Die Frage stellt sich angesichts eines Interviews, das Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband, dem Südkurier gab. Lockern der Sanktionen, nicht abschaffen. Er erklärt auch gleich, weshalb er gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist:
Südkurier: „Die SPD-Chefin Andrea Nahles hat kürzlich vorgeschlagen, die Sanktionen für Hartz-4-Empfänger zu lockern. Widerspricht das nicht der Grundidee „Fördern und Fordern“ der Agenda 2010?“
Schneider: „Ich halte es für richtig, die Sanktionen zu lockern. Denn viele Jugendliche, denen man Sanktionen androht, verabschieden sich und werden durch die Sanktionen in echtes Elend geführt. Und was für junge Menschen schlecht ist, ist auch für die Erwachsenen schlecht. Die Gruppe der Leistungsverweigerer ist verschwindend gering. Man sollte sich lieber auf die Vermittlung derjenigen konzentrieren, die arbeiten wollen.“
Die Frage wäre hier natürlich, was „Leistungsverweigerer“ sind? Man muss noch in Betracht ziehen, dass sie womöglich zu der von ihnen erwarteten Leistung nicht in der Lage sind und dazu noch die Drohkulisse des Sozialstaats mit seinen Instrumenten und normativen Bewertungen ein Übriges tut. „Leistungsverweigerer“ haben eine Lebensgeschichte, von der nicht abstrahiert werden kann, wenn man beurteilen will, was der Grund für die „Leistungsverweigerung“ ist.
Müsste Schneider nicht, wenn er Sanktionen für unproduktiv hält, für die Abschaffung von Sanktionen im Allgemeinen sein? Dann müsste er im Gefolge einer solchen Forderung ein anderes System der Mindestsicherung vorschlagen, denn die Aufhebung von Sanktionen verträgt sich nicht mit einem erwerbszentrierten Sozialstaat? Naheliegend ist die Frage des Südkuriers also:
Südkurier: „Sollte man dann nicht lieber gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, wenn man ohnehin auf Sanktionen verzichtet?“
Schneider: „Nein. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ein riesiger Umwälzungsapparat, da es ja jeder bekäme und man es den Reichen dann wieder wegnehmen müsste. Feinde des Sozialstaats würden ein Grundeinkommen nutzen, um Leistungen zu kürzen. Das wäre die endgültige und denkbar schlimmste Spaltung der Gesellschaft.“
Hm, was fordert er dann also, wenn er aus den von ihm genannten Gründen kein BGE will? Rätselhaft bleibt seine Antwort, die einen Popanz aufbaut. Als stünde heute „Reichen“ kein Grundfreibetrag zu. Dazu profitieren sie noch von weiteren Steuerfreibeträgen. Jegliches System sozialer Sicherung, dass eine Mindestsicherung bereitstellen will, ist ein großer Umwälzungsapparat, das geht gar nicht anders. Die Frage ist nur, was lässt sich wie gestalten, wodurch kann ein System effizienter und effektiver werden, ohne die Mindestsicherung zu gefährden? Die „Feinde des Sozialstaats“ sind also der Grund dafür, auf eine bessere Absicherung im Vergleich zu heute zu verzichten. Diese Sorge gilt natürlich immer, weil jeder Vorschlag dazu benutzt werden kann, Verschlechterungen herbeizuführen. Das würde allerdings bedeuten, weitreichende Veränderungen überhaupt nie ins Auge zu fassen, oder?
Sascha Liebermann