Stefan Sell hat einen differenzierten Beitrag zum jüngst von der SPD ins Spiel gebrachten „Recht auf Homeoffice“ verfasst. Er führt verschiedene Studien an, auch die kürzlich von der Hans Böckler Stiftung veröffentlichte, die den Befund vermeldete, dass Homeoffice zu Mehrarbeit führe und Haushaltstätigkeiten weiter ungleich verteilt blieben zwischen Eltern. Väter und Mütter nutzen das Homeoffice unterschiedlich, letztere nehmen sich mehr Zeit für die Kinder als die Väter. Weshalb das so ist und wie die Eltern ihr Handeln begründen, erfährt man nicht. Darüber hinaus hebt Sell heraus, dass Homeoffice für viele Berufsgruppen überhaupt nicht möglich sei, von daher der Vorstoß der SPD nur eine begrenzte Reichweite habe (siehe auch hier).
Zwar werden zu Beginn der Studie zwei Zitate aus Gesprächen mit Eltern präsentiert, sie werden jedoch nicht analysiert. Der Rest der Studie stützt sich weitgehend auf standardisierte Daten, mittels derer Deutungs- und Begründungsmuster für Entscheigungen gerade nicht erhoben werden können, dafür sind die methodischen Instrumente zu ungenau. Dabei wäre es doch äußerst wichtig zu erfahren, welche Deutungs- und Begründungsmuster das Handeln leiten.
Wenn die Studie also nur etwas feststellt, ohne die Deutungen der Befragten detailliert auszuwerten, ist sie mehr oder weniger belanglos. Es überrascht, dass Sell hierzu nichts schreibt. Verwunderlich ist ebenso, weshalb das Handeln nicht ins Verhältnis zur umso stärkeren Geltung der Erwerbsnorm gesetzt wird, die wir in den letzten zwanzig Jahren feststellen können. An ihr ändert Homeoffice nämlich gar nichts, es führt eben nicht zu einer Aufwertung von Haushaltstätigkeiten. Von daher sind die Ergebnisse gar nicht überraschend. Denn die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen ist Ausdruck dessen, dass das früher sogenannte Alleinernährermodell in seiner Erwerbszentrierung (normativer Vorrang von Erwerbstätigkeit) nun auf Frauen sich lediglich ausgeweitet hat. Wir haben es also nicht mit einem Normwandel hin zu einer geringeren Bedeutung von Erwerbstätigkeit zu tun, sondern eher noch mit einer Verstärkung, die eine ebensolche Verstärkung der Abwertung von Haushaltstätigkeiten mit sich bringt. Dass Mütter aufgrund ihrer spezifischen Erfahrung über Schwangerschaft und Geburt sich stärker mit den Kindern verbunden fühlen, ist ebensowenig überraschend. Väter sind in der Regel wenig präsent (wegen Erwerbstätigkeit) und machen, weil sie zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen, entsprechend weniger Erfahrungen mit ihnen. Dabei bräuchten sie gerade viel mehr davon, um den Erfahrungsrückstand relativ aufzuholen, den sie gegenüber Müttern (durch die Schwangerschaft) haben (siehe dazu hier).
Wie aus dem Dilemma herauskommen? Wenn weder pädagogisierende Bevormundung, noch Zwangsverpflichtung der Weg sein sollen, dann bedarf es einer Umwertung des Leistungsverständnisses. Das geht nur durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen, denn es würde zur Aufhebung der Erwerbsnorm, dadurch zur Relativierung von Erwerbstätigkeit und zur Aufwertung von Haushaltstätigkeiten führen. Davon ist weder in der Studie noch bei Sell die Rede, der dem BGE skeptisch gegenüber steht.
Sascha Liebermann