„…viele Kinder zu bekommen, ist besser, als arbeiten zu gehen“ – Prechts widersprüchlicher Paternalismus

Thilo Jung (Jung & Naiv) hat wieder einmal Richard David Precht interviewt, in diesem Gespräch geht es ab Minute 17 etwa um die Frage, ob denn Kinder auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen erhalten sollen. Jung spricht Precht auf seine Äußerungen von vor einem Jahr an, für die er kritisiert wurde. Damals, in einem Gespräch mit Christoph Butterwegge (siehe auch hier), hatte Precht ein BGE von 1500 für Erwachsene vorgeschlagen, Kinder sollten aber keines erhalten, damit Eltern nicht auf den Gedanken kommen, in die Kinderproduktion einzusteigen, weil ihnen nichts Besseres einfalle. Precht wiederholt diese Äußerungen hier und sagt, dass er „ganz grundsätzlich“ dagegen sei, dass der Staat Menschen dafür belohne, Kinder in die Welt zu setzen. Er weiß, dass diese Äußerung schon vor einem Jahr Empörung hervorgerufen hat, und erläutert, dass ein BGE für Kinder ja gar nicht die Kinder erhalten, sondern die Eltern. Dann stelle sich die Frage, ob sie es denn für die Kinder auch ausgeben, solche Eltern wird es geben, „ganz viele“ aber werden das nicht tun.

Precht scheut sich, wie man hier auch wieder sehen kann, nicht, große Behauptungen aufzustellen, er ist – wie er selbst sagt – Philosoph und kein Wissenschaftler, Philosophen stellen Fragen nach dem guten Leben. Woher nimmt er die Überzeugung, dass der von ihm behauptete Sachverhalt zutrifft? Immerhin ist das eine steile Behauptung, die er da aufstellt und zugleich nicht als Ausnahme betrachtet, er hält sie für ein verbreitetes Phänomen („ganz viele“). Hinweise für Belege bleibt er schuldig, eine Studie indes, auf die Stefan Sell hinwies, bezeugt eher das Gegenteil, was niemanden wirklich überraschen kann. Dabei geht es hier nicht darum zu leugnen, dass es Erwachsene gibt, die fahrlässig mit Elternschaft umgehen, entscheidend aber ist, was die Gründe dafür sind. Ist es ihnen schlicht egal, was aus ihren Kindern wird oder sind sie nicht in der Lage, das Wohl ihrer Kinder im Auge zu haben? Das sind zwei ziemlich unterschiedliche Erklärungen für dasselbe Ergebnis. Precht hebt ersteres hervor, es spricht aber alles für letzteres, dass nämlich eine solche Haltung auf spezifische Lebenserfahrungen zurückgeht, die mit Traumata verbunden sind, sozialisatorischem Misslingen. Für Precht ist dieser Zusammenhang keine Erwähnung wert. Das ist vor allem deswegen irritierend, da er in anderen Fragen durchaus abwägt, sich nicht äußert, wenn er sich mit etwas noch nicht beschäftigt hat. Seine Haltung widerspricht indes auch seiner Befürwortung eines BGE, das er offenbar vor allem als Reparaturprämie für die Auswirkungen des Strukturwandels betrachtet, zugleich aber als Grundrecht versteht. Wie kann er angesichts der Behauptungen über „ganz viele“ Eltern dann ernsthaft ein BGE als Grundrecht befürworten, müsste er doch davon ausgehen, dass dieselben Eltern, die das BGE nicht zum Wohle ihrer Kinder einsetzen, es überhaupt nur zur Eigenvorteilsmaximierung einsetzen, ohne darauf zu sehen, welche Folgen dies für das Gemeinwesen hat? Müsste Precht nicht, so wie er diesen Eltern unterstellt, nur auf ihren Eigenvorteil bedacht zu sein, ein BGE ablehnen, weil damit das Gemeinwesen Gefahr laufe, auseinanderzufallen? Ein BGE, auch das sagt er, sei dafür da, dass der Mensch menschengerecht existieren können soll – das bezieht er auf den Menschen, dem er zugleich unterstellt, vor allem Eigenvorteilswahrung zu betreiben, die er an anderer Stelle wiederum zur Gefahr für einen Staat erklärt, denn auf dieser Grundlage könne er nicht existieren. Da soll einer draus schlau werden oder geht es darum gar nicht?

Thilo Jung hätte viele Möglichkeiten gehabt, nachzufragen angesichts dieser Widersprüche, versäumt dies aber.

Sascha Liebermann