiel belegt: sich auf etwas einzulassen, dessen Ausgang ungewiss ist. Das ist die Voraussetzung dafür, Erfahrung machen zu können. Und noch mehr: das bGE würde, dadurch dass es Erwerbstätigkeit relativierte und zu einem Engagment unter anderen erklärte, auch bessere Voraussetzungen dafür schaffen, sich einem Dienst wie der Pflege womöglich ehrenamtlich zu widmen. Selbst eine erwerbstätiges Engagement in der Pflege geschähe ganz ohne die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt sichern zu müssen. Ein bGE verringert also nicht die Möglichkeiten, es vermehrt sie, schafft Freiräume, die heute nicht bestehen und bestärkt darin, das zu tun, was der Einzelne für wichtig und richtig erachtet.

Sascha Liebermann

Kinder- und Jugendhilfe – und das BGE

Es ist immer wieder faszinierend zu erkennen, wie strikt unser gesamtes sozialstaatliches Gefüge um die Erwerbsverpflichtung herum gebaut ist. Solange sie besteht, behalten Transferleistungen des Gemeinwesens an Individuen oder Haushaltsgemeinschaften den Status von Ersatz- bzw. Notfallleistungen, ihr Bezug soll eine Ausnahme bleiben bzw. müssen Bezugsansprüche erst erworben werden. Meist wird in diesem Zusammenhang über das Arbeitslosengeld I und II, das Sozialgeld, das Krankengeld, Sozialhilfe usw. gesprochen. Die Erwerbsverpflichtung als Quelle von Einkommen wirkt sich allerdings auf Bereiche aus, die bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten haben.

Viele Aufgaben, die heute durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz als staatliche bestimmt und geregelt sind, stellten sich unter Bedingungen eines BGEs anders dar. Wo heute fördernde und fürsorgende Hilfen unter Aufsicht staatlicher Gewalt stattfinden und ihnen verpflichtet sind, würde ein BGE eine davon unabhängige Praxis ermöglichen. Einige dieser Hilfen könnten sich – vergleichbar mit der ärztlichen und therapeutischen Praxis – in von staatlicher Aufsicht unabhängige Arbeitsbündnisse verwandeln, in denen der Klient im Zentrum steht.

Solche Veränderungen wären dann z.B. auch in der Kinder- und Jugendhilfe möglich. Ein Kind, das in seiner Herkunftsfamilie nicht verbleiben kann, weil die Eltern mit der Erziehung überfordert sind oder weil sie sie aus Krankheitsgründen nicht wahrnehmen können, benötigt eine Ersatzzuhause. Wo Freunde und Verwandte der Familie nicht einspringen und das Kind aufnehmen können, muss das Jugendamt seiner Verpflichtung nachkommen, das Kindeswohl zu schützen. Es sucht dann nach einer Möglichkeit, das Kind unterzubringen, z.B. in einem Heim oder einer Pflegefamilie und alimentiert diese, damit sie die Aufgabe wahrnehmen können. Es kommt auch vor, dass Eltern sich selbst um eine Unterbringung kümmern, doch meist sind sie nicht in der Lage, die entstehenden Kosten zu decken. Also muss das Jugendamt eingeschaltet und eine Unterstützung beantragt werden.

Gäbe es ein BGE, dann sähe die Situation anders aus, z.B. wäre eine Pflegefamilie durch ein ausreichend hohes Grundeinkommen finanziell abgesichert. Das Kind, das von ihr aufgenommen würde, brächte ein Grundeinkommen mit, über das es mit Erreichen der Volljährigkeit verfügte. Das Jugendamt könnte sich darauf beschränken (sofern das BGE kostendeckend wäre), seine staatliche Aufsichtspflicht wahrzunehmen und müsste nur eingeschaltet werden, wenn Bedarfe durch das BGE nicht gedeckt werden könnten oder das Kindeswohl gefährdet wäre.

Heute hingegen trifft das Jugendamt die Entscheidung, ob eine solche Maßnahme finanziert wird. Familien, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind und Hilfe benötigen, erhalten womöglich keine Unterstützung. Mit einem BGE wären also die Möglichkeiten für diese Familien ebenfalls erweitert. Sowohl die Eltern des Kindes als auch die Pflegefamilie wären unabhängig, zumindest aber unabhängiger vom Jugendamt und bedürften lediglich einer Beratung durch eine professionalisierte, aber ebenso unabhängige Einrichtung (Siehe auch Kindesunterhalt, Neues Unterhaltsrecht).

Und eine weitere Veränderung würde durch die Einführung eines BGEs womöglich deutlicher gesehen als bislang, wenngleich ein BGE nur das politische Signal wäre, sich darüber Gedanken zu machen: die Trennung von Aufsichtspflicht und Beratung. Heute nimmt das Jugendamt beide Aufgaben wahr. Es entscheidet zum einen darüber, ob zum Schutz des Kindeswohls per Gesetzesauftrag in eine Familie interveniert und ein Kind in Obhut genommen wird. Zum anderen soll das Jugendamt beratend tätig sein, es soll also die Familie, in die es eingedrungen und deren Trennung es erwirkt hat, beraten. Schon hieran wird deutlich, dass beides nicht zusammengeht. Damit sind beide Aufträge gegenläufig, der eine erfolgt im Namen der Rechtsgemeinschaft und zur Wahrung der Rechtsordnung, der andere zum Schutz des Individuums und seiner spezifischen Problemlage (solange sie sich nicht eindeutig gegen die Rechtsordnung richtet). Am besten wäre es, beides voneinander zu trennen, dann würden beide Aufträge nicht mehr miteinander in Konflikt geraten. Die Beratung im Sinne eines Arbeitsbündnisses mit den Klienten könnte sich ganz auf den Klienten konzentrieren, im Zuge dessen professionalisieren, denn sie wäre nicht mehr dem Jugendamt als Auftraggeber verpflichtet, sondern dem Klienten.

Eine Professionalisierung der Sozialen Arbeit, die durch das BGE gefördert werden könnte, bedürfte zuallererst einer Selbstbesinnung des Berufstandes. Erst wenn er sich als Profession begriffe, die ihre Standards selbst setzte und ihre Einhaltung prüftr, in der eine Selbstverwaltung nach dem Prinzip der Kollegialität selbstverständlich wäre, die über eine berufsvorbereitende Ausbildung eines zweistufigen Studiums verfügte, in dem in der ersten Phase der Habitus des Forschers/Generalisten, in der zweiten der des Klinikers eingeübt würden, in der der Klient und die Wiedererlangung seiner Autonomie erster Zweck wären – erst dann könnte von einer Profession ernsthaft die Rede sein.

Für beides böte das BGE eine Chance auf Veränderung.

Sascha Liebermann