Dieses Gespräch im WDR lässt einen etwas ratlos zurück. Anna Mayr (siehe auch hier), deren Buch „Die Elenden“ gerade die Bestsellerlisten erklimmt, spricht sich, wie schon an anderer Stelle, klar gegen ein BGE aus, weil es von den drängenden Fragen ablenke. Es sei eine Möglichkeit für Linke, sich zwar irgendwie auch um „Arme“ zu kümmern, sie aber doch nicht zu nah an sich heranzulassen.
These: Das Grundeinkommensgezanke ist vor allem dazu da, von der Diskussion über Armut abzulenken, die wir eigentlich führen müssten.
Macht einfach mehr Spaß, für eine Utopie zu kämpfen, als für tatsächliche Menschen, die man irgendwie auch ein bisschen abstoßend findet. ♀️
— Anna Mayr (@annaxmayr) August 21, 2020
In dem Tweet hier erstaunt der herablassende Ton, mit dem sie Diskutanten wie quengelnd streitende Kinder behandelt, ohne auf Argumente einzugehen. Dabei ist, was sie erreichen will, ohne BGE im Grunde nicht zu erreichen.
Dass es eine Haltung der Geringschätzigkeit gegenüber vermeintlich Schwachen gibt, ist jedem vertraut, der sich mit dem BGE beschäftigt und der öffentliche Vorträge besucht hat. Dort sind es in der Regel aber die Befürworter, die gerade diese Geringschätzigkeit kritisieren. Das scheint Frau Mayr entgangen zu sein. Ihre Kritik an dieser Herablassung ist durchaus treffend, doch überraschend, ja irritierend sind ihre Vorschläge, wie daran etwas geändert werden könnte. Die Systeme sozialer Sicherung sollen „lebensfest“ ausgestaltet werden, also auch denjenigen ein ausreichendes Einkommen bieten, die nicht erwerbstätig sind. Wäre das etwa nicht, was ein BGE vorsieht? Wie sie sich die Ausgestaltung vorsieht, dazu sagt sie nichts, mit der BGE-Debatte scheint sie nicht wirklich vertraut zu sein. Wenn dieses „Gehalt“ für Nicht-Arbeit an keine Gegenleistung gebunden wäre, dann würde es schon ziemlich nah an ein BGE heranrücken, auch wenn es wohl noch beantragt werden müsste. Auch darüber erfährt man aber nichts. Wenn dieses „Gehalt“ nun doch an Gegenleistungen gebunden wäre, welche wären das? Etwa Erwerbswilligkeit? Müssten Bezieher sich dann bewerben? Könnten sie sanktioniert werden? Was wäre damit gewonnen außer einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes? Sie bewegt sich mit diesen Überlegungen, die ja doch nicht zu einem BGE führen sollen, in der Nähe der „repressionsfreien Grundsicherung“.
Am Ende des Gespräches fragt man sich, weshalb Frau Mayr so vehement gegen ein BGE ist, etwas vorschlägt, das in diese Richtung weist, nicht klar ist, unter welchen Bedingungen es bereitgestellt wird. Sie scheint auch noch nicht von Stigmatisierung durch Normabweichung gehört zu haben, also struktureller Stigmatisierung all derer, die dem Erwerbsgebot nicht entsprechen. Dann wäre ihr Vorschlag aber gerade keine Lösung für das, was sie am schlimmsten zu finden scheint.
Sascha Liebermann