Ernüchterung oder realistische Einschätzung? Welche Schlüsse können gezogen werden?

Auch wenn der Titel der Kolumne Marcel Fratzschers irreführend ist und es sich bei den jüngst vorgestellten Ergebnissen des Pilotprojekts Grundeinkommen weder um ein allgemeines BGE noch um eines über die Lebensspanne handelte, weist er doch selbst auf die Beschränkungen des Projekts hin und die Vorsicht, mit der die Ergebnisse bewertet werden sollen. Von daher können diesbezüglich keine Schlüsse auf ein allgemeines BGE gezogen werden.

Zwei Aspekte seien in dem Beitrag herausgehoben. Fratzscher schreibt erstens:

„Ein bedingungsloses Grundeinkommen führt vermutlich nicht per se dazu, dass sich deutlich mehr Menschen selbstständig machen. Ausschlaggebend für eine solche Entscheidung sind die individuellen Fähigkeiten, Chancen und Informationen. Oder andersherum formuliert: Mehr Geld ist meist keine essenzielle Voraussetzung für eine Verhaltensänderung in Bezug auf Arbeit und Qualifizierung, sondern mehr Geld ist das Resultat von Qualifizierung und Anstrengungen.“

Seit ca. 20 Jahren heben die ernsthaften Stimmen in der deutschen Debatte genau das hervor. Man muss die Veröffentlichungen dazu schon sehr selektiv rezipieren, um das nicht zu entdecken.

Der zweite Aspekt über den er schreibt:

„Zweitens hängen die meisten Entscheidungen und Verhaltensweisen der Menschen weniger von Geld als von ihren Werten und ihrer Mentalität ab. Menschen verändern ihr Verhalten nicht, weil sie regelmäßig Geld bekommen. Sie sind geprägt durch andere Faktoren, etwa die Werte, mit denen sie groß geworden sind oder die sie in ihrem Umfeld erleben. Mehr Geld führt nicht einmal zu einer geringeren Risikoaversion und einer höheren Akzeptanz gegenüber Risiken in Bezug auf Arbeit, da diese häufig fest im Wertekanon und der Mentalität verankert ist.“

Auch das haben ernsthafte Stimmen immer vertreten. Es sind verbreitete Simulationsmodelle, die zu Finanzierungsrechnungen genutzt werden, die anderes behaupten.

Anders als Fratzscher resümiert, sind die Ergebnisse der Studie gar nicht ernüchternd, sondern realistisch und nicht überraschend. Sie entsprechen dem, was aus soziologischer Forschung über Habitus, Mentalität und die sozialisatorischen Prozesse, die zu ihrer Herausbildung führen, bekannt ist. Das war vor zwanzig Jahren auch schon bekannt.

Sascha Liebermann