In einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung befasst sich Rainer Hank, ehemaliger Leiter der Wirtschafts- und Finanzredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, mit dem Konzept einer „Work-Life-Balance“ sowie der Diskussion über Bullshitjobs. Seinen Beitrag beginnt er mit dem biblischen Gleichnis von Martha und Maria, um damit einzuführen, dass Arbeit lange einen „schlechten Leumund“ gehabt habe. Allerdings geht es in dem Gleichnis um Hausarbeit, also gerade nicht lohnförmige Arbeit. Das sei hier herausgestellt, weil Hank in der Folge den Arbeitsbegriff mit Erwerbstätigkeit gleichsetzt bzw. mit solcher Arbeit, „die produktiv ist“. Arbeit bringe „Sinn und Geld“ in das Leben, damit geht es schon alleine um Erwerbstätigkeit. Wie ist es aber mit dem „Sinn“ anderer Arbeit? Der fällt unter den Tisch. Hank stellt indes angemessene Fragen, so nach der sonderbaren Separierung von Leben und Arbeit im Konzept der „Work-Life-Balance“.
Mit etwas Wohlwollen hätte die sich noch auflösen lassen, weil sie – wenn auch nicht explizit – das Erwerbsgebot tangiert. Zuzustimmen ist ihm ebenso darin, dass Erwerbstätigkeit nicht per se sinnlos oder entfremdet ist, dass sie sehr wohl einen Beitrag zum sinnerfüllten Leben leistet, doch was macht er daraus?
Da darf der Verweis auf die desaströsen Folgen von Erwerbslosigkeit nicht fehlen, für die als Zeuge „Die Arbeitslosen von Marienthal“ (weitere Infos zur Studie hier) herhalten sollen. So eindrucksvoll die Studie ist, so wenig wird in ihr gefragt, inwiefern diese Folgen mit der normativen Stellung von Erwerbstätigkeit zu tun haben und weniger mit dem Sinn, den sie verleihe. Wenn Erwerbsbeteiligung als Beitrag zum Wohlergehen des Gemeinwesens normiert ist und deswegen Einkommenserzielung auf diesem Wege stattfinden soll (Gebot), dann steht der Verlust des Arbeits- wie des Einkommensplatzes naheliegenderweise für ein Versagen im Angesicht des Gebots. Daher rühren die stigmatisierenden Folgen, was in der Marienthal-Studie nicht genügend gesehen wird. Ähnlich einseitig wie in Bezug auf die Marienthal-Studie hatte Hank einst mit dem Verweis auf Speenhamland gegen den Sozialstaat gewettert, dabei berief er sich auf Karl Polanyi, dessen Rekonstruktion der Mindestsicherung à la Speenhamland jedoch einer historisch genaueren Betrachtung nicht standhält (siehe z. B. auch hier).
Was schreibt Hank über ein BGE?
„Es gilt: besser eine Arbeit als keine Arbeit. Es gilt auch: besser eine schlechtere Arbeit als gut bezahlte Arbeitslosigkeit. Die Chancen, eine bessere Arbeit zu bekommen, sind für die, die schon Arbeit haben, viel höher als für Arbeitslose. Vor ein paar Jahren konnte der Anthropologe und Attac-Aktivist David Graeber viel Aufmerksamkeit erzeugen mit seiner These, in der heutigen Wirtschaftswelt gebe es in zunehmendem Masse sogenannte Bullshit-Jobs. Gemeint damit waren Jobs, die eine akademische Ausbildung verlangten, etwa im Finanzwesen, in grossen Rechtsanwaltskanzleien oder unter Unternehmensberatern. Diese Leute verdienten gut, würden aber gleichwohl mit ihrer professionellen Überflüssigkeit konfrontiert und litten darunter, dass ihre Arbeit höchstens einen wirtschaftlichen, aber keinen sozialen Nutzen habe. Kein Wunder, so die These, dass von der Arbeit ausgelöste psychische Erkrankungen zunähmen.“
