…“dass der Staat Menschen wie mir jeden Monat Geld schenkt“ – es macht gerade den „Staat“ in unserer Form aus, dass er „schenkt“

Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, äußerte sich in einem Interview mit Business Insider in dieser Hinsicht. Die vollständige Passage lautet:

BI: „Das klingt nicht gerade nach einem Patentrezept gegen die zunehmende soziale Ungleichheit. Kann das bedingungslose Grundeinkommen eine Antwort sein?“
Bendiek: „Ich persönlich tue mich schwer mit der Vorstellung, dass der Staat Menschen wie mir jeden Monat Geld schenkt. Ich würde es nicht als gerecht empfinden, weil ich nicht darauf angewiesen wäre.“

Bendiek denkt hier ganz in der Logik von Bedürftigkeit und spricht damit aus, was unsere Konstruktion von Sozialstaat dominiert. Doch zugleich – siehe das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (siehe jüngst dazu den Kommentar von Roland Rosenow) – kennt dieser Sozialstaat ein unverfügbares Existenzminimum, aus dem Grundgesetz leitet sich nicht ab, es antasten zu müssen, lediglich es zu können. Dem entspricht der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer, der Frau Bendiek genau deswegen „geschenkt“ wird. Schon erstaunlich, dass eine solche klare Stellungnahme erfolgt, ohne zu realisieren, was ihr alles geschenkt wird im Sinne einer Leistung ohne direkte Gegenleistungsverpflichtung (politische Ordnung, Rechtssicherheit, Bildungswesen, Infrastruktur – und nicht zu vergessen das Existenzminimum). Steuern sind ja keine Gegenleistung, sie sind eine Ermöglichungspauschale. Das Schenken im Sinn einer Anerkennung des Gegenübers um seiner selbst willen zeichnet eine solche Gemeinschaft aus. In einem Unternehmen ist das anders, da wird nichts „geschenkt“, das scheint vielen unklar.

Weiter heißt es:

BI: „Ausgerechnet viele Top-Manager aus dem Silicon Valley wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg sehen das anders. Für sie ist das Grundeinkommen die logische Reaktion auf die Automatisierung der Arbeitswelt.“
Bendiek: „Das mag sein. Ich glaube aber, dass die Einführung eines Grundeinkommens in einem Land von der Größe Deutschlands eine signifikante ökonomische Belastung sein würde. Und wenn das wiederum bedeutet, dass nicht ausreichend Geld für digitale Bildung und Weiterbildung da ist, sollten wir die Finger davon lassen. Es ist wichtiger, den Menschen die Chance auf eine qualifizierte Beschäftigung in der Zukunft und einen gesellschaftlichen Beitrag zu geben, als ihnen einfach Geld zuzuschieben, ganz gleich, ob sie es brauchen oder nicht.“

Verschiedenes fällt hier auf. Zuerst sieht sie nicht den Zusammenhang zwischen Bildung und Freiräumen durch mehr Selbstbestimmung. Für wirkliche Bildungsprozesse und nicht bloßen Zertifikatstourismus sind diese Freiräume wichtig. Zugleich verlöre „Weiterbildung“ dadurch den Charakter der Drohung – entweder Weiterbildung oder Stellenverlust. Wer „gibt“ denn Chancen auf „qualifizierte Beschäftigung“? Und wer entscheidet, was „qualifiziert“ ist? Läge es nicht eher darauf zu setzen, dass die „Menschen“ zuerst einmal machen können, was sie für richtig halten und dadurch einen „gesellschaftlichen Beitrag“ – was meint sie damit? – leisten können? Eines der größten Missverständnisse folgt am Ende der Passage, dass es beim BGE vor allem und alleine um Geld gehe. Das BGE ist Mittel zu etwas, nicht Zweck, es ermöglicht etwas, das heute so nicht möglich ist.

Interessant ist noch eine Passage über die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben:

BI: „Microsoft wirbt sehr offensiv mit der Verschmelzung von Arbeit und Privatleben. Viele Experten sehen eine unklare Grenze zwischen Freizeit und Job inzwischen kritisch. Ihr Argument: Man schafft es im Standby-Modus nicht, ganz abzuschalten.“
Bendiek: „Diese Kritik halte ich nicht mehr für zeitgemäß. Wir sprechen auch nicht von Verschmelzung, sondern von fließenden Übergängen. Wir haben es in der Arbeitswelt inzwischen mit Generationen zu tun, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind. Diese Mitarbeiter würden es wahrscheinlich überhaupt nicht akzeptieren, wenn man ihnen vorschreibt, wann und wie sie die Technologien zu nutzen haben.“

In der Tat ist das Verhältnis beider zueinander ein Spannungsverhältnis, und zwar je mehr, desto weniger routinisiert die im Beruf zu bewältigenden Aufgaben sind. Zwar lässt sich Erwerbsarbeit formal regulieren – Arbeitszeitregelungen, Erreichbarkeit bzw. Nicht-Erreichbarkeit, Urlaub usw. -, doch ist damit nicht gesagt, dass die im Beruf beschäftigenden Aufgaben nicht auch in der Freizeit bearbeitet werden. Das galt früher schon für Berufe (die Professionen), in denen die zentrale Aufgabe darin besteht, Krisen zu lösen. Durch die Automatisierungsmöglichkeiten erreicht dies allerdings auch Berufe, die früher von Routinen dominiert waren. Formale Regulierungen können hier einen geschützten Raum abstecken im Sinne einer Umkehr der Rechtfertigungsverpflichtung, wenn jemand nicht erreichbar sein soll oder will. Das heißt aber nicht, dass diese Regulierungen dazu führen, berufsspezifische Aufgaben in der Arbeitszeit zu belassen. Je weniger routineförmig sie sind, je mehr jemand seinen Beruf als sinnerfüllend erfährt, desto mehr wird er diese Grenzen flexibel ziehen wollen. Wer allerdings Verhandlungsmacht hat und wem nicht durch Stellenverlust gedroht werden kann, der könnte hier auch anders auftreten – das wäre mit einem BGE eine Selbstverständlichkeit, heute ist es eher eine Ausnahme.

Sascha Liebermann