Nachtrag Gutachten „Bedingungsloses Grundeinkommen“ – Engführung der Studie und Prämissen

In den Schlussbetrachtungen des gestern verlinkten Gutachtens wird das Ergebnis zusammengefasst. Auf dem Weg dorthin werden verschiedene Fragen aufgegriffen, die mittelbar mit der Finanzierungsfrage zusammenhängen, andere werden nicht verhandelt. Angesichts der differenzierten nationalen wie internationalen BGE-Diskussion, deren Literatur teils hinzugezogen wurde – so die Übersichtsarbeit von Van Parijs und Vanderborght, aber auch Standing – verwundern doch die vereinfachenden Bemerkungen zur Freizügigkeit in der Europäischen Union, als sei es nicht etwa der Nationalstaat, der die Sozialpolitik und damit Bezugsbedingungen für ein BGE definiere. Die Frage der Zuwanderung ist ständig Thema in BGE-Diskussionen und keineswegs unbeantwortet geblieben.

Im Schlusswort heißt es, ein BGE widerspreche dem Subsidiaritätsgedanken, dabei setzt diese Aussage eine bestimmte Deutung von Subsidiarität voraus, die nicht einfach vorausgesetzt werden sollte. Zieht man für die Beantwortung der Frage, was den Subsidiaritätsgedanken auszeichnet, die berühmte Passage aus der Enzyklika „Quadragesimo Anno“ sowie eine Rekonstruktion des Subsidiaritätsgedankens von Ottfried Höffe heran, dann lässt sich die Idee weiter auslegen und keineswegs so, dass sie sozialstaatliche Leistungen ausschließt.

Vielmehr lässt sich dann erkennen, dass der Sozialstaat die Selbstbestimmung der Lebenspraxis nicht schwächen darf. Das heutige Erwerbsgebot tut dies aber. Insofern ist die Passage in der Enzyklika  ausgesprochen fortschrittlich, denn die Existenzsicherung könnte anders gestaltet werden, so dass die bevormundenden und auf Erwerbstätigkeit hin normierenden Leistungen aufgegeben werden. Das führt wiederum zum BGE. An einer Stelle heißt es entsprechend:

„Das BGE definiert ausschließlich Rechte gegenüber der Gesellschaft: Wenn jeder Bürger zum Sozialhilfeempfänger wird, ist die Pflicht zur Selbsthilfe abgeschafft. Das dem bestehenden Sozialstaat innewohnende Solidarprinzip wird so einseitig zugunsten eines unbedingten Anspruchs des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft aufgegeben. Die Stärkung der gesellschaftlichen Solidarität durch ein BGE ist damit mehr als fraglich.“

Schon in den ersten Sätzen wird deutlich, dass Selbsthilfe offenbar vor allem Einkommenserzielung bedeutet. Eine dem Selbstverständnis einer modernen Demokratie entsprechenden Lebensführung jedoch verlangt dem Einzelnen in jeder Hinsicht ab, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen, also Entscheidungen zu treffen, Einkommenserzielung ist nur eine unter anderen. Dass diese Selbstbestimmung ohne Gemeinschaft nicht zu haben ist, weil die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensführung nur im Schoße der Gemeinschaft sich herausbilden, was mit der Bewältigung der Adoleszenzkrise zu einer Gemeinwohlbindung führt, scheint ein vollkommen fremder Gedanke zu sein. Die Frage danach, wie der Einzelne einen Beitrag zum Wohlergehen des Ganzen leisten kann, wozu neben anderen Aufgaben auch Erwerbstätigkeit gehört, stellt sich mit einem BGE genauso wie heute, lediglich wird der Stellenwert von Erwerbstätigkeit durch ein BGE angemessen eingeordnet in die Breite der Lebensführung. Ein BGE vereinseitigt also keineswegs den Solidaritätsgedanken, es stellt ihn vielmehr in die umfassenden Bezüge und macht deutlich, wie stark individuelle Selbstbestimmung vom Gemeinwesen abhängt und davon, dass alle sich die Frage stellen, wie sie beitragen können, dazu gehört auch „unbezahlte Arbeit“, die im Gutachten wiederum keine Erwähnung findet.

Im Indikativ und nicht im Konjunktiv wird über Folgen eines BGE für das Arbeitsangebot gesprochen. Es reduziere sich, obwohl das Gutachten zumindest einräumt, es könne auch anders sein, wenn man Befürwortern folge. Ein Simulationsmodell, auf das sich das Gutachten bezieht, kann nur konjunktivische Aussagen bzw. ceteris paribus-Aussagen treffen, von daher stellt sich die Frage, die sich bei solchen Modellierungen immer stellt: auf Basis welcher Annahmen sind sie geschehen? Werden die Folgen eines BGE für Leistungsbereitschaft und entsprechend Produktivität ermittelt? Wird Zufriedenheit einbezogen, die sich verändern könnte? Das Arbeitsangebot alleine entscheidet nicht über die Leistung, weil ein erheblicher Teil der Leistung von Maschinen erbracht wird, wird das einbezogen? Wird das Automatisierungspotential ermittelt? All diesen Fragen wurde offenbar nicht nachgegangen, da sich das Gutachten auf die Finanzierung beschränke. Nun hängt aber die Frage der Finanzierung an den anderen Fragen dran, wie können sie dann außer Acht gelassen werden? Auf S. 39 f. heißt es abschließend:

„Die Finanzierungsprobleme sprechen aus Sicht des Beirats eindeutig gegen die Einführung eines BGE. Der Verzicht, Sozialleistungen von einer durch staatliche Institutionen zu überprüfenden Bedürftigkeit abhängig zu machen, führt nicht nur zu substantiellen Steuererhöhungen. Es wird in der Quintessenz zudem dazu führen, dass die Kontrolle derjenigen, die mit ihren Arbeitseinkommen das BGE finanzieren, massiv ausgedehnt werden muss. Höhere Steuern lassen eine Auswanderung vieler Leistungsträger erwarten und erschweren damit die Finanzierbarkeit eines BGE zusätzlich. In einer offenen Gesellschaft ist ein individuelles, bedingungsloses und in seiner Höhe existenzsicherndes BGE aus Sicht des Beirats daher nicht umsetzbar.“

Weshalb dient nur Arbeitseinkommen zur Finanzierung? Weshalb müsse die Kontrolle ausgedehnt werden? Wo Steuern erhoben werden, muss es immer Kontrollen geben, um das Umgehen von Steuern verfolgen zu können. Hier scheint ein Schreckgespenst aufgebaut, das trivial und nur um den Preis zu vermeiden ist, das Steuern zu freiwilligen Zahlungen umdeklariert werden. Es wird nur von Steuererhöhungen gesprochen, nicht aber darüber, was durch die Steuern wieder bei den Bürgern landet, und zwar das BGE. Ob Leistungsträger deswegen das Land verlassen würden, ist doch fraglich, zumal nicht vergessen werden darf, was die im Gutachten nicht berücksichtigen Fragen für das Leistungsgeschehen bedeuten. Wieso spricht ein BGE gegen eine offene Gesellschaft? Ist es etwa heute so, dass jeder nach Deutschland kommen und alle Sozialleistungen in Anspruch nehmen könne? Gibt es keinen Unterschied zwischen Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern? Wie soll ein derart vereinfachendes Gutachten ernstgenommen werden? Allenfalls der Vereinfachungen wegen sollte es Beachtung finden, weil die Vereinfachungen deutlich machen, weshalb bestimmte Diskussionen so geführt werden, wie sie geführt werden.

Sascha Liebermann