Das Ehegattensplitting: einfach rückständig?

Im Magazin makro, auf 3sat, ging es kürzlich um das Ehegattensplitting im Steuerrecht. Unter dem Titel „Ehe-Bonus vor dem Aus“ wurden die Eigenheiten dieser Regelung dargelegt. Dabei wurden die Folgen, die sie für nicht-eheliche Lebensgemeinschaften habe, ebenso dargelegt wie die fehlenden „Anreize“ zur Erwerbsaufnahme für Frauen. Die Sendung lieferte Einblicke in eine schon länger geführte Diskussion über diese Regelung in Deutschland und ihre Folgen. Allerdings dominierte eine Perspektive auf die Sache, die ebenso erstaunen konnte. Fraglos wurde vorausgesetzt, dass Altersarmut von Frauen oder auch Alleinerziehenden nur auf einem Weg verhindert werden könne: durch Erwerbstätigkeit. Deswegen müsse die Betreuungsinfrastruktur ausgebaut werden, damit die Erwerbsquote von Frauen gesteigert werden könne. Nur so sei Vollerwerbstätigkeit möglich und können die nötigen Beitragsjahre für die Rentenversicherung aufgebracht werden. Und was bedeutet das alles für das Familienleben? Was bedeutet es für Tätigkeiten, die nicht-erwerbsförmig sind?

Diese Fragen spielten keine Rolle, die Frage, welche Folgen ein solchermaßen ausgerichtete Sozial- und Steuerpolitik für Familien (nicht nur für Frauen) habe, wurde nicht erwähnt, womöglich nicht einmal bedacht. Dass eine Steigerung der Erwerbsquote, also eine noch stärkere Ausrichtung der Lebensführung an Erwerbstätigkeit, immer zu Lasten des Familienlebens geht, ja überhaupt zu Lasten der zweckfreien Begegnung mit anderen, liegt auf der Hand. Der Tag (Wachzeit) hat nur etwa 12-18 Stunden, aus Kindersicht ist er kürzer. Wer davon 9-11 Stunden (Regelarbeitszeit, Pause, Pendelzeit) mit Erwerbstätigkeit verbringt, hat für das Familienleben kaum Zeit übrig, vor allem nicht dafür, gemeinsame Erfahrungen mit den Kindern zu machen (siehe auch hier und hier). Wer das Steuerrecht vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie sie in Erwerbstätigkeit gebracht werden können, weil dies zu Wertschöpfung beitrage und Altersarmut entgegenwirke, verliert das Leben aus den Augen. Was das langfristig bedeutet, lässt sich erahnen, denn die frühesten Erfahrungen bedingungsloser Solidarität machen Kinder dort, wo ihre Eltern verlässlich da sind. Das sind heute meist die Mütter, es können genauso die Väter sein, aber beide sind grundsätzlich nicht zu vergleichen mit der Dienstleistung von Erziehern in Betreuungseinrichtungen. Wenn aber genau diese Seite des Lebens, die Seite der bedingungslosen, zweckfreien Hinwendung derart hinter Erwerbstätigkeit zurückgestellt werden, dann muss man sich über die Folgen nicht wundern.

Das Ehegattensplitting wird heute schnell als rückständig betrachtet, als Relikt aus alten Zeiten abgestempelt. Es hat erhebliche Schwächen, weil es gar nicht für Familien gleichermaßen förderlich ist. Angesichts dessen, was die Experten in der makro-Sendung teilweise vorschlagen, verschafft es jedoch noch einen gewissen Schonraum. Wer ihn aufgeben will, bräuchte eine Alternative, die nicht-erwerbsförmige Tätigkeiten anerkennt, die es unterstützte, wenn Eltern zuhause bleiben. Da gibt es bessere steuertechnische Lösungen oder einfach, andere Wege zu beschreiten: am weitreichendsten wäre allerdings das Bedingungslose Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

Fehlende Sensibilität der Grundeinkommensbefürworter oder von Christoph Butterwegge?

