…in seinem Beitrag auf Welt Online.
Interessant ist dieser Passus:
„Die Arbeitsproduktivität in Deutschland je Stunde nahm in früheren wirtschaftlichen Aufschwungsphasen in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre real (also preisbereinigt) pro Jahr um durchschnittlich 3,4 Prozent, in den 1980er-Jahren um 3,0 Prozent, in den 1990er-Jahren um 2,2 Prozent und in den 2000er-Jahren bis Anfang 2008 um 1,4 Prozent zu. Während des fast zehnjährigen Aufschwungs von Mitte 2009 bis Mitte 2018 waren es dann jedoch nur noch 1,1 Prozent.“
In der Folge (siehe unten) nennt er dann Gründe für diese Entwicklung:
„Für die geringe Investitionstätigkeit und den daraus folgenden schwachen Arbeitsproduktivitätsfortschritt gibt es eine Menge von Ursachen. Aber eine davon verdient spezielle Beachtung, weil sie auch mit Blick auf eine künftige Verbesserung entscheidend sein wird.
Die Mitte der vorigen Dekade unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner rot-grünen Regierung auf den Weg gebrachte Agenda 2010 und die nach Peter Hartz benannten Arbeitsmarktreformen des „Förderns und Forderns“ waren darauf ausgerichtet, möglichst viele Personen in Arbeit zu bringen. Entsprechend wurde der Druck auf Erwerbslose verstärkt, arbeiten zu müssen und auch vergleichsweise schlechter bezahlte Jobs zu akzeptieren. Im Ergebnis nahm die Beschäftigung in Deutschland rasant zu. Die Arbeitslosigkeit ging von fünf Millionen (Anfang 2005) stetig auf mittlerweile 2,275 Millionen im Sommer 2019 zurück – ein riesiger Erfolg.
Allerdings war der deutsche Beschäftigungserfolg mit einem Nebeneffekt verbunden. Er basierte auf einer Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer als Gegenleistung zur Schaffung und Erhaltung von Beschäftigung. Wenn aber für Unternehmen Arbeitskräfte billig(er) werden, fehlen betriebswirtschaftliche Anreize, in Maschinen, Roboter und neue digitale Technologien zu investieren. Warum auf teure(re) Automaten setzen, wenn Arbeit so billig ist? Entsprechend unterblieb ein Modernisierungsschub.“
Noch hier feiert er den Rückgang der Arbeitslosigkeit als Erfolg, nennt aber zugleich den Preis, der bezahlt wurde. Wir lässt sich ein Erfolg isoliert von den Folgen betrachten, um deren Preis er erreicht wurde? Straubhaar bleibt sich hier insofern treu, als er auch im Jahr 2012 die Hartz-Reformen aus eben diesem Grund lobte, siehe „Hartz sei dank„, „Hartz-Reformen waren für Deutschland ein Segen„. Wie kann aber, wenn Arbeitsproduktivität als Kriterium betrachtet wird, die Umwertung von Erwerbstätigkeit zum Selbstzweck, die Signum der letzten 20 Jahre war, als Erfolg betrachtet werden? Es handelt sich doch vielmehr um eine Entwertung des Leistungsethos, Erwerbstätigkeit wird nicht mehr an Leistung, sondern an Beschäftigung gemessen. Es wäre zu fragen, welchen Anteil, neben anderen Gründen, also gerade die Entwertung des Leistungsethos am Rückgang der Arbeitsproduktivität hat. Um das zu erheben benötigt es allerdings andere Daten als indikatorengestützte, es müsste erhoben werden, welche Haltung zu Leistung vorherrscht. Das lässt sich auch nicht einfach durch standardisierte Befragungen ermitteln, die Daten sind viel zu grob. Es müssen Deutungsmuster rekonstruiert werden, dazu bedarf es rekonstruktiver Verfahren (siehe z.B. hier), die in diesen Forschungsfeldern allerdings nur wenig genutzt werden.
Siehe auch frühere Kommentare von uns dazu hier.
Sascha Liebermann