Vermeintliche Realpolitik – und doch nur Fortsetzung von Polemik

Dem Bedingungslosen Grundeinkommen bzw. seinen Befürwortern wird es so richtig gezeigt in diesem Beitrag von Anna Mayr auf Zeit Online. Wieder – nach etlichen Wortmeldungen von ihrer Seite – ein Beitrag voller Polemik, der sich um die differenzierte Diskussion nicht schert. Wer vertritt denn ernsthaft, dass ein BGE die „Lösung aller sozialpolitischen Probleme“ sei? Wieder wird behauptet, ein BGE ersetze alle bestehenden Leistungen des Sozialstaats – wer vertritt das neben ein paar wenigen Befürwortern? Man wird sicher, wie in jeder Debatte, verklärende Ausführungen und Hoffnungen finden, die mit einem BGE verbunden werden, doch ist das für die Diskussion charakteristisch oder eher für die journalistische Berichterstattung dazu?

Dass der Kündigungsschutz mit einem BGE in einem anderen Licht erscheint, heißt nicht, dass er überflüssig werden würde. Man könnte sich nur fragen, ob er in seiner heutigen Form beibehalten werden müsste. Es darf natürlich nicht an dem Beispiel fehlen, dass die Physiotherapeutin für das BGE des Sohnes eines Unternehmensberaters bezahle, um seine Südamerikareise zu finanzieren. Ist das ein Argument gegen ein BGE? Weiß Mayr, dass es heute einen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer gibt und der Kinderfreibetrag gerade Besserverdiener relativ besser stellt als diejenigen, die nur Kindergeld erhalten? Sicher, das muss sie als Journalistin wissen oder es verhält sich wie so oft in der Debatte, dass gegen Besserverdiener gewettert wird, die ein BGE nicht bräuchten (manchmal von diesen selbst) und über die Verpflichtung des Gemeinwesens zur Existenzsicherung (siehe Grundfreibetrag) geschwiegen wird? Wer an der Verteilung der Steuerlast etwas ändern will, muss dort ansetzen, nicht aber an der Frage nach der Existenzsicherung und dem Modus ihrer Bereitstellung. An einer Stelle heißt es:

„In Wirklichkeit liegt das Problem der Podiumsdiskussionen, des ganzen Themas und Theaters darum aber woanders: Der Diskurs ist entblößend. Er entblößt die Entfremdung linker Debatten von denen, die doch eigentlich gestärkt werden sollten: den Armen, Bedürftigen, Abseitigen.“

Ist ein BGE denn gerade und alleine ein linkes Thema? Woran macht sie das fest? Die Debatte hat bislang eher gezeigt, wie sehr auch Linke gegen ein BGE sind. Davon abgesehen geht es nicht alleine um das Das des Stärkens, es geht vor allem um das wie. Wer im Fahrwasser des heutigen Sozialstaats verbleibt, kommt um Sanktionen nicht herum. Wer die Folgen dieses stigmatisierenden Sozialstaats nicht haben will, muss Vorschläge machen, die das leisten können. Bei Mayr ist keiner zu erkennen – nur Schlagworte werden eingesetzt.

An einer weiteren Stelle heißt es:

„Aber man stelle sich einmal vor, all die Podiumsdiskussionen, all die Petitionen, all die Zukunftswerkstätten hätten das Ziel, Hartz IV zu verbessern. Die Sanktionen abzuschaffen, die Sätze zu erhöhen, die Formulierungen in den Briefen weniger nach den gruseligen Momenten bei Franz Kafka klingen zu lassen. Vielleicht wäre dann der gesellschaftliche Druck auf die Politik groß genug, sich damit zu befassen. Vielleicht gäbe es dann längst ein Grundeinkommen. Nur eben in einer realisierbaren Form.“

In den Podiumsdiskussionen, die ich in beinahe zwanzig Jahren öffentlicher Diskussion erlebt habe, auch mit Vertretern aus Behörden, ging es immer auch darum, dass Sanktionen abgeschafft werden sollten und das mit guten Gründen. Gerade erfahrene Behördenvertreter wissen um die unvermeidbaren Folgen einer erwerbszentrierten Sozialpolitik. Es ging in den Diskussionen aber stets darum zu verstehen, dass eine Abschaffung von Sanktionen ohne Aufhebung der Erwerbsverpflichtung unrealistisch ist, denn das eine hängt am anderen. Warum erwähnt Frau Mayr das nicht? Es ist eben gerade der Stellenwert von Erwerbstätigkeit und das Ziel einer Erwerbsteilnahme möglichst aller Erwerbsfähigen, dem Sanktionen dienen. Die Sozialpolitik ist heute ganz darauf ausgerichtet. Apropos „Druck“: ich halte es nicht für eine gewagte These, dass die BGE-Diskussion dazu beigetragen hat, Bewegung in die Frage um Sanktionen zu bringen, gerade weil sie die Zusammenhänge deutlich macht. Selbst wenn das am Ende niemals zu einem BGE führen würde, wären dadurch immerhin die Zusammenhänge diskutiert worden.

Bei aller Polemik weist die Autorin auf ein Phänomen hin, das sie aus eigener Erfahrung kennt: Berührungsängste mit Armen und Ausgegrenzten. Wenn von oben herab über sie, aber nicht mit ihnen geredet wird. Treffend auch die Polemik gegen das Petitionsunwesen auf Plattformen, die rechtlich unverbindlich und nichts weiter als eine Unterschrift erfordernd es möglich machen, Petitionen für und gegen alles und nichts in die Welt zu schicken. Das heißt aber nicht, dass solche Petitionen, sofern sie von Aktionen und Aktivitäten im öffentlichen Raum begleitet werden bzw. diese nur unterstützen sollen, nicht ein Hilfsmittel zur Verbreitung eines Vorhaben sein können.

Mayrs Furor teilt vor allem aus, ohne zu sehen, dass gerade öffentliche Veranstaltungen zum BGE auch solche sind, in denen nach Vorträgen oder Podien Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe an Referenten oder Diskutanten herantreten und von ihrem Leben berichten, von ihren Bedrängnissen und Widerfahrnissen.

Und „unbezahlte Arbeit“? Ist das auch nur etwas für Besserverdienende? Kommt nicht vor.

Siehe unsere früheren Kommentare zu Anna Mayrs Kritik am BGE hier.

Sascha Liebermann