In einem Vorab-Interview zum heutigen Feature im 3Sat-Magazin makro (einige Videos sind schon online) über das Bedingungslose Grundeinkommen äußert sich Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler an der Universität Köln, zur Diskussion um ein BGE.

Nicht überraschend ist seine Einschätzung, hat er sich doch in den letzten Jahren immer vehement gegen ein BGE ausgesprochen und dabei nicht mit Etikettierungen der Befürworter gespart. Im Interview auf 3Sat geht es zu Beginn über etwaige Folgen der Digitalisierung, die schwer abzuschätzen, aber auch nicht einfach abzutun sind. Butterwegge sagt:

„Immer dann, wenn es technologische Innovationen im Sinne einer Revolution gab, wurde behauptet, dass der Gesellschaft die Arbeit ausgehe. Das war nach Erfindung der Dampfmaschine, der Elektrizität, der Roboter und der Computer so, stimmte aber nie. Heute werden die Menschen mit Schlagworten wie „Industrie 4.0“ oder „Digitalisierung“ hinter die Fichte geführt, damit sie Angst vor dem Arbeitsplatzverlust bekommen und Reallohnverluste oder schlechtere Arbeitsbedingungen akzeptieren. Dabei fehlen im sozialen, im kulturellen, im Bildungs- und im Pflegebereich jede Menge Arbeitskräfte“.

Dass er sofort eine Täuschungsstrategie in der Debatte ausmacht, ohne ein sachhaltiges Argument dagegen vorzubringen, überrascht als Erstes. Denn mit den verfügbaren Daten zur Entwicklung des Arbeitsvolumens ist seine Einschätzung nicht zur Deckung zu bringen. Gerhard Schildt hat vor einigen Jahren schon darauf hingewiesen, dass das Arbeitsvolumen in Deutschland seit 1880 enorm gesunken ist. Ob es nicht noch viel stärker hätte sinken können bei gleichzeitigem Wertschöpfungszuwachs, ist unklar (siehe meinen Kommentar). Die Hysterisierung der öffentlichen Debatte, da wäre ihm zuzustimmen, erschwert eine sachliche Diskussion allerdings. Die Frage, was auf uns zukommt, herunterzuspielen, ist allerdings ebenso wenig angemessen. Überhaupt fällt auf, wie sehr, wenn es um Digitalisierung geht, immer die Sorge um Arbeitsplätze die Beschäftigung mit dem Thema dominiert. Alleine diesbezüglich könnte ein BGE schon für Gelassenheit sorgen, das erlaubte dann einen angemesseneren Umgang mit den Möglichkeiten durch Digitalisierung.

Butterwegge verweist auf das Fehlen von Arbeitskräften in bestimmten Bereichen, um die Diskussion über technologische Arbeitslosigkeit in eine andere Richtung zu biegen. Ist das eine triftige Antwort? Nein, solange es keine Zwangsverpflichtung zu Erwerbstätigkeit gibt, ist es praktisch immer möglich, dass Stellen unbesetzt bleiben. Die Beschränkung der Diskussion um das Arbeitsvolumen liegt vor allem darin, nur über Erwerbstätigkeit zu sprechen und den größeren Brocken an Leistungen, der in Haushalten erbracht wird, gar nicht zu erwähnen. Butterwegge erweist sich hier als Vertreter derer, die den größten Teil (unbezahlte Tätigkeiten) des gesamten Arbeitsvolumens (bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten) stets unter den Tisch fallen lassen (siehe auch die Erhebung des Statistischen Bundesamtes „Wie die Zeit vergeht“, insb. S. 7, den Datenreport 2016, S. 363. Dort wird auch erläurtert, was die statistischen Erhebungen überhaupt erheben). Was Butterwegge von der Auseinandersetzung mit unbezahlten Tätigkeiten und dabei dem größten Posten familialer Tätigkeiten hält, können Sie hier nachlesen.

