„In 20 Jahren benötigen wir ein anderes Gesellschaftsmodell“…

…so Ansgar Oberholz im Capital. Der Titel ist etwas reißerisch und vielleicht irreführend, da Alternativen in der Demokratie gerade kein anderes „System“ benötigen. Hier die Passage aus dem Interview, in der es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen geht:

Capital: „Das bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel?“
Oberholz: „Das ist ein guter Schritt. Aber wir müssen den Menschen, die sich durch die Automatisierung abgehängt und hilflos fühlen, nicht nur Geld, sondern auch neue Perspektiven geben. Da geht es dann um eine andere Idee von Wertschöpfung: Das heißt, wir müssen es wertschätzen, wenn man seine kranken Eltern pflegt oder ehrenamtlich Trainer in einem Fußballverein ist. Wir brauchen eine neue Definition von Arbeit.“

Wie will Oberholz „den Menschen“ „neue Perspektiven geben“? Entweder ein BGE wird eingeführt und es ist Sache des Einzelnen, herauszufinden, was er damit nun anstellen will, gegebenenfalls auch sich Rat zu suchen oder Unterstützung, wenn er es nicht alleine herausfinden kann. Oder das BGE wird zu einer Volksbelehrungsveranstaltung für diejenigen, die sich „abgehängt und hilflos fühlen“. Damit wäre es das Gegenteil von dem, was ein BGE anstrebt. Oberholz bleibt hier sehr allgemein, aber alleine die Vorstellung, anderen müssten Perspektiven gegeben werden, statt zu fragen, ob nicht gerade ein BGE ihnen die Hilflosigkeit nehmen könnte, ist ein Fingerzeig. Weshalb verlässt er sich nicht einfach zuerst einmal darauf, dass ein BGE als solches selbst neue Möglichkeiten schafft. Beratungs- oder Hilfsangebote kann es immer geben, sie wären aber nur Angebote. Dann heißt es:

„Die hat dann aber nicht mehr viel mit Neoliberalismus zu tun oder mit unserer Idee der sozialen Marktwirtschaft.
Ja. Ich glaube, wir brauchen zwar das System. Aber jeder soll das tun, was er tun möchte. Wenn man wirklich alles automatisiert, was man kann, riefe das aus jetziger Perspektive eine Arbeitslosenquote von 50 Prozent auf den Plan.“

Hier hingegen setzt er genau das voraus, was oben fehlt, die Intiative, die vom Einzelnen ausgeht. Sogleich wird Drohkulisse mit der Arbeitslosigkeit aufgebaut, die ist für ein BGE unnötig und davon abgesehen noch umstritten.

„Aber mit dieser Zukunftsprognose beschäftigen wir uns noch nicht genug. Warum nicht?
Weil es tabuisiert ist: Man müsste jetzt radikale Lösungen auf den Tisch packen: Was ist Arbeit? Wollen wir das Grundeinkommen? Wie müsste man die Schulausbildung verändern? Stattdessen ist die einzige Maxime der Bundespolitik: Vollbeschäftigung. Der Weg ist also noch weit. Es ist aber jetzt schon in der Gesellschaft zu spüren, dass Digitalisierung und die Angst davor den Rechtspopulisten in die Hände spielen.“

Hier argumentiert er ganz mit „Freiheit statt Vollbeschäftigung“. Die These, dass die Vorherrschaft von Drohszenarien auf der einen und Verharmlosung auf der anderen Seite womöglich Ängsten in die Hände spielen, ist nicht abwegig, sie hat bislang aber nicht dazu geführt, die Unterstützung für ein BGE in der Öffentlichkeit bedeutend zu erhöhen (sehen wir einmal von Umfragen ab).

Sascha Liebermann