…Interview von Michael Hesse mit Branko Milanovic in der Frankfurter Rundschau. Milanovic übt in einer Passage, nur dort geht es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, Kritik an ihm:
„[FR] Viele fordern ein Grundeinkommen, um die Folgen des technologischen Wandels abzumildern. Was denken Sie darüber?
[Milanovic] Unsere Grundsicherungssysteme sollten auf alle erdenklichen Eventualitäten während unserer Lebenszeit reagieren. Sie versichern uns gegen Risiken und sollen dafür Sorge tragen, dass wir im Fall der Erwerbslosigkeit unseren Lebensstandard halten können. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ignoriert diese Risiken vollkommen. Es verteilt das Geld zu gleichen Teilen an alle Bürger. Für ein Grundeinkommen benötigt man also eine andere Philosophie unserer sozialen Demokratie. Der Wohlfahrtsstaat müsste komplett neu definiert werden. Linke glauben, dass so ein Grundeinkommen die Ungleichheit verringern und die höchsten Einkommen begrenzen würde. Die Rechte geht vom genauen Gegenteil aus. Es ist auch nicht klar, ob die Menschen einen Job suchen würden, wenn sie ein Grundeinkommen hätten. Zudem könnte es zu einer Spaltung unserer Gesellschaft beitragen: Neben jenen, die nicht arbeiten wollen, würden die stehen, die es aufgrund geerbter Vermögen nicht müssen, und diejenigen, die weiterhin arbeiten. Allerdings hat sich meine Position durch die Pandemie gewandelt. Ich bin skeptisch gewesen. Jetzt sehe ich es anders: Ein Grundeinkommen würde jetzt sehr helfen. Man bräuchte keine Kongressentscheidung über eine Ausweitung der Arbeitslosenhilfe, und auch andere Unterstützungen wären unnötig. Man wüsste, dass alle auch in der Krise überleben könnten.“
Nun ist die Verknüpfung eines BGE als Antwort auf technologischen Wandel mindestens engführend und dadurch missverständlich, weil sie suggeriert, dies sei der entscheidende Grund, weshalb es als Alternative in Frage käme. Dem ist aber keineswegs so (siehe hier und hier), BGE und technologischer Wandel sind nicht zwingend verknüpft. Zwar kann es auf etwaige Folgen eine hilfreiche Antwort darstellen, ist aber von diesen Folgen in seiner Berechtigung gar nicht abhängig.
Wie antwortet nun Milanovic darauf?
Zuerst einmal erläutert er den Charakter heutiger Sicherungssysteme, allerdings nur der erwerbsbezogenen, denn nur für sie gilt, dass sie den Lebensstandard erhalten sollen, für das Existenzminimum gilt diese Charakterisierung nicht (womöglich bezieht er sich schon hier auf die USA). Allerdings wirft er hier etwas durcheinander, wenn er zuvor sagt, die Systeme sollen uns für alle Eventualitäten absichern, denn das tun erwerbsbezogene Sicherungssysteme eben nicht. Wie kommt er nun darauf, dass ein BGE diese Risiken ignoriere? Weil es Geld an alle Bürger zu gleichen Teilen verteilt – hm, das machen wir mehr oder weniger heute aber bezogen auf das Existenzminimum schon, zum einen über Arbeitslosengeld II/ Sozialhilfe, zum anderen über den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer. Insofern müsste auch der Wohlfahrtstaat nicht komplett neu definiert werden, er müsste eher an die politischen Verhältnissen angepasst werden, denn das Existenzminimum zu sichern ist staatliche Aufgabe in einer Demokratie unseres Verständnisses, und zwar unabhängig von Erwerbsobliegenheiten. Das genau leistet der heutige Sozialstaat jedoch gerade nicht. Darüber hinaus kann es weitere Sicherungssysteme geben, die genau dem anderen Zweck dienen, den Milanovic benennt. Dann stellt er heraus, dass nicht klar sei, „ob die Menschen einen Job suchen würden“ – ist das denn heute klar? Denn von der Rechtslage her können alle ALG II bzw. Sozialhilfe beantragen, müssen nur die Bezugsbedingungen erfüllen (oder ist hier wieder die USA gemeint?). Nun ist ganz klar, dass, wenn alle das täten, es nicht ausreichend Güter und Dienstleistungen gäbe, die damit erworben werden könnten, weil zu ihrer Bereitstellung in unterschiedlichem Umfang menschliche Arbeitskraft nötig ist. Was für ein BGE gilt, gilt heute aber auch! Hier ist schon zu erkennen, worauf das hinauslaufen muss. Milanovic geht davon aus, dass Erwerbstätigkeit nur dann attraktiv ist, wenn nicht schon anderes Einkommen vorhanden ist, sie also durch Einkommenslosigkeit erzwungen wird. Gibt es die von ihm beschworene „Spaltung“ die mit einem BGE seiner Meinung nach einhergehe nicht schon? Nun scheinen diese Vorbehalte nicht mehr zu gelten, denn die Pandemie hat ihn dazu bewogen, seine Einschätzung zu verändern – weswegen? Diese Wendung kommt überraschend, weshalb macht er sich die zuvor genannten Sorgen nicht mehr? Es klingt sehr danach, als sei ein BGE für die Krise eine Lösung oder vielleicht doch darüber hinaus?
Sascha Liebermann