Die ersten beiden Sätze entsprechen der Marienthal-Studie und sind ganz im Geist der Arbeitshaus-Sozialpolitik der vergangenen zwanzig Jahre. Hank findet sich hier auf einer Seite mit Befürwortern, die heute davon wenig wissen wollen (siehe hier). Dass Graeber es sich mit seiner These etwas zu einfach gemacht hat, sei dahingestellt, entscheidend ist doch, Hank argumentiert hier im Geist einer Sinnentleerung von Erwerbstätigkeit, als gehe es vorrangig um Beschäftigung und nicht um die Bereitstellung von Problemlösungen, ganz gleich, ob dazu menschliche Arbeitskraft eingesetzt werden muss oder nicht. Gerade die Hilfsbereitschaft angesichts der Flutkatastrophen im Ahrtal und anderswo – ganz zu schweigen von „unbezahlter Arbeit“ – zeigt doch einmal mehr, dass Sinnerfüllung mit Erwerbstätigkeit in keiner Form gleichzusetzen ist (was schon Max Weber deutlich machte und die Marienthalstudie nicht sah). Dann schreibt Hank:
„Angesichts der überwältigenden Hinweise für den Wert menschlicher Arbeit gibt es wenig Zweifel, dass das «bedingungslose Grundeinkommen» ein Irrweg wäre, seiner Beliebtheit in Umfragen zum Trotz. Es verspricht Befreiung vom Zwang der Arbeit und will aus der vermeintlichen Not (Automatisierung der Fertigung in den Fabriken) eine Tugend (Geld auch ohne Arbeit) machen. Erst mit bedingungslosem Grundeinkommen würden die Menschen kreativ, sagen seine Anhänger. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Im Preis für die Arbeit, dem Lohn, spiegelt sich die Wertschätzung, die andere für meinen Einsatz aufbringen. Ihre Zahlungsbereitschaft lässt mich den «gesellschaftlichen Wert» meiner Arbeit spüren.“
Die Entgegensetzung im ersten Satz ist ein typisches Missverständnis oder eine nicht naheliegende Deutung dessen, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausmacht. Weshalb sollte es ein „Irrweg“ sein, die Existenzsicherung von Erwerbstätigkeit abzukoppeln und dauerhaft bereitzustellen, die keineswegs dazu führt, Erwerbstätigkeit ihres Sinnes zu berauben? Welche Hinweise meint Hank, etwa die von ihm zitierten, die das genau nicht hergeben? Ein BGE als bloßen Gegensatz zu Erwerbstätigkeit oder als Hilfsmittel gegen etwaige Folgen der Digitalisierung zu betrachten, ist ein Irrweg auch in der BGE-Diskussion, so gut man verstehen kann, welche Sorgen dahinter stehen mögen. Gewisse Verklärungen mancher BGE-Befürworter mögen sich auf diese Weise ebenfalls erklären, doch die gibt es auf Hanks Seite ebenso. Es nimmt nicht Wunder, dass Hank aus der BGE-Debatte herausgreift, was zu seiner These passt, was nicht passt, wird ausgelassen.
Dass Erwerbstätigkeit nur ein bestimmter Teil von Arbeit ist, dass sie selbst nicht die Voraussetzungen schaffen kann, von denen sie lebt, nämlich das, was der Prozess der Sozialisation und die Vergemeinschaftung von Bürgern in einer Demokratie leistet – Hank lässt es unter den Tisch fallen. Interessant daran ist, wie nah diese Argumentation am Geist des realexistierenden Sozialismus und einer Arbeitspflicht ist. Angesichts des normativen Vorrangs von Erwerbstätigkeit mag sich „im Preis für die Arbeit […] Wertschätzung“ derer spiegeln, die diese Arbeit in Anspruch nehmen, doch der Sinn von Arbeit erschöpft sich darin nicht, kann ihr geradezu entgegengesetzt sein. Ebensowenig wäre der „gesellschaftliche Wert“, der einer Erwerbsarbeit zugemessen wird, mit der Wertigkeit gleichzusetzen, die diese für ein Individuum hat. Die Fixierung auf Erwerbstätigkeit sorgt für eine Entwertung bzw. Herabstufung nicht-erwerbsförmiger Tätigkeiten – auch das zeigt eine Geistesverwandschaft zum einst real existierenden Sozialismus. Wo in Hanks Darstellung das Gemeinwesen bleibt, ein Gemeinwesen von Staatsbürgern und nicht von Erwerbstätigen, bleibt sein Geheimnis, diese Bürgervergessenheit (siehe hier, hier und hier) ist auffällig und geradezu ein Kennzeichnen der Debatten der vergangenen Jahrzehnte.
Sascha Liebermann