In einem Interview mit Jürgen Schupp auf der Plattform Xing werden etliche Fragen rund um ein Grundeinkommen gestellt, die Antworten geben Einblick in den Stand der Diskussion und darein, wie Jürgen Schupp die Aussichten für eine Einführung einschätzt. Zwei Stellen seien hier kommentiert. Gleich zu Beginn geht es um die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, in der Pandemie ein BGE einzuführen, statt die vielen nicht zielgenauen Hilfsmaßnahmen zu ergreifen. Schupp antwortet darauf:
„Jürgen Schupp: Es ist komplex, ein Grundeinkommen blitzartig zu verzahnen mit unseren bestehenden Leistungen der sozialen Sicherung und auch der Besteuerung. Außerdem wissen wir noch zu wenig über die Makroeffekte, die ein Grundeinkommen auslösen würde. Dazu brauchen wir eine grundlegende Debatte innerhalb der Wissenschaft und auch entsprechende empirische Studien. Was macht es mit den Preisen, wenn den Einwohnerinnen und Einwohnern einer ganzen Kommune ein Grundeinkommen gezahlt wird? Hilft es gegen Armut? Zieht es Menschen aus anderen Orten an? Was passiert mit den Löhnen? Diese Fragen müssen wir zuerst klären.“
So treffend hier die Komplexität des Zusammenwirkens herausgestellt wird und wir in der Tat tatsächliche Auswirkungen nicht kennen, können wir doch sagen, was ein BGE strukturell veränderte, welche Handlungsmöglichkeiten es schüfe, welche normativen Umwertungen es vornähme. Die Frage, zu welchen Auswirkungen das führt, hängt ganz wesentlich davon ab, wie die Bürger auf der Basis dieser Handlungsmöglichkeiten tatsächlich handeln. Genau das aber lässt sich nicht simulieren bzw. nur im Sinne einer Scheingewissheit (siehe dazu hier und hier, zum Pilotprojekt auch hier). Nun ist das nicht nur hier der Fall, es gilt ganz allgemein für Veränderungen, das sehen wir in der Pandemie lediglich ganz besonders deutlich und es ist ein Signum allen Entscheidens, das der Ausgang offen ist.
Ist das ein Aufruf zur Fahrlässigkeit? Keineswegs, wenn man sich in der Forschung nicht auf Feldexperimente konzentrierte, sondern die handlungsleitenden Überzeugungen von Entscheidungen untersucht, die bislang vorgefunden werden können. Denn immerhin haben sie sich auf der Basis einer Lebenspraxis herausgebildet, die von der Seite der politischen Grundordnung auf die Selbstbestimmung der Bürger setzt und ihnen zumutet, alle Entscheidungen ihr eigenes Lebens betreffend auch alleine treffen zu müssen(!). Wer damit nicht zurande kommt, soll(!) sich Hilfe holen. Das gilt für alle Lebensbereiche gleichermaßen, nur im Falle der Einkommenserzielung existiert eine normative Engführung dahingehend, dass diese über Erwerbstätigkeit erfolgen soll(!). Wie mit diesen Zumutungen der Selbstbestimmung umgegangen wird, lässt sich also sehr genau durch Forschung untersuchen, ohne allerdings die Offenheit der Zukunft, die Ungewissheit dahingehend, was denn nun die Bürger mit dem BGE anfangen werden, schließen zu können. Schupp fordert zurecht, dass es eine „grundlegende Debatte innerhalb der Wissenschaft“, die sich dem bislang weitgehend verschließt, geben müsse und „empirische Studien“ wichtig seien, hier allerdings gibt es sehr unterschiedliche methodische Zugänge, über die ebenfalls diskutiert werden müsste, denn „empirisch“ heißt heute in der Regel, dass mit standardisierten Daten geforscht wird. Darauf hatte ich hier schon einmal hingewiesen.
Abschließend heißt es:
„XING News: Für wie realistisch halten Sie Befürchtungen, dass ein Grundeinkommen die Menschen in großer Zahl dazu verleitet, einfach gar nichts mehr zur Gesellschaft beizutragen?
Jürgen Schupp: Diesen Befürchtungen liegt ein eher negatives Menschenbild zugrunde, das ich nicht teile, und das auch von den bisherigen Forschungsergebnissen nicht gedeckt wird. Zum Beispiel zeigt eine Studie aus Finnland, dass Bürgerinnen und Bürger von sich aus Jobs aufnehmen, wenn sie ein Grundeinkommen erhalten. Das System, das wir zurzeit in Deutschland haben, betont eher zu stark Sanktionen. Ein Staat hingegen, der ein Grundeinkommen zahlt, ist erst einmal großzügig, verlangt im Gegenzug aber auch eine gewisse Loyalität, Ehrlichkeit und Vertrauen in das Staatswesen.“
Wie realistisch das „Menschenbild“ des Grundeinkommens ist, ist keine „philosophische“ Frage, wie manche meinen und schon früher ist diese Debatte nicht alleine philosophisch geführt worden, wie Schupp zuvor andeutet. Einmal mehr wird an dieser Passage deutlich, wie sehr die politische Grundordnung Deutschlands in ihren Voraussetzungen viel zu wenig bis gar nicht in Augenschein genommen wird, wenn es um das Menschenbild geht. Wir haben in Deutschland zwei Menschenbilder, die im Widerspruch zueinander stehen. Das Menschenbild des Grundgesetzes steht auf der einen, das unseres Sozialstaats auf der anderen Seite – ein eklatanter Widerspruch. Fragt man sich nun, vor welchem Maßstab sich der Sozialstaat in seiner Ausgestaltung zu bewähren hat, dann ist es die politische Grundordnung, wie sie im Grundgesetz niedergelegt und schon lange praktiziert wird. Eine Umgestaltung des Sozialstaats dahingehend ist also überfällig, denn in seiner heutigen Form leitet er sich nicht aus der politischen Verfasstheit ab. Das Grundgesetz kennt keine Erwerbsobliegenheit der Bürger. Alleine von hier aus ergibt sich schon Handlungsbedarf.
Sascha Liebermann