Wie aus dem bedingungslosen Grundeinkommen ein Erziehungsinstrument wird – Anmerkungen zur Grünen Grundsicherung

Wiederholt haben wir den Entwurf einer Grünen Grundsicherung von Manuel Emmler und Thomas Poreski kommentiert (Kommentar 1, Kommentar 2). Wir wollten dabei aufzeigen, wie wenig vom BGE übrigbleibt, wenn aus zu frühen polittaktischen Gründen, die Idee zurechtgestutzt wird, bevor ihre Tragweite deutlich und in der öffentlichen Debatte angekommen ist.

Einem Hinweis von Matthias Dilthey folgend, wollen wir hier auf eine weitere Vergabebedingung eingehen, die sich auf Seite 10 des Entwurfs findet. Dort heißt es:

„Die Ausbezahlung der Kindergrundsicherung ist gekoppelt an den Besuch eines anerkannten Halbtagskindergartens (ab dem 3. Lebensjahr), sowie bei schulpflichtigen Kindern an den Schulbesuch im Inland.“

Daß überhaupt ein reduzierter Betrag vorgesehen ist, versteht sich auch nicht von selbst, wenngleich eine solche Überlegung zumindest bedenkenswert ist. Allerdings keineswegs bedenkenswert ist die Einführung einer Pflicht, Kinder in einem Halbtagskindergarten unterzubringen, wenn Eltern die Kindergrundsicherung beziehen wollen. Zwar befinden sich Emmler und Poreski hier in guter Gesellschaft mit unser Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, doch das zeigt nur, wie weit verbreitet die Vorstellung ist, Bildung oder Kinderbetreuung müsse erzwungen werden (siehe auch das „Elterngeld“).

Wer Eltern nicht zutraut, daß sie in der Regel für ihr Kinder das Beste wollen, der benötigt solche Regulierungen. Begründet werden sie meist mit dem Verweis darauf, wie viele Eltern heute ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Weil es das gibt, weil es also Ausnahmen gibt, muß man die Regel danach richten. Weil es Ausnahmen gibt, müssen alle nach ihnen beurteilt werden. Hier soll der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden. Dabei wird darüber hinweggegangen, daß wir heute in dieser Hinsicht liberaler sind. Wo Eltern tatsächlich ihrer Verantwortung nicht nachkommen, da haben wir zum Wohl des Kindes das Kinder- und Jugendhilfegesetz geschaffen. Es erlaubt dem Jugendamt eine Intervention zum Wohl des Kindes.

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"Nie wieder Hartz IV" (Die Zeit) – wahrlich weltfremd

In Die Zeit vom 12.4.2007 hat sich Kolja Rudzio in dem Beitrag „Nie wieder Hartz IV“ mit dem Grundeinkommen beschäftigt. Derselbe Autor hatte sich schon einmal im September 2005 in dem Beitrag „Sozialhilfe für alle“ zum Grundeinkommen geäußert.

Nach einer kurzen Darstellung kursierender Vorschläge zum Grundeinkommen, in der auch wieder einmal manches durcheinander geht, die Negative Einkommensteuer mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gleichgesetzt wird und betont werden muß, daß das Grundeinkommen nichts Neues sei, sind die abschließenden Ausführungen die eigentlich interessanten.

Dort heißt es z.B.: „Alle Rechenspiele haben einen Pferdefuß: Ihr Ergebnis steht und fällt mit der Frage, wie sich das Verhalten der Menschen ändert, wenn das mühelose Einkommen gesellschaftliche Realität ist.“

Ganz genau, das können wir nicht vorhersagen, wir können aber sehr wohl daraus, wie die Menschen in der Vergangenheit gehandelt haben, nach welchen Überzeugungen sie dies taten, Schlußfolgerungen darauf ziehen, was ihnen wichtig ist und ob es wahrscheinlicher ist, daß sie Möglichkeiten der Selbstbestimmung ergreifen oder sich dirigieren lassen werden.

Weiter heißt es in dieser Passage: „Werden die, die heute noch brav [Hervorhebung SL] zur Arbeit gehen und Steuern zahlen, dann genauso viel schuften wie bisher? Oder würden sich immer größere Milieus an Alimentierung gewöhnen und dauerhaften Anstrengungen gar nicht mehr gewachsen sein?“

Ob die Einzelnen brav, also gehorsam und obrigkeitsliebend zur Arbeit gehen werden, das scheint den Autor mehr zu kümmern als die Frage, was denn dagegen spricht, daß sie die Freiheiten ergreifen werden. Man könnte meinen, heute lebten wir in einem Gefängnis, als kontrollierten Wärter die Folgsamkeit der Insassen – dabei leben wir in einer Demokratie. Kolja Rudzio hat in die Bürger und ihr Verantwortungsempfinden wenig Vertrauen. Was ist nun weltfremd, die Einschätzung Kolja Rudzios oder das Vertrauen in die Bürger?

An einer anderen Stelle heißt es: „Menschenbilder bietet die Wissenschaft zuhauf. Aber eine Prognose, wie sich eine Gesellschaft langfristig verändern würde, lässt sich nicht ableiten. Auch in der Praxis gibt es kaum Erfahrungen.“

Was wäre daraus nun zu folgern? Etwa dies, daß es abwegig ist, den Bürgern zu vertrauen, weil ihr Handeln nicht berechenbar ist; daß also, weil man die Bürger nicht berechnen kann, ihnen auf keinen Fall vertraut werden sollte?

