Die SPD hat einen Entwurf ihres Zukunftsprogramms vorgelegt, über den in den Medien schon berichtet worden war. Da mit großer Ansage die Abschaffung oder wahlweise Überwindung von Hartz IV verkündet wurde, ist die Frage, was denn nun im Programm dazu steht? Leider ist es nicht einfach, sich im Programmentwurf zu orientieren, da es keine Seitennummerierung gibt. In der PDF-Datei ist es die Dokumentseite 32, auf der es um das Bürgergeld geht. Was steht dort?
„Die Grundsicherung werden wir grundlegend zu einem Bürgergeld entwickeln. Unser Bürgergeld steht für ein neues Verständnis eines haltgebenden und bürgernahen Sozialstaats. Das Bürgergeld soll digital und unkompliziert zugänglich sein. Bescheide und Schriftwechsel sollen eine verständliche Sprache sprechen. Die Regelsätze im neuen Bürgergeld müssen zum Leben ausreichen und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen. Das Bürgergeld muss absichern, dass eine kaputte Waschmaschine oder eine neue Winterjacke nicht zur untragbaren Last werden. Die Kriterien zur Regelsatzermittlung werden wir weiterentwickeln und hierbei die Erfahrungen von Betroffenen und Sozialverbänden mit einbeziehen. Zudem werden wir höhere Bagatellgrenzen einführen, um die ökonomisch unsinnigen Streitigkeiten über die Rückzahlung geringfügiger Beträge zu verhindern.“
Haltgebender und bürgernaher Sozialstaat? Zuerst einmal wäre davon auszugehen, dass sozialstaatliche Leistungen Einkommensabsicherungen schaffen, darüber hinaus Hilfeleistungen anbieten und etwaige weitere Angebote, die aber immer eines voraussetzen: dass der Bezieher sich selbst Halt geben kann und dafür keinen anderen benötigt, Einkommensmangel bedeutet in keiner Weise Haltlosigkeit. Diese Kümmerersprache ist eine Sprache der Bevormundung.
Nur, weil es auch Bürger gibt, die mehr benötigen als nur eine Einkommenssicherung, ist dennoch ihre Selbstbestimmung zu achten. Das wird nicht durch die ständige, schon zu Beginn des Programms einsetzende Beschwörung von Respekt besser, die alleine deswegen verdächtig ist, weil dieser Respekt eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Direkt im Anschluss heißt es:
„Das Bürgergeld beinhaltet Mitwirkungspflichten, setzt aber konsequent auf Hilfe und Ermutigung.“
Welche Pflichten? Wie sehen sie aus? Mit welchen „würdigen“ Sanktionen sind sie bewehrt? Auch hier besticht wieder der Tonfall, es reicht offenbar nicht aus, Hilfeleistungen bereitzustellen, die Bezieher müssen auch ermutigt werden. Weiter heißt es:
„Eingliederungsvereinbarungen werden durch eine gemeinsame und auf Augenhöhe erarbeitete Teilhabevereinbarung ersetzt. Bei ihrer Umsetzung setzen wir auf Befähigung und Bestärkung und nicht auf Vorgaben und Zwang.“
Keine Vorgaben? Und die Mitwirkungspflichten? Weshalb muss dann etwas vereinbart werden? Das klingt nach dem Jargon aus der Personalführung, wenn es um „Zielvereinbarungen“ geht. Da hat man es allerdings mit Angestellten zu tun, hier hingegen mit Bürgern, die sind keine Angestellten. Die rhetorischen Verrenkungen können eines nicht verbergen, dass die Augenhöhe eben doch asymmetrisch ist.
„Das sozioökonomische und soziokulturelle Existenzminimum muss jederzeit gesichert sein. Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen schaffen wir ab. Die Leistungen des Sozialstaates sind soziale Rechte – wer sie benötigt, sollte nicht lange suchen müssen. Unser Ziel ist es, die Leistungen ohne Hürden und Umwege zugänglich zu machen. Dafür werden Servicestellen gebraucht, die wie aus einer Hand – analog und digital – Informationen, Beratung und Möglichkeiten zur Antragsstellung anbieten. Sie sollen helfen, Rechtsansprüche geltend zu machen und auch danach beratend alle Schritte begleiten.“
Sinnvolle und würdige Sanktionen bleiben also erhalten, das war an den Presseverlautbarungen erkennbar.
Was lässt sich festhalten: An sanktionsbewehrten Leistungen wird festgehalten, es wird Modifizierungen geben, und all dies ist verbunden mit einer Sprache der pädagogischen Andiehandnahme, was genau dem Gegenteil von Respekt entspricht.
Sascha Liebermann