„Ich glaube, wir unterschätzen, welchen Wert Arbeit hat“ oder die Stigmatisierung durch den Sozialstaat?

Den ersten Teil in Anführungszeichen soll Tarek Al-Wazir, Stellvertreter des Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und Minister in seinem Kabinett, laut Angaben des Gießener Anzeigers anlässlich einer Veranstaltung im Rahmen der Landtagswahl in Hessen gesagt haben. Er bezog sich damit auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Hier das Zitat:

„Ebenfalls uneins mit dem Politiker waren sich zwei Fragesteller in Bezug auf das bedingungslose Grundeinkommen. „Ich glaube, wir unterschätzen, welchen Wert Arbeit hat“, so Al-Wazir, der sich für eine Lösung im bestehenden Sozialsystem aussprach. Insbesondere die Aktivierung von Langzeitarbeitslosen funktioniere nicht und so dürfe es keine Sanktionen, sondern müsse es Angebote geben. „Wir müssen einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen“, betonte der Grünen-Spitzenkandidat. „Die Menschen vereinzeln und es fehlt ihnen an gesellschaftlichem Anschluss“. Das bedingungslose Grundeinkommen ist dabei seiner Ansicht nach „keine Lösung“.

Was hat der Wert von „Arbeit“ mit einem BGE zu tun? Im Grunde nichts, weil ein BGE nicht  „arbeitsfeindlich“ ist, eher ist die Versessenheit auf Erwerbsarbeit, die wir heute betreiben, leistungsfeindlich. Denn sie unterstellt, dass Wertschöpfung an menschliche Arbeitskraft gebunden ist und übersieht den Stellenwert von Maschinen.

Warum „funktioniert“ denn die „Aktivierung von Langzeitarbeitslosen“ – diese sozialtechnologische Sprache ist schon bezeichnend – nicht? Weil sie womöglich vom falschen Ziel ausgeht, der Rückführung in Erwerbstätigkeit? Weil sie nicht wahrhaben will, welchen Druck „aktivierende Sozialpolitik“ erzeugt? Wie sehr muss man über die Sozialmechanik des heutigen Sozialstaates hinwegsehen, um das zu übersehen?

„Angebote“ sind heutzutage sanktionsbewehrte Androhungen – weiß Al-Wazir das nicht? Hat er sich schon einmal die Einladung zum Beratungsgespräch genauer angesehen oder sie Sanktionsmöglichkeiten im Zweiten Sozialgesetzbuch (ALG II)? Wer davon nicht reden will, sollte über „Aktivierung“ mit ihren stigmatisierenden Auswirkungen schweigen.

Der „soziale Arbeitsmarkt“ ist das Wiederaufgreifen alter Maßnahmen, die aus der Stigmatisierung ebenso wenig herausführen wie die „Aktivierung“. Und die Vereinzelung – ist sie nicht ein Resultat dessen, durch stigmatisierende Leistungen an den Rand gedrängt zu werden? Keine guten Aussichten bei den Grünen, wenn das eine verbreitete Grundhaltung sein sollte.

Sascha Liebermann