…ein revolutionärer Vorschlag, den Anna Mayr in ihrem Beitrag auf Zeit Online ausarbeitet – doch handelt es sich um eine olle Kamelle, einen Vorschlag, der zu den Beständen der Sozialpolitikdiskussion gehört und allenfalls in den letzten Jahren weniger Aufmerksamkeit erhalten hat, zumindest unter dieser Bezeichnung. Als „Job Guarantee“ oder Jobgarantie hingegen ist er in den Diskussionen der letzten Jahre ziemlich präsent (siehe unsere Beiträge dazu hier und hier). Wie eine Job Guarantee in der Praxis aussehen kann, lässt sich an diesem Projekt in Marienthal studieren. Guy Standing hat sich vor einiger Zeit ebenfalls zur Jobgarantie geäußert, siehe hier ab Minute 49 (Dank für den Hinweis an Eric Manneschmidt).
Was schlägt nun Frau Mayr vor und weshalb?
Wenn sie schreibt
„Tatsächlich gibt es eine Sache, bei der Union und SPD ideologisch zusammenkommen könnten. Ein neuer Fokus in der Debatte über Arbeitslosigkeit, der wirklich eine Neuerung wäre: das Recht auf Arbeit. Für alle.“
dann ist das also alles andere als ein Novum, wenn der Diskurshorizont etwas weiter gedacht wird. Wie eng zugleich der Blick auf die Fragen ist, die mit der Jobgarantie verbunden werden, zeigt sich hier:
„Wissenschaftler, die sich mit Bürgergeldempfängern beschäftigen, betonen immer wieder, dass die meisten dieser Menschen im Grunde gerne arbeiten würden. Das ist kein großes Wunder, denn alleine zu Hause zu sitzen, tagein, tagaus, ist für die meisten von uns ein deprimierendes Szenario.“
Interessant ist schon an dieser Bemerkung, dass Erwerbsarbeit, denn nur um sie geht es hier, ausschließlich aus einem Negativszenario, dem Herumsitzen zuhause, entworfen wird. Damit wird zugleich unterstellt, wer nicht erwerbstätig ist, sitze nur zuhause und habe nichts zu tun bzw. nichts, womit er voll und ganz beschäftigt sei. Mayr reproduziert hier, wenn auch in guter Absicht, die Verengungen, die in der Bürgergeld-Debatte den Tenor bilden, aber auch darüber hinaus. Denn die Vorstellung, Erwerbstätigkeit könne etwas Erfüllendes sein, weil an einer Aufgabe gearbeitet wird, im kollegialen Verbund mit anderen, spielt hier keine Rolle. Erwerbstätig zu werden, um nicht zuhause herumzusitzen, ist aber weder hilfreich noch produktiv, weil Tätigsein dadurch auf Zeitvertreib oder Beschäftigungsmaßnahme reduziert wird.
Dass es dieses Gefühl des Deprimiertseins gibt, erfordert zugleich eine Erklärung dafür, woher es rühren kann, wenn man die Erklärung nicht im Herumsitzen zuhause sieht. Dazu muss der Blick lediglich auf die Bedingungen und damit die normative Stellung gerichtet werden, die das Bürgergeld ausmachen. Die Existenzsicherung, die die Grundsicherung für Arbeitsuchende auszeichnet, ist eine Notfallleistung. Stigmatisierung der Leistung durch das Erwerbsgebot zumindest angedeutet werden. Das Bürgergeld ist ja keine Leistung, die man einfach so beziehen und damit tun und lassen kann, was man für richtig erachtet.
Direkt an diese vorangehende schließt folgende Passage an:
„Arbeit bringt Menschen in Beziehung zu anderen, sie gibt Selbstbewusstsein. Viele, die arbeiten, stellen sich Arbeitslosigkeit als einen ewigen Urlaub vor. Aber Urlaub ist eben gar nicht erholsam, wenn er für immer dauert. Urlaub ist schön, weil er die Ausnahme ist, das Besondere. Oder: Man kann sich nur freuen, nicht zu arbeiten, wenn man eigentlich eine Arbeit hat.“
Diese Verklärung von Kollegialität ist ein Problem der Gegenwart. Selbstverständlich steht man in einem Arbeitsverhältnis mit Kollegen in Beziehung, ebenso kann das erfüllend und das eigene Handeln bestärkend sein, aber: ein Kollegialverhältnis abstrahiert von der Person um ihrer selbst willen; Kollegen sind Kollegen bezogen auf einen gemeinsamen Zweck, dem sie dienen: dem Arbeitgeber und seinen Produkten bzw. Dienstleistungen. Es geht nicht um den Einzelnen als solchen. Deswegen kann und wenn nötig muss er auch entlassen werden können, wie auch der Mitarbeiter kündigen können muss. Es handelt sich eben um ein Zweckverhältnis, das nicht in der Beziehung selbst besteht, sondern in der Aufgabe, die erledigt werden muss. Insofern sind Beziehungen wie „Selbstbewusstsein“ auch nur bezogen auf diese bestimmte Art der Beziehung relevant – außerhalb ihrer eben im Grunde nicht. Anerkennung der Person um ihrer selbst willen erfährt sie nur, wo sie bzw. ihre Beziehung zu anderen Zweck der Beziehung selbst ist – in der Familie, im Freundeskreis, in der Paarbeziehung.