Ein Rückfall hinter Erreichtes ist seine Haltung zur Frage, ob das Existenzminimum allen gewährt werden soll, die in einem Gemeinwesen leben oder nicht. Heute haben wir eine klare Haltung dazu, es soll allen gewährt werden. Butterwegge sieht das offenbar anders:

„…Was soll daran fair sein, wenn der Milliardär dieselbe Summe ausgezahlt bekommt wie der Müllwerker? Besteuert man es dem Milliardär wieder weg, ist das Grundeinkommen nicht bedingungslos, sondern an die Bedingung geknüpft, dass keine anderen Einkommensquellen vorhanden sind. Gleiches sollte gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden.“

Es zeichnet das Existenzminimum heute eben gerade aus, dass es in Absehung davon bereitgestellt wird (solange man nicht Arbeitslosengeld II oder vergleichbare Leistungen bezieht), über welches Einkommen man verfügt. In Gestalt des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer wird das heute auch für diejenigen vollzogen, die über Einkommen verfügen. Über die Höhe kann immer gestritten werden. Es würde, so zumindest ein häufiges Plädoyer in der Diskussion, über das BGE hinaus auch bedarfsgeprüfte Leistungen geben. Weshalb will Butterwegge etwas nicht fortführen, das wir heute schon praktizieren?

Sein Verständnis von Bedingungslosigkeit gibt Rätsel auf. Was meint er hier? Das BGE des Miliardärs soll doch gar nicht besteuert werden, allenfalls andere Einkommensarten sind dafür vorgesehen (je nach Vorschlag). Dass indirekte Steuern immer alle betreffen, ist ein ganz anderer Punkt und ändert an der Bedingungslosigkeit nichts. Denn sonst wäre ein BGE immer nur dann bedingungslos, wenn es keine indirekten Steuern gäbe. Das ist eine sehr spezielle Deutung der Bedingungslosigkeit.

Weiter sagt er:

„Wer mehr soziale Gerechtigkeit verwirklichen möchte, benötigt dafür einen starken Sozialstaat, der Hilfebedürftige, aber nicht Wohlhabende und Reiche finanziell unterstützt. Um zwischen beiden Gruppen differenzieren zu können, braucht man eine staatliche Bürokratie, die nach Bedarfsgerechtigkeit strebt. Würde ein Grundeinkommen verwirklicht, hätten die Neoliberalen ihr Hauptziel erreicht: den Sozialstaat zerschlagen und freie Bahn für den Markt geschaffen.“

Wer Bedarfsgerechtigkeit zum ausschließlichen Kriterium erhebt, muss die Folgen mittragen. Die sehen wir im heutigen Gefüge der Sozialgesetzgebung. Sicher könnte manches darin verändert, könnten Leistungen anders gestaltet werden, aber eines bliebe unverändert: der Vorrang von Erwerbstätigkeit vor allem anderen – dessen Komplementär ja die Bedarfsprüfung ist. Denn erst, wer nicht erwerbstätig sein kann, hat eben Anspruch auf diese Leistungen, ganz gleich in welchem Umfang sie bereitgestellt werden. Von einer „repressionsfreien Grund- oder Mindestsicherung“ zu sprechen ist da bloß eine kosmetische Formel vergleichbar der Umdeklarierung von Erwerbslosen zu Kunden der Arbeitsagentur. Ein Sozialstaat, der seinen Lebensquell in der Erwerbstätigkeit sieht, belohnt immer ein bestimmtes Handeln (bezahlte Arbeit) und bestraft ein anderes (unbezalte Arbeit), in dem keine oder nur unter bestimmten Bedingungen Ansprüche auf Versicherungs- bzw. Transferleistungen erworben werden.

Dann sagt Butterwegge:

„…Nein, nicht zufällig gehören namhafte Unternehmer und Spitzenmanager großer Konzerne wie der Telekom und der Post zu den Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens. Denkt man die Grundeinkommenslogik zu Ende, könnten schließlich alle übrigen Sozialleistungen abgeschafft und alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes gestrichen werden. Es gäbe womöglich keinen Schutz vor Kündigungen mehr, sondern bloß noch betriebliche Abfindungsregeln.“

Dass Butterwegge nur diese „Verfechter“ anführt, mag ideologisch begründet sein, das Spektrum der Befürworter ist ja viel breiter und diverser. Könnte