Die Kurzfassung des Berichts finden Sie hier, die Langfassung hier.
„Empfehlungen der Sachverständigenkommission orientieren sich an den Zielen einer zukunftsorientierten und nachhaltigen Familienpolitik“, das stellt der Bericht heraus. Das klingt gut, was aber beinhaltet es? Zum Beispiel dies hier gleich zu Beginn der Empfehlungen:
„Um das Ziel der Stärkung ökonomischer Eigenständigkeit zu erreichen, empfiehlt die Sachverständigenkommission, den Ausbau der Kinderbetreuung quantitativ und qualitativ weiter voranzubringen und Vereinbarkeit zu fördern.“ (S. 27)
Zuerst einmal bedeutet diese Empfehlung, dass Familien weniger Zeit miteinander haben – das entspricht den Empfehlungen der vergangenen Berichte, besonders absurd im Achten Familienbericht, der noch mit „Zeit für Familie“ (2012) übertitelt war. Nachhaltige Familienpolitik wäre demnach eine, die die Zeitsouveränität für Familien so deutet, dass außerhäusliche Versorgung gestärkt werden muss.
Die wohlklingende Formel von der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist ein nicht einlösbares Versprechen, denn sie führt zu weniger Zeit auf beiden Seiten, sie täuscht etwas vor und mündet letztlich darein, dass Erwerbstätigkeit noch dominanter wird, als sie schon ist. Angemessener wäre es, diese Politik als eine des doppelten Verzichts (siehe auch hier) zu bezeichnen, denn das ist sie tatsächlich. Wer keine Zeit für Familie haben möchte, um es zuzuspitzen, strebt nach Vereinbarkeit. Das mag nun übertrieben klingen, ist aber die praktische Folge des Aufgeriebenwerdens durch Verantwortung für beides im Alltag.
Laut Kommission sieht die Vereinbarkeit dann so aus. Sie fordert „einen Rechtsanspruch auf acht Stunden institutioneller Betreuung in einer Kindertageseinrichtung, Tagespflege oder Ganztagsschule an allen fünf Werktagen einzuführen“. (ebenda)
Da könnte ein Kind ja beinahe dort einziehen (siehe hier), denn der Kitaaufenthalt entspräche dem Umfang einer Vollerwerbstätigkeit. Wann soll da – insbesondere bei kleinen Kindern – noch Zeit füreinander bleiben, wenn das Erwerbsleben den Takt bestimmt? Dass in dem Bericht auf der einen Seite hervorgehoben wird, wie wichtig das Wohl der Kinder sei und zugleich solche Vorschläge gemacht werden, spricht Bände. Zumal der Bericht sich auf die Lage der Alleinerziehenden konzentriert, da durchaus treffend Problemlagen identifiziert, aber all das unter der Erwerbsfixierung letztlich verschüttet.
Eine weitere solche Empfehlung:
„Politik muss Wahlmöglichkeiten eröffnen, damit Eltern – unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kinder – nach Trennung und Scheidung jene Betreuungsarrangements wählen können, welche ihren Vorstellungen am besten entsprechen.“ (S. 30)
Schließt diese Wahl denn ein, mit dem Kind zuhause sein zu können? Wenn das der Fall ist, muss der Bezug einer wie auch immer gestalteten Grundsicherung genau das ermöglichen. Heute aber ist es so, dass – wie der Bericht schreibt – Eltern erwerbstätig werden sollen, wenn das Kind das Alter von drei Jahren erreicht hat. Zwar wird hier ein weniger rigider Umgang empfohlen, doch die Erwerbsverpflichtung bleibt in Kraft. Das erkennt man auch an der folgenden Passage:
„Wege in die ökonomische Eigenständigkeit und damit aus dem Transferbezug aufzuzeigen, sollte das Primat einer nachhaltigen Familienpolitik sein.“ (S. 35)
Nachhaltige Familienpolitik bedeutet eben nicht, Eltern darin zu unterstützen, möglichst umfänglich die Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen und nach ihrem Dafürhalten zu entscheiden, wann sie erwerbstätig sein wollen. Stattdessen ist „ökonomische Eigenständigkeit“ das Ziel, die hier nichts anderes bedeutet, als Einkommen durch Erwerbstätigkeit zu erzielen. Nachhaltige Familienpolitik ist also eine Familienpolitik, die von Familie nicht viel wissen will. Wäre es anders müsste sie Zeitsouveränität fördern, um Zeit füreinander haben zu können.
Sascha Liebermann