„Pilotprojekt Grundeinkommen“ – Forschung mit qualitativen Daten,…

…wie er dabei vorgeht, dazu gibt Prof. Antonio Brettschneider Auskunft in einem Interview (hier die Verschriftung dazu auf der Website von Mein Grundeinkommen). Die von ihm vorgestellte Forschung mit nicht-standardisierten Daten, wie die „qualitativen Daten“ besser zu nennen wären, ist insofern nicht selbstverständlich, als dass sie in der Sozialpolitikforschung eine eher randständige Rolle spielt, ganz wie in der Forschung zum Bedingungslosen Grundeinkommen auch (siehe meine Anmerkungen dazu hier). Forschungsgespräche, gemeinhin als Interviews bezeichnet, sind nur eine Form nicht-standardisierter Daten, ihre Erhebung ist das eine, wichtiger noch ist ihre Auswertung, wie dabei vorgegangen wird, wie Deutungen (Rekonstruktionen) belegt werden. So gibt es in der sogenannten qualitativen Forschung eine Spannbreite von geradezu wiederum standardisiert (subsumierend) vorgehenden Auswertungsverfahren, die den Zweck ins Gegenteil verkehren über Verfahren, deren Auswertungsweg nicht klar ist, bis zu solchen, die der Bedeutungsstruktur von Handeln möglichst nahe zu kommen versuchen (in Anlehnung an die hermeneutische Tradition, allerdings mit methodisch strengen Maßstäben, besonders elaboriert in der Objektiven Hermeneutik Ulrich Oevermanns (siehe auch hier).
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„Ich brauche nicht nachzuweisen, ob ich bedürftig bin“…

…darüber schrieb Hannes Koch in der Frankfurter Rundschau. Das ist der entscheidende Unterschied zu heutigen Leistungen. Im Beitrag geht es auch um das Pilotprojekt Grundeinkommen (siehe hier und hier) sowie die Frage, inwiefern das Bürgergeld ein Schritt Richtung BGE sei und welchen Finanzierungsaufwand es mit sich bringe. Hier allerdings schaut Koch nur auf die Brutto- und nicht auf die Nettokosten der Finanzierung (siehe z. B. hier, hier und hier), er sagt also nichts über die Einnahmeseite und spricht nur über die Ausgaben. Erwähnt wird nicht, dass wir einen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer haben, der statt Besteuerungsvorbehalt zu bleiben auch Ausschüttungsbetrag werden könnte im Sinne von linke Tasche, rechte Tasche. Es bleibt die Frage, welchen Stellenwert dann Erwerbstätigkeit hätte und weshalb sie weiterhin attraktiv sein könnte, das ist zumindest die meist gestellte Frage (siehe hier und hier).

Sascha Liebermann

„Unterschwellige Sorgen“…

…es klingt beinahe so, als habe die Probandin die Sorgen, die sie umtrieben, erst zulassen können, nachdem sie eine sichere Basis zur Verfügung hatte. Vorher musste sie sie abweisen oder von sich weisen. Die Sicherheit würde dann einen realistischeren Blick auf die eigene Lage erlauben.

Sascha Liebermann

„Ohne Druck“ und eine individualistische Verkürzung…

… – Hannes Koch schreibt in der taz über eine Teilnehmerin des Pilotprojekts Grundeinkommen, das vom Verein Mein Grundeinkommen initiiert und u.a. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung begleitet wird. Wie schon viele der von Mein Grundeinkommen gesammelten und erzählten Geschichten ist auch die von Koch insofern interessant, als sie Einblick in die Lebensvorstellung eines Menschen gibt, der ohne Grundeinkommen schon seine Vorstellungen hatte und seinen Weg gemacht hat. Beeindruckend ist an diesen Geschichten immer die Vielfalt der Lebensentwürfe, auf die man stößt, das Ringen mit Lebensbedingungen und die Beharrlichkeit darin, Anliegen zu verfolgen. Zugleich kehren bestimmte Fragen, die sich jedem stellen, wieder, so dass die Lebensentwürfe immer als Antwort auch auf allgemeine Fragen verstanden werden können.