Wenn sich nun jemand „Arbeitslosigkeit als einen ewigen Urlaub“ vorstellt, ist das ein Symptom der Erwerbsidolatrie, als sei das Leben außerhalb nur „Freizeit“. Dass in Anna Mayrs Welt die Fürsorge für andere, wie sie für Haushaltstätigkeiten zentral ist, keine Rolle spielt, ist ebenso symptomatisch wie die Verwechslung von Nicht-Erwerbstätigkeit mit Urlaub. Wieder wird nicht thematisiert, weshalb Erwerbslosigkeit so unerfüllend ist, die Stigmatisierung und Degradierung der Person, die ohne Erwerbstätigkeit ist, wird einfach übersehen oder übergangen.
Mayr plädiert für „Richtige Jobs statt sinnlose Maßnahmen“, das hat etwas für sich, allerdings fällt auch hier unter den Tisch, dass es Aufgaben jenseits der Erwerbstätigkeit gibt, die keine Erwähnung finden und dennoch volles Engagement erfordern. Heute ist dieses Engagement allerdings stets davon abhängig, ausreichend Einkommen anderweitig zu erzielen oder bereitgestellt zu erhalten, zudem hat Erwerbstätigkeit normativen Vorrang und alles andere wird zur Freizeitbeschäftigung herabgewürdigt.
Hier nun geht es um die von ihr vorgeschlagene Alternative:
„Jeder, der nicht krank ist, sollte eine Stelle angeboten bekommen, die den eigenen Möglichkeiten entspricht. Eine alleinerziehende Mutter kann vielleicht nur zwei Stunden am Tag wohnortnah arbeiten? Besser als nichts! Ein Mann mit chronischen Rückenschmerzen kann nur halbtags einen Bürojob machen? Dann ist es so.“
Angebote können hier nur auf Qualifizierung und Fähigkeiten Rücksicht nehmen, was aber, wenn derjenige gar keinen „Job“ will, sondern schon genügend Aufgaben hat, die er z. B. im Haushalt, bei Angehörigen oder in der Nachbarschaft wahrnehmen will und wenn er dafür keine Entlohnung möchte, gleichwohl aber Einkommen benötigt? Darauf gibt der Vorschlag keine Antwort.
Weshalb ist es für eine alleinerziehende Mutter „[b]esser als nichts“, zwei Stunden am Tag „zu arbeiten“, wenn sie mit ihren Kindern doch genug zu tun hat? Mayrs Erwerbsfixierung, die Nichtbeachtung der Nicht-Erwerbswelt entspricht den politischen Entscheidungen und öffentlichen Debatten der letzten Jahre.
Entsprechend kommt es zur folgenden Überlegung, die manches für sich hat, aber in den Verengungen hängenbleibt:
„Den zweiten Arbeitsmarkt auszubauen, also als Staat Löhne für Menschen zu zahlen, die sonst keiner zahlt, ist natürlich teuer. Aber: Die Leute, die man damit in Arbeit bringt und hält, brauchen keine andere teure Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, für die man wiederum einen Maßnahmenträger finanzieren muss. Wenn die Menschen arbeitslos wären, müsste der Staat ebenfalls für sie zahlen. Hinzukommt: Wer wenig verdient, spart nicht, sondern gibt den Lohn aus – und das stärkt die Nachfrage und damit die Wirtschaft.“
Dass solche Maßnahmen teuer sind, ist noch nicht kritikwürdig, denn das gilt für jedes staatliche Angebot, die Frage ist vielmehr, worauf das Angebot zielt und ob es denn die Erwartungen erfüllen kann? Frau Mayr nennt beachtenswerte Aspekte, doch was sie erreichen will, könnte besser mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen (das für sie bislang allerdings ein Unding war) erreicht werden, denn: 1) es verengt Arbeit nicht auf Erwerbsarbeit; 2) es erweitert Möglichkeiten, z. B. das fortzuführen, was jemand gegenwärtig tut, wofür er aber kein Einkommen erhält; 3) es erhöht die Chance, dasjenige auszuwählen, was jemand wirklich tun will und für sinnvoll erachtet; 4) Angebote annehmen zu können, auch wenn die Bezahlung niedrig ist u.a.
Zuguterletzt räumt ein BGE mit der Illusion auf, in einem Erwerbsverhältnis gehe es um soziale Beziehungen um ihrer selbst willen, um soziale Integration oder wie das sonst noch genannt wird. Erwerbsbeziehungen sind zweckgebundene Beziehungen, es geht nicht um die Person, sondern um die Aufgabe, daran wird der Einzelne gemessen und muss auch daran gemessen werden, zu nichts anderem dienen solche Verhältnisse. Alles andere hat seinen Ort im politischen Gemeinwesen, in dem die Angehörigen als Bürger einen Status ohne Vorbehalt innehaben und in Gemeinschaftsformen wie Familie und Freundschaft, in denen es ebenso um sie um ihrer selbst willen geht. Das wäre eine Befreiung von Illusionen der „Arbeitsgesellschaft„.
Sascha Liebermann