…sagte Bundeskanzlerin Merkel im Interview mit dem Magazin Deutsche Unternehmerbörse (Ausgabe 4/2017). Die Äußerung ging durch die Presse, hier ist die vollständige Passage im Wortlaut:
DUB: „Brauchen wir beispielsweise das bedingungslose Grundeinkommen, um soziale Unruhen zu vermeiden und Populismus den Nährboden entziehen zu können?
Merkel: Die Digitalisierung eröffnet viele neue Chancen. Dazu gehören zukunftsfähige, gut bezahlte Arbeitsplätze. Die Digitalisierung bedeutet aber auch, dass wir viel Mühe in die Ausbildung und lebenslange Weiterbildung der Bürger stecken müssen. Das System eines bedingungslosen Grundeinkommens halte ich für keine gute Idee, weil es eine Abkehr vom bisherigen Bedarfsprinzip eines solidarischen Sozialstaates bedeutete, der dann hilft, wenn Not besteht. Es wäre zudem eine Abkehr vom bewährten Prinzip der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung.“
Diese Äußerung ist insofern aufschlussreich, als dass die Kanzlerin nicht von Angeboten spricht, die gemacht werden, sondern direkt von der „Ausbildung und lebenslange[n] Weiterbildung“, so als nehme der Staat sie selbst direkt vor, als gebe es keine Möglichkeit, ihr zu entgehen. Das ist natürlich unrealistisch, zeigt aber eine bestimmte Haltung, die Bildung als Programm versteht und sich um die Voraussetzungen dazu wenig schert. Wer Bildung ernst nimmt, muss die Voraussetzungen schaffen, dass der Einzelne sich auf sie einlassen kann, nicht aber muss (siehe die Diskussion über die Folgen der Schulpflicht oder „kulturelle Bildung“). Dass der Bundeskanzlerin – aber nicht nur ihr – diese Vorstellung fremd sein mag, bezeugt eine Äußerung, die sie vor acht Jahren im damaligen Bundestagswahlkampf machte. In einer Rede auf einer Wahlveranstaltung in Bremen im September 2009 (siehe den Blogbeitrag dazu hier) sagte sie folgendes:
„Wir werden uns keinen jungen Menschen […] leisten können, der nicht seine Chancen wahrnimmt“
Chancen (siehe auch hier) nicht wahrzunehmen ist also nicht Sache des Einzelnen, sondern sanktionsbewährt. Denn, wenn wir uns das nicht leisten können, dass jemand „seine Chancen“ nicht wahrnimmt, was machen wir dann mit ihm? Wie gehen wir damit um? Eine ähnliche Haltung lässt sich allerdings bei anderen erkennen, so, wenn Andrea Nahles sich für ein „Recht auf Weiterbildung“ ausspricht, das die Pflicht zur Ausbildung enthält.
Sascha Liebermann