Diese Vielfalt, die Eigensinnigkeit des Lebens und seine Autonomie zu erforschen – dazu bräuchte es allerdings keines Pilotprojekts, dessen Erkenntnisse ohnehin beschränkt sein werden, was am Charakter solcher Feldexperimente liegt (siehe meinen Kommentar dazu hier). Doch lassen die Geschichten aufhorchen und verlangen nach einer Forschung, die diese konkreten Lebensentwürfe ernst nimmt und sie nicht nur in ihrer Einzigartigkeit betrachtet, sondern als Antwort auf eine allgemeine Frage versteht und ihre Gemeinsamkeiten herausstellt. Zu leisten ist das allerdings nicht mit Instrumenten der standardisierten Sozialforschung, deren Weg zum Individuum durch seine Subsumtion unter vordefinierte Antworten bzw. zu erhebende Merkmalskategorien beschränkt ist (siehe den vorangehenden Hinweis).

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Bayern 2-Feature zum Pilotprojekt Grundeinkommen…

…, das heute startet. Darin geht es auch um die Auswahl der Probanden. Janine Busch, die für das Projekt befragt wird, setzt ganz auf die Einsichten, die dadurch gewonnen werden können. Zur methodischen Kritik dazu siehe hier und hier.

Das Menschenbild des Grundeinkommens ist keine Zukunftsmusik – Sozialstaat und Demokratie im Widerspruch

In einem Interview mit Jürgen Schupp auf der Plattform Xing werden etliche Fragen rund um ein Grundeinkommen gestellt, die Antworten geben Einblick in den Stand der Diskussion und darein, wie Jürgen Schupp die Aussichten für eine Einführung einschätzt. Zwei Stellen seien hier kommentiert. Gleich zu Beginn geht es um die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, in der Pandemie ein BGE einzuführen, statt die vielen nicht zielgenauen Hilfsmaßnahmen zu ergreifen. Schupp antwortet darauf:

„Jürgen Schupp: Es ist komplex, ein Grundeinkommen blitzartig zu verzahnen mit unseren bestehenden Leistungen der sozialen Sicherung und auch der Besteuerung. Außerdem wissen wir noch zu wenig über die Makroeffekte, die ein Grundeinkommen auslösen würde. Dazu brauchen wir eine grundlegende Debatte innerhalb der Wissenschaft und auch entsprechende empirische Studien. Was macht es mit den Preisen, wenn den Einwohnerinnen und Einwohnern einer ganzen Kommune ein Grundeinkommen gezahlt wird? Hilft es gegen Armut? Zieht es Menschen aus anderen Orten an? Was passiert mit den Löhnen? Diese Fragen müssen wir zuerst klären.“

So treffend hier die Komplexität des Zusammenwirkens herausgestellt wird und wir in der Tat tatsächliche Auswirkungen nicht kennen, können wir doch sagen, was ein BGE strukturell veränderte, welche Handlungsmöglichkeiten es schüfe, welche normativen Umwertungen es vornähme. Die Frage, zu welchen Auswirkungen das führt, hängt ganz wesentlich davon ab, wie die Bürger auf der Basis dieser Handlungsmöglichkeiten tatsächlich handeln. Genau das aber lässt sich nicht simulieren bzw. nur im Sinne einer Scheingewissheit (siehe dazu hier und hier, zum Pilotprojekt auch hier). Nun ist das nicht nur hier der Fall, es gilt ganz allgemein für Veränderungen, das sehen wir in der Pandemie lediglich ganz besonders deutlich und es ist ein Signum allen Entscheidens, das der Ausgang offen ist.

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„Was tun wir, wenn wir nicht müssen?“ – Corinna Hartmann blickt auf das Pilotprojekt Grundeinkommen, benennt Schwächen von Feldversuchen…

…, geht darin aber nicht weit genug.

