Die Neue Zürcher Zeitung hat ein Interview mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Esther Duflo geführt, in dem an einer Stelle das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel kommt. Da Duflo sich dazu auch früher schon geäußert hat (siehe unseren Kommentar hier), sei die Stelle kommentiert.
„[NZZ] Um die Folgen solcher Schocks abzufedern, wird seit einigen Jahren das bedingungslose Grundeinkommen propagiert, als Mittel für Sicherheit und Teilhabe. Dies führt doch dazu, dass die Leute nicht mehr arbeiten?
[Duflo] Diese Effekte werden überschätzt. In Alaska wird jährlich pro Kopf ein Teil der Einnahmen aus dem Erdölfonds ausgeschüttet, was in die Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens geht, auch wenn es im Schnitt nur etwa 1600 Dollar pro Jahr sind. Die Menschen in Alaska arbeiten deswegen aber nicht weniger. Ein bedingungsloses Grundeinkommen erlaubt es den Leuten jedoch, nicht jede beliebige Stelle annehmen zu müssen, sondern sich bei der Arbeitssuche etwas Zeit zu nehmen.“
Eine klare Einschätzung von Duflo, die sie auch an anderen Stellen schon gegeben hat. Allerdings ist der Verweis auf Alaska – wie sie selbst zu erkennen gibt – nur ein schwacher Beleg, da die Ausschüttungen des Alaska Permanent Fund sehr niedrig sind und insofern das Erwerbsgebot nicht wirklich antasten. 1600 Dollar pro Jahr (in 2021 waren es 1114 Dollar) sind etwa 133 Dollar im Monat. Verleiht dieser Betrag schon mehr Verhandlungsmacht oder weshalb schlägt sie die Brücke vom APF zum BGE? Darüber hinaus handelt es sich nicht um eine durch ein Gemeinwesen herbeigeführte Umverteilung aus der allgemeinen Wertschöpfung, sondern nur um einen Anteil an der Veräußerung von Rohstoffen, also eine Art Ressourcendividende. Das ist insofern interessant, als hinter einem solchen Umverteilungsverständnis ein anderer Solidaritätsbegriff steht als im Falle allgemeiner Umverteilung.
Die NZZ fragt nach:
„[NZZ] Sie würden es also empfehlen?
[Duflo] Für reiche Länder nicht, denn es würde extrem teuer, allen Menschen ein Grundeinkommen zu geben, mit dem sie würdig leben können. Man müsste dann an anderen Orten sparen, zum Beispiel bei der Bildung. Für die reichen Länder sind gezielte Transfers viel besser. Wenn Arbeiter wegen der Automatisierung ihren Job verlieren, brauchen diese etwa eine Umschulung.“
Dass ein BGE teurer sei, ist eine häufig anzutreffende Behauptung, aber was heißt teurer? Teurer als was und wofür? Entscheidend ist, wofür ein Gemeinwesen seine (finanziellen) Mittel einsetzt und was damit erreicht werden kann. Wenn ein BGE die Person um ihrer selbst willen anerkennt und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitert, stigmatisierende Effekte heutiger Leistungen aufhebt, würde sich insgesamt autonomiestärkend auswirken – das hat Folgen für alle Zusammenhänge des Lebens. Duflo weist selbst auf die gewonnene Handlungsmacht hin, warum erwartet sie hier keine positiven Auswirkungen in den „reichen Ländern“? Im Falle von Bildung ist nicht das Das, sondern das Wie entscheidend und die Bedingungen, unter denen Bildung ermöglicht wird. Das wäre ebenfalls zu berücksichtigen. Ein BGE wäre eben nicht an eine Umschulung gebunden, gleichwohl aber wäre es eine Rückendeckung für eine solche. Und wenn nun „Arbeiter“ ihren „Job“ verlieren, wäre es dann nicht hilfreich, ein BGE zu haben und auf Erwerbstätigkeit nicht angewiesen zu sein? Duflo denkt innerhalb der Erwerbszentrierung, ohne darüber hinauszugehen. „Gezielte Transfers“ von denen sie spricht, scheitern an ihrer Zielungenauigkeit, siehe hier.
„[NZZ] Reagieren Leute generell weniger stark auf monetäre Anreize, als Ökonominnen und Ökonomen meinen?
[Duflo] Das ist so, sie wechseln wegen eines höheren Lohns nicht einfach die Stelle und verlassen wegen höherer Steuern nicht unbedingt ihren Wohnort. Ökonomen haben oft ein ziemlich enges Bild von Rationalität. Die Menschen berücksichtigen dagegen mehrere Dimensionen, wenn sie sich ein Bild vom guten Leben machen.“
In der Tat sind die Gründe für Handeln vielfältig und keineswegs bloß an einer Dimension orientiert, auch wenn Einwände gegen ein BGE das häufig behaupten. Diese Einsicht allerdings ist nicht neu, es ist eher verwunderlich, dass dies noch herausgestellt werden muss.
Sascha Liebermann