„Sowas wie Grundeinkommen light“ – oder wer bestimmt darüber, was Chancen sind?

Diese Frage wirft ein Kommentar in der taz auf, der sich mit dem Vorschlag Martin Schulz‘ für ein „Chancenkonto“ beschäftigt und ihm bescheinigt, dass es sich dabei um ein „Grundeinkommen light“ handele. Das ist sehr wohlwollend ausgedrückt. Aufgebracht hatte die Idee Bundesministerin Andreas Nahles. Treffend heißt es an einer Stelle: „Schulz hat nicht gesagt, wie viel sein „Chancenkonto“ kosten wird. Er hat sich auch nicht auf eine Förderungssumme pro Kopf festgelegt. Wer nichts wagen will, wer glaubt, in diesem Land sei doch eigentlich alles in Ordnung, ist also herzlich eingeladen, seine Idee als „unbezahlbar“ oder „utopisch“ abzutun“. Zeit Online berichtet: „Dieses soll mit bis zu 20.000 Euro gefüllt sein, um davon Weiterbildung, Existenzgründung und Auszeiten wie Sabbaticals zu finanzieren“.

Wenn man den Betrag hochrechnet auf das, was eine alleinstehende Person im Jahr bräuchte, wenn sie kein Erwerbseinkommen bezöge, ist der Vorschlag eher ein Grundeinkommen superlight, wenn man den Begriff dafür überhaupt verwenden will. Sorge muss einem bereiten, wie Chancen verstanden werden, denn in Schulz‘ Vorschlag, können Chancen aufgebraucht werden, ohne dass sich das Konto wieder füllt. Ganz ähnlich ist es mit einem ähnlichen Vorschlag, dem des „Lebenschancenkredits“, der zurückgezahlt werden muss in irgendeiner Form, sonst wäre er kein Kredit.

Was sind Chancen?

Sowohl das „Chancenkonto“ wie der „Lebenschancenkredit“ stellen zuerst einmal Möglichkeiten bereit, die genutzt werden können oder auch nicht. Ob sie genutzt werden, hängt davon ab, ob die Möglichkeiten für eine bestimmte Person als Möglichkeiten auch von Bedeutung sind. Denn erst so werden Möglichkeiten zu Chancen, Chancen sind positiv besetzte Möglichkeiten, sie liegen nicht einfach so herum. Wenn nun Schulz wie auch Steffen Mau, der das Konzept des Lebenschancenkredits jüngst wieder in die Debatte warf, die Chancen schon vordefinieren, dann ist auch klar, wo Chancen gesehen werden, die das Gemeinwesen fördern soll und wo nicht. Damit wird wieder „von oben“ definiert, in welche Richtung das Leben zu laufen hat und in welche nicht. Wertschätzung wird dann der Wahrnehmung dieser Chancen entgegengebracht, nicht aber dem Einzelnen überlassen, welche Chancen für ihn sinnvoll sind. Das ist dasselbe Phänomen wie beim Vorrang von Erwerbstätigkeit. Jedem ist natürlich freigestellt, ob er erwerbstätig werden will oder nicht, wird er es nicht, kann er aber nicht davon ausgehen, dass er etwas Erwünschtes und Wertgeschätztes tut. Das erinnert einen ganz an eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Veranstaltung zur Bundestagswahl 2009 in Bremen, als sie sagte: „Wir werden uns keinen jungen Menschen […] leisten können, der nicht seine Chancen wahrnimmt“.

So über Chancen zu sprechen hat nicht nur etwas Paternalistisches, es ist beinahe totalitär im Sinne eines umgreifenden Vorabfestlegung, worin der Einzelne Chancen zu sehen und dass er sie zu nutzen hat.

Sascha Liebermann