Weise heißt es später: „’Aber viele junge Leute müssen wir mit unendlich viel Aufwand für Arbeit begeistern, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass sie auch so Geld bekommen.’ Sie wüssten genau, was sie im Amt erzählen müssten, damit ihnen keine Leistungen gestrichen würden.“

Diese jungen „Leute“ sind also lebensklug, könnten wir sagen, sie spüren genau, in welche Mühle wir sie drängen. Was haben wir der Jugend denn zu bieten, außer den ewiggleichen, freiheitsfeindlichen Sprüchen der vergangenen 10 Jahre? Daß eine gewisse Verweigerungshaltung auch Protest ist, aus einem Ohnmachtsempfinden heraus geschieht – wer würde das bezweifeln. Wenn tagein tagaus in der öffentlichen Diskussionen, den politischen Stellungnahmen und der Schule verkündet wird, individuelle Neigungen und Interessen seien unbedeutend oder nachrangig, die Hauptsache es werde irgendeine Arbeit gemacht – dann sollte uns das nicht überraschen. Statt dessen täte es not, nach den Gründen zu fragen.

In der Fortsetzung der Äußerung wird es noch deutlicher: „’Die haben ihr bedingungsloses Grundeinkommen schon!’ Deshalb sei auch die Bereitschaft groß, eine Lehre abzubrechen. ‚Es fehlt immer häufiger der Wille, bei der Arbeit auch einmal einen Konflikt durchzustehen’, sagt Henke, der seit über 30 Jahren im Arbeitsamt tätig ist.“

Auch hier sollten wir uns nach den Gründen fragen. Weshalb einen Konflikt durchstehen und woher die Kraft dafür nehmen, wenn man sich mit der Sache, um die es geht, nicht identifiziert, wenn sie den eigenen Interessen nicht entspricht?

Schließlich zeigt sich, was für real gehalten wird: „Die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens erscheint da manchen wie ein Befreiungsschlag zur Überwindung der sozialpolitischen Ohnmacht. Ginge es aber nur um das Ziel, den Menschen Alternativen zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen, so ließe sich das auch ohne einen kompletten Systemwechsel erreichen. Geld ohne klassische Arbeit – Beispiele für eine schrittweise Umsetzung sind das Elterngeld [man höre und staune, als sei das ein Schritt in die Freiheit] oder die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente. Auch Bafög, Altersteilzeit oder Arbeitslosengeld könnten weniger restriktiv gewährt werden. Selbst eine staatliche Förderung von Sabbaticals ist denkbar. Das alles ist zwar weniger berauschend als die große Sozialutopie vom Einkommen ohne Arbeit – aber real.“

Da läßt sich nur resümieren: Wer nicht verstanden hat, daß wir schon heute in die Bürger vertrauen müssen und es tun, auch wenn wir dies nicht wahrhaben wollen, denn ohne Vertrauen ist eine Demokratie gar nicht möglich; wer nicht wahrhaben will, daß Mitarbeiter in Unternehmen produktiv und kreativ sind, wenn sie eine Aufgabe gerne übernehmen, sich mit ihr identifizieren, wer also all das verleugnet und für irreal hält, der – und nicht das bedingungslose Grundeinkommen – ist wahrlich weltfremd.

Sascha Liebermann

Stärkung der Familie statt Ausweitung des Erwerbsprinzips…

…das wäre die Antwort, die das bedingungslose Grundeinkommen auf das Elterngeld gäbe, doch seit Jahresbeginn wird das Gegenteil praktiziert.

Was vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Fortschritt gepriesen wird, ist familienpolitisch tatsächlich ein Rückschritt. Denn mit dem Elterngeld wird die Orientierung am Erwerbsprinzip, die schon für das bisherige Erziehungsgeld gegolten hat, verschärft, Besserverdienende werden besser gestellt.

Zwar wird das Elterngeld aus Steuermitteln finanziert, ist also nicht im strengen Sinne eine Lohnersatzleistung. Doch die Berechnungsmodalitäten, die dem Elterngeld zugrunde liegen, behandeln es so, als sei es eine Lohnersatzleistung; oberhalb des Mindestsatzes wird es abhängig vom letzten Erwerbseinkommen gewährt. Wer vor in Anspruchnahme des Elterngeldes gut verdient hat, erhält also ein höheres, wer schlecht verdient hat, ein niedrigeres. Die einen werden für die Hinwendung zu den Kindern besser gestellt als die anderen. Wie können wir es rechtfertigen, daß es nun zwei Klassen von Eltern gibt statt einer einheitlichen Förderung, die Familien als solchen zu gute kommt?

Offenbar werden Familien in unserem Land nicht für schützenswert erachtet, ihre Stärkung ist nicht erster Zweck unserer Familienpolitik. Wer glaubt, „Anreize“ für die Gründung einer Familie setzen zu müssen, wer also davon ausgeht, eine Familie zu gründen, geschehe nur, wenn es sich lohnt, der pervertiert familienpolitische Förderung. Er behandelt Fragen unserer Zukunft, denn sie liegt in den Familien, wie eine Investition in ein Produkt, das verkauft werden soll.

Statt eines solchen Rückschrittes, der die Grundfesten unseres Gemeinwesens angreift, hätten wir einen wirklichen Schritt nach vorne tun können. Zu spät ist es in dieser Frage nicht, wir können einen wirklichen Schritt nach vorne tun. Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger betrieben wir eine Familienpolitik, die diesen Namen verdient hätte. Da jeder Bürger das bGE erhielte, förderten wir Familien (2 Erwachsene, 2 Kinder = 4 Grundeinkommen) auf einfache Weise. Auch Alleinerziehende wären mit einem bedingungslosen Grundeinkommen in einer besseren Lage (1 Erwachsener, 2 Kinder = 3 Grundeinkommen).

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würden wir ernstmachen mit den Sonntagsreden. An die Stelle einer erwerbsorientierten Familienpolitik träte eine freiheitliche, die das Gemeinwesen stärkte.

Sascha Liebermann