Treffende Anmerkung: Mit Schubladen arbeiten, um Differenziertheit zu unterlaufen und Paternalismus zu verdecken…

…, denn die wenigsten Überlegungen in der BGE-Diskussion sind auf einfache Weise einzuordnen. Götz W. Werners Anliegen, der z. B. meist – aber nicht immer – für hohe BGE-Beträge plädiert hat, war es stets, die Selbstbestimmung des Einzelnen durch ein BGE zu stärken. Auch war er meist klar darin, dass es über ein BGE hinaus bedarfsgeprüfte Leistungen geben sollte. Dennoch werden seine Überlegungen in manchen Überblicksdarstellungen (so z. B. bei Björn Wagner und Ronald Blaschke et al, S. 231 f.) mit dem Attribut neoliberal versehen, weil Werner ein hohes BGE nicht mit einem Mindestlohn verknüpfen wollte oder von einem substitutiven Effekt des BGEs sprach. Dabei stellt sich in der Tat die Frage, ob denn ein gesetzlicher Mindestlohn nach Einführung eines auskömmlichen BGEs sinnvoll wäre, wenn Arbeitnehmer zugleich eine ganz andere Verhandlungsmacht hätten als heute. Davon abgesehen hat Werner nie ein Modell im strengen Sinne vorgelegt, sondern seine Vorstellung stets weiter entwickelt. Selbst Thomas Straubhaar schließt bedarfsgeprüfte Leistungen nach Einführung eines BGEs nicht aus.

In Blaschkes Ausführungen irritiert diese Einordnung besonders, da er in der Besprechung sogenannter historischer Vorläufer sehr differenziert vorgeht und mit mancher vorschnellen Einordnung bezüglich der Vorläuferschaft zum BGE aufräumt.

Sascha Liebermann

„Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten“ – sorgfältige Lektüre geboten

Vor einigen Monaten hatten wir auf eine Neuerscheinung zum Grundeinkommen hingewiesen, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wurde. Das Buch Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten, herausgegeben von Ronald Blaschke, Adeline Otto und Norbert Schepers, steht als Volltext online. Der Band will einen Überblick sowohl über die Vorläufer des heute diskutierten bedigungslosen Grundeinkommens geben als auch über die deutsche Debatte. Ein anspruchsvolles Vorhaben angesichts der zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema. Dass hierfür selektiv vorgegangen werden muss, versteht sich von selbst, einen Anspruch auf vollständige Berücksichtigung zu erheben, wäre vermessen, und der Band erhebt ihn auch nicht.

Wie geht der Band, hier die Beiträge von Ronald Blaschke, vor? Verschiedene Vorschläge werden nach Kategorien sortiert und eingeordnet. Diese Kategorien wiederum leuchten manches Mal ein, so z.B. dass ein zu niedriges bGE nicht erlaubt, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. Andere Kategorisierungen jedoch entspringen der Werthaltung des Autors, nicht aber dem bedingungslosen Grundeinkommen als solchem. Wenn z.B. Vorschläge eines bGE, die auf Mindestlöhne und Arbeitszeitverkürzung verzichten, als neoliberal eingestuft werden (in Anlehnung an Thomas Löding, siehe S. 232), dann unterliegt dieser Einordnung eine bestimmte politische Bewertung (siehe meine Kritik „Schlagworte, Polemik, Kampfbegriffe“). Irreführend ist auch die willkürliche Rezeption von Argumenten. Zwar ist es missverständlich, wenn Götz W. Werner immer wieder einmal davon spricht, das bGE wirke lohnsubstitutiv, oder gar davon, dass Unternehmen die Löhne um diesen Betrag kürzen könnten. Zugleich jedoch macht er meist deutlich, welche Folgen ein bGE für Unternehmen hätte. Sie sähen sich verhandlungsstarken Bewerbern und Mitarbeitern gegenüber, denn Löhne müssten ausgehandelt werden (so z.B. in Einkommen für alle, S. 100 f.).

Verwunderlich sind solche sinnentstellenden Zitate und Einordnungen. Sollen bestimmte Befürworter in eine entsprechende Ecke gestellt werden? Den Eindruck kann man gewinnen. Von einem Band, der damit wirbt, einen Überblick über Modelle und Debatten zu geben, darf man erwarten, dass er analytisch klar kritisiert und auf widersprüchliche Äußerungen von bGE-Befürwortern aufmerksam macht. Tendenziöse Darstellungen hingegen, in denen unliebsame Äußerungen nicht zitiert werden, weil sie der Einordnung widersprächen, sprechen für sich.

Sascha Liebermann