Corinna Hartmann schreibt auf spektrum.de angesichts des bevorstehenden Starts des Pilotprojekts Grundeinkommen über das Vorhaben. Sie gibt darin einen Überblick über Feldversuche, die auf der einen Seite als Feldversuche zum BGE eingeführt werden, zum anderen in ihren Grenzen benannt werden. Bestimmt werden diese Grenzen aber nur entlang standardisierter Verfahren der „empirischen Sozialforschung“ (darunter werden nicht-standardisierte Verfahren in der Regel nicht verstanden), hierbei geht es dann vornehmlich um die Auswahl der Probanden oder die Größe der Stichprobe. An einer Stelle wird das untersuchte Grundeinkommen mit einem Lottogewinn verglichen, weil die Lebensbedingungen derer, die keines erhalten, gleich blieben, sie also – so müsste man es weiterspinnen – einen privilegierten Status erhalten.

Weshalb werden die Möglichkeiten nicht-standardisierter Forschung hier nicht zumindest erwähnt?

Entweder sind sie der Autorin nicht bekannt oder sie hält sie nicht für relevant – was der Fall ist, bleibt im Dunkeln. Auffällig ist jedoch, wie weit verbreitet die Vorstellung ist, verallgemeinerbare Erkenntnisse ließen sich nur über standardisierte Verfahren und große Fallzahlen gewinnen, eine Vorstellung, die für diese Verfahren in gewissem Sinne zutrifft, sie erlauben jedoch nur eine empirische Generalisierung (Verbreitung von Typen), nicht eine Strukturgeneralisierung (Bestimmung von Typen). Gerade letzteres kann aber wichtige Beiträge zur Diskussion liefern.

Siehe meine methodische Kritik zum Pilotprojekt hier.

Misslich ist eine gewisse Flapsigkeit in dem Beitrag, z. B. wenn vom „Staatsgeld“ für alle die Rede ist, denn jegliche Form öffentlicher Förderung ist letztlich „Staatsgeld“, das aber zum größten Teil von den Bürgern stammt. Auch ist es verkürzt, den in der Diskussion um die Schweizer Volksabstimmung häufig genannten Betrag von 2500 Schweizer Franken mit dem Umrechnungskurs in Euro zu vergleichen, ohne die Kaufkraftverhältnisse zu beachten, das ist schlicht irreführen.

Sascha Liebermann

„…ob der Mensch nur handelt, wenn er dafür Anreize und Belohnungen erhält“ – keineswegs und schon vielfältig untersucht

Der Deutschlandfunk berichtete über die hohe Anzahl an Bewerbern für das Pilotprojekt des Berliner Vereins Mein Grundeinkommen. Das Ziel des Projekts wird hier wiedergegeben:

„Dabei steht im Zentrum, ob und wie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Berufstätigkeit und das Wohlbefinden der Testpersonen auswirkt. Es soll untersucht werden, ob der Mensch nur handelt, wenn er dafür Anreize und Belohnungen erhält. Im Fokus stehen auch die psychologischen Aspekte, etwa ob das Grundeinkommen hilft, Stress zu verringern und in der Folge die Lebenszufriedenheit und gesellschaftliches Engagement erhöht.“

Weshalb wird so getan, als gäbe es zu diesen Fragen keine Befunde? Es gibt sie sogar jenseits der BGE-Forschung, dazu müsste nur einmal der Blick auf kindliche Entwicklungsprozesse und die Entstehung von Leistungsbereitschaft gerichtet werden, wie es Remo Largo vorbildlich getan hat. Zieht man hierzu noch Einsichten einer soziologischen Sozialisationstheorie hinzu (z. B. hier) wird man nicht ernsthaft mehr die unterkomplexen „Anreiz“-Theoreme in Betracht ziehen. Dazu müsste man aber zum einen grundsätzlicher die Frage angehen und Methoden hinzuziehen, die näher am konkreten Leben sind.

Sascha Liebermann

„BGE-Unterstützenden-Anzahl in Deutschland“ – ich bin skeptisch, ob die Zahlen das widerspiegeln…

…insbesondere bezüglich der Angaben für das Pilotprojekt und der rechtlich unverbindlichen Petition von Tonia Merz auf change.org. Auch der Status der Europäischen Bürgerinitiative ist ja alles andere als stark (siehe auch hier und hier). All das sollte aber nicht davon abhalten, weiterhin beharrlich für ein BGE zu argumentieren und sich öffentlich dafür einzusetzen.

Sascha Liebermann