Wieder einmal ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der die „negativen Anreize“ des Ehegattensplittings hervorhebt. Wenn im Beitrag konstatiert wird, dass zwar die Frauenerwerbsquote in einer bestimmten Altersgruppe seit den 1980er Jahren stark gestiegen sei, die geleisteten Stunden pro Kopf aber wieder abnehmen, dann darf der Vergleich zu anderen Ländern, denen wir hinterherhinkten, nicht fehlen. Das deutsche Steuersystem, so wird die Argumentation der Frankfurter Professorin für Volkswirtschaftslehre, Nicola Fuchs-Schündeln, wiedergegeben, setze „negative Anreize“ für Frauen, erwerbstätig zu werden bzw. zu bleiben (hier ein ausführliches Gespräch mit ihr). Entsprechend wird geschlussfolgert, dass durch eine Abschaffung des Ehegattensplittings Frauenerwerbstätigkeit in Stunden zunehmen würde. Was sollte dann an seine Stelle treten?
Kategorie: Familiensplitting
Das Ehegattensplitting: einfach rückständig?
Im Magazin makro, auf 3sat, ging es kürzlich um das Ehegattensplitting im Steuerrecht. Unter dem Titel „Ehe-Bonus vor dem Aus“ wurden die Eigenheiten dieser Regelung dargelegt. Dabei wurden die Folgen, die sie für nicht-eheliche Lebensgemeinschaften habe, ebenso dargelegt wie die fehlenden „Anreize“ zur Erwerbsaufnahme für Frauen. Die Sendung lieferte Einblicke in eine schon länger geführte Diskussion über diese Regelung in Deutschland und ihre Folgen. Allerdings dominierte eine Perspektive auf die Sache, die ebenso erstaunen konnte. Fraglos wurde vorausgesetzt, dass Altersarmut von Frauen oder auch Alleinerziehenden nur auf einem Weg verhindert werden könne: durch Erwerbstätigkeit. Deswegen müsse die Betreuungsinfrastruktur ausgebaut werden, damit die Erwerbsquote von Frauen gesteigert werden könne. Nur so sei Vollerwerbstätigkeit möglich und können die nötigen Beitragsjahre für die Rentenversicherung aufgebracht werden. Und was bedeutet das alles für das Familienleben? Was bedeutet es für Tätigkeiten, die nicht-erwerbsförmig sind?
Diese Fragen spielten keine Rolle, die Frage, welche Folgen ein solchermaßen ausgerichtete Sozial- und Steuerpolitik für Familien (nicht nur für Frauen) habe, wurde nicht erwähnt, womöglich nicht einmal bedacht. Dass eine Steigerung der Erwerbsquote, also eine noch stärkere Ausrichtung der Lebensführung an Erwerbstätigkeit, immer zu Lasten des Familienlebens geht, ja überhaupt zu Lasten der zweckfreien Begegnung mit anderen, liegt auf der Hand. Der Tag (Wachzeit) hat nur etwa 12-18 Stunden, aus Kindersicht ist er kürzer. Wer davon 9-11 Stunden (Regelarbeitszeit, Pause, Pendelzeit) mit Erwerbstätigkeit verbringt, hat für das Familienleben kaum Zeit übrig, vor allem nicht dafür, gemeinsame Erfahrungen mit den Kindern zu machen (siehe auch hier und hier). Wer das Steuerrecht vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie sie in Erwerbstätigkeit gebracht werden können, weil dies zu Wertschöpfung beitrage und Altersarmut entgegenwirke, verliert das Leben aus den Augen. Was das langfristig bedeutet, lässt sich erahnen, denn die frühesten Erfahrungen bedingungsloser Solidarität machen Kinder dort, wo ihre Eltern verlässlich da sind. Das sind heute meist die Mütter, es können genauso die Väter sein, aber beide sind grundsätzlich nicht zu vergleichen mit der Dienstleistung von Erziehern in Betreuungseinrichtungen. Wenn aber genau diese Seite des Lebens, die Seite der bedingungslosen, zweckfreien Hinwendung derart hinter Erwerbstätigkeit zurückgestellt werden, dann muss man sich über die Folgen nicht wundern.
Das Ehegattensplitting wird heute schnell als rückständig betrachtet, als Relikt aus alten Zeiten abgestempelt. Es hat erhebliche Schwächen, weil es gar nicht für Familien gleichermaßen förderlich ist. Angesichts dessen, was die Experten in der makro-Sendung teilweise vorschlagen, verschafft es jedoch noch einen gewissen Schonraum. Wer ihn aufgeben will, bräuchte eine Alternative, die nicht-erwerbsförmige Tätigkeiten anerkennt, die es unterstützte, wenn Eltern zuhause bleiben. Da gibt es bessere steuertechnische Lösungen oder einfach, andere Wege zu beschreiten: am weitreichendsten wäre allerdings das Bedingungslose Grundeinkommen.
Sascha Liebermann