Verfassung Bremen, Art. 8: Jeder hat die sittliche Pflicht zu arbeiten ..
Verfassung Hessen, Art. 28: Jeder hat die .. sittliche Pflicht zur Arbeit.
Bedingungsloses #Grundeinkommen
— Thomas Oberhäuser (@ThoOb) October 4, 2020
Kategorie: Pflicht
Einkommen ohne Arbeit – ein Unding für Oswald Metzger
Kaum hatte sich der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen Baden Württemberg für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen (siehe unseren Kommentar), da reagierte auch Oswald Metzger, ebenfalls Grüner, auf den Beschluß. Hier einige Zitate:
Mit diesem von seinen Befürwortern gern apostrophierten „radikalen Systemwechsel in der Sozialpolitik“ haben sich die Grünen, so sie denn beim Bundesparteitag in Nürnberg im nächsten Monat den gleichen Unsinn beschließen, das parlamentarische Totenglöckchen an den Hals gebunden.
[…]
Leistungsloses Einkommen war historisch auch auf Seiten der Linken nie das Ziel der Politik. Selbst in der „Internationale“ intonierte die Arbeiterklasse nicht ohne Grund den Vers: „Die Müßiggänger schiebt bei Seite!“ Und gerade die Linke proklamierte stets das „Recht auf Arbeit“. Doch das alles ist in Zeiten des Edel-Linken Oskar Lafontaine vergessen.
Vielsagend ist, daß Herr Metzger hier sich an der Linken orientiert und dazu noch die Internationale zitiert. Muße bzw. Müßiggang, also eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, ist ihm nicht nur ein böhmisches Dorf, sie ist der Untergang. Dabei aber ist Muße gerade dasjenige, was für Bildung unerläßlich ist, das Bildung als Selbstbildung erst möglich macht. Ohne Muße, ohne ein geduldiges Auseinandersetzen mit einer Sache um ihrer selbst willen, kommt kein Neues in die Welt. Für die Linke, die er hier bemüht, gilt dasselbe wie für die so viel bekämpften „Neoliberalen“ – für beide ist Muße bedrohlich, für beide ist sie „aller Laster Anfang“. Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und auch Gregor Gysi würden hier nur applaudieren, ganz entgegen der Einschätzung von Herrn Metzger und ganz konsequent für eine Linke, die den Menschen erst durch Arbeit zum Menschen werden sieht.
Man möchte die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens gern in die rauhe Realität sozialer Brennpunkte schicken, damit sie begreifen, welche fatalen Folgen es hat, wenn Menschen den mentalen Zusammenhang zwischen persönlichem Einsatz und Einkommen von Kindheit an verlieren. Der gutgläubige Bildungsbürger, der an die schöpferische Entfaltung der Persönlichkeit glaubt, wenn der Mensch nicht mehr für das nackte Existenzminimum arbeiten muss (sofern er nicht alt, krank oder gebrechlich ist), unterliegt einer gefährlichen Illusion.
Der Kluge und Lebenserfahrene belehrt die Naiven. Welcher Illusion unterliegen die bGE-Befürworter denn? Etwa der, daß die Würde des Menschen bei der Selbstbestimmung beginnt, daß Selbstbestimmung die Voraussetzung dafür ist, den von Metzger genannten Zusammenhang überhaupt zu verstehen? Daß ein demokratisches Gemeinwesen durch die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen zusammengehalten wird? Oswald Metzger spielt mit dem Sozialneid, wenn er meint, die Erwerbspflicht öffne den Menschen die Augen über Lebenszusammenhänge – in dem von ihm bemühten Beispiel gelingt das ja gerade nicht.
Einer Antwort auf die Frage, weshalb die intrinsische Motivierung, der Antrieb von innen heraus, manchen fehlt, entflieht Oswald Metzger durch die Verehrung der Erwerbsarbeit. Würde er die Sache ernst nehmen, um die es geht, dann müßte er wohl zugeben, daß der Grund für das von ihm benannte Problem woanders liegt. Wer in einem Milieu aufwächst, in dem Bildungsbemühungen nicht gefördert werden, wer eine traumatisierte Lebensgeschichte hat, der ist so sehr mit sich und der Bewältigung des Alltags beschäftigt, daß er sich kaum auf anderes einlassen kann. Dafür hat Oswald Metzger aber nur verächtliche Bemerkungen übrig. Mit dem vermeintlichen Zusammenhang von Einkommen und Leistung hat dies nichts zu tun. Metzger bedient nur das Klischee vom Sozialstaat, der durch Transferleistungen die Menschen von sich abhängig macht. Schon heute wird Leistung ja auch dort erbracht, wo kein Einkommen winkt: im Ehrenamt, in den Familien und nicht zuletzt durch die Loyalität der Bürger zur politischen Ordnung – das dürfte es Metzger zufolge nicht geben.
Wer es ernst damit meint, für die von Metzger genannten Probleme eine Lösung zu finden, der muß sich von der Bevormundung verabschieden, die in verschiedenen Gewändern, auch bildungsbürgerlich, daher kommt. Bei Metzger soll es nichts geben dürfen, wofür keine Gegenleistung erbracht wird. Manche Grundeinkommensbefürworter, wie z.B. Wolfgang Engler, wollen gar die Gewährung des Grundeinkommens von dem Bemühen um Bildung abhängig machen. – Macht es denn einen Unterschied, worin die Pflicht besteht? Und ist es nicht gerade diese Pflicht, die das Gegenteil bewirkt?
Bildung setzt Neugierde voraus, Bildung ist stets Selbstbildung und geht von einem Willen dazu aus. In der Regel läßt sich diese Neugierde bei Kindern schon beobachten und erst das Bildungswesen schafft es, diese Neugierde erheblich zu dämpfen – das sollte uns zu denken geben. Bildung vollzieht sich also nach den Möglichkeiten und Fähigkeiten des Einzelnen. Auch die Schwächsten haben hierzu die Fähigkeit und sei es, daß Bildung nur darin besteht, den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten gemäss sein Leben zu meistern. Wollen wir das stärken, bedarf es einer Ordnungspolitik, die den Einzelnen darüber befinden läßt, wo und wie er sich einbringen will. Wenn wir endlich die Vorstellung aufgeben, nur bestimmte Leistungen seien wertvoll, dann haben wir die größte Hürde zur Lösung mancher Probleme aus dem Weg geräumt.
Nachtrag: Oswald Metzger hat nun (20.10.) auf seine Kritiker geantwortet. Es heißt dort u.a.:
Denn wer die sozialpolitische Debatte bei den Grünen, aber auch in CDU und SPD, derzeit verfolgt, kann folgendes Strickmuster erkennen: Der Staat soll es richten! Und zwar durch deutlich höhere Transferleistungen.
Hätte Herr Metzger sich mit dem bGE beschäftigt, müßte er den Vorstoß der Grünen kritisieren, weil er nicht weit genug geht, weil er den Bürgern zu wenig zutraut. Diese Kritik könnte er aber nur vorbringen, wenn er denn selbst den Bürgern mehr zutraute, das tut er aber nicht. Eine konsequent gedachtes bGE erlaubt durch eine stärkere Absicherung der Bürger gerade, ihnen mehr Verantwortung in die Hand zu geben. An die Stelle von Kontrolle und Bevormundung träten mehr Freiheit und Verantwortung. Mehr Staat würde zugleich weniger Staat ermöglichen. Bessere Absicherung als Ermöglichung von Freiheit geht damit einher, den Bürgern mehr zu überlassen, ihnen Verantwortung zurückzugeben. Offenbar kann Herr Metzger das nicht zusammendenken. Weshalb? Weil er glaubt, Leistung entspringe Druck und Not sowie „Anreizen“.
An anderer Stelle heißt es:
Denn wenn der Lohnabstand zu den Erwerbseinkommen nic
ht größer, sondern kleiner wird, dann fällt für eine Reihe von gering qualifizierten Menschen der Anreiz zur Arbeit weg.
Worin besteht denn der „Anreiz“? Wenn jeglicher Zuverdienst anrechnungsfrei ist, dann „lohnt“ er sich. Das bGE erlaubt es ja gerade erst, das sogenannte Lohnabstangsgebot auf deutliche Weise einzuhalten. Dazu aber muß man das bGE als von jedem anderen Einkommen unabhängiges Einkommen konzipieren. Erst wenn es mit nichts sonst verrechnet wird, wird es die erhoffte Freiheit ermöglichen.
Wer Transferleistungen als „Wohltat“ begreift, wie Oswald Metzger, und nicht als Absicherung und Ermöglichung von Freiheit, hat nicht verstanden, was demokratische politische Gemeinwesen zusammenhält: die Solidarität der Bürger als Bürger. Jeder Beitrag zählt, ganz gleich, wo er erbracht wird. Erwerbsarbeit ist eben nur eine Form, nicht aber die entscheidende.
Wer die Finanzierbarkeit eines bGE bzeweifelt, sollte sich ernsthaft mit den Berechnungsversuchen auseinandersetzen. Das Transfergrenzemodell von Helmut Pelzer und Ute Fischer zeigt, wie eine Finanzierungsrechnung als Simulation für die Vergangenheit aussehen kann.
Wer das Gemeinwesen noch immer als Zweckbündnis von Steuerzahlern und nicht als Solidarverband von Bürgern denkt, der braucht wohl die Unterscheidung zwischen „rechter“ und „linker“ Politik noch. Doch, wer in solchen Schubladen denkt, zeigt nur, wie sehr er Politik von vorgestern betreibt, nicht aber eine, die uns in die Zukunft führt.
Sascha Liebermann