Was ist in wessen Gesicht ein Schlag? Über Hartz IV, Mitwirkungspflichten, Sanktionen und Vorurteile

Das ist eine Form der Kritik, in der diejenigen, die in derselben Lage sind, gegeneinander ausgespielt werden, ohne jegliche Differenzierung. Hermann Gröhe müsste bekannt sein, wie es um diese Sanktionen steht und welche Versäumnisse ihrem Vollzug unterliegen. Die Sanktionsquote ist äußerst gering:

Wenn dazu noch betrachtet wird, welche Versäumnisse zu Sanktionen führen, wird es noch interessanter:

Eine äußerst geringe Anzahl an Beziehern wird sanktioniert, die Sanktionsgründe sind in der Grafik zu erkennen. Der Geschäftsführer des Jobcenters Bielefeld hat sich im Jahr 2019 einmal zur Lage geäußert. Auch etliche Studien haben hervorgehoben, dass es nicht um Unwilligkeit der Leistungsbezieher geht. Vergessen werden sollte auch nicht, inwiefern die Sanktionsinstrumente sich aus dem Zweck des Arbeitslosengeldes II herleiten. Die Frage, die sich daraus ergibt ist, ob ein solches Ziel sinnvoll ist, es den Lebensverhältnissen angemessen ist und wie man auf die Idee kommen kann, dass Sanktionen Leistungsbereitschaft stärken?

Gröhe thematisiert das gar nicht, in seiner Deutung scheint es um Gerechtigkeit zu gehen, die einen halten sich an die Pflichten, die anderen nicht. Gebe man nun die Pflichten auf, stoße man die Pflichtbewussten vor den Kopf. Müssten wir dieser Logik gemäß nicht weitere Pflichten einführen: Schulpflicht haben wir ja schon, dann bräuchten wir noch eine Ehrenamtspflicht, eine Fürsorgepflicht der Eltern (nicht zu verwechseln mit dem Schutz des Kindeswohls), eine Staatsbürgermitwirkungspflicht, eine Wahlpflicht, eine Solidaritätspflicht, Anerkennungspflicht für Sorgetätigkeiten usw.? Warum werden sie nicht gefordert?

Weil Gröhe sie nicht gleichermaßen für wichtig hält? Wohin führt es in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen, wenn die Grundlagen des Zusammenlebens zu justiziablen Pflichten erhoben werden (das ist etwas anderes als sie durch Rechtsnormen zu schützen)?

Der Staatsrechtler Böckenförde war klüger und wusste darum, dass sich diese Grundlagen in einer modernen Demokratie nicht erzwingen lassen und wenn, dann nur um den Preis des Verlusts dieser Grundlagen. Nimmt man hingegen die Grundlagen ernst, um die es hier geht, wären andere Schlüsse zu ziehen. Dann ist ein Sozialstaat gefordert, der nicht Erwerbstätige ins Zentrum stellt, sondern seine Bürger.

Sascha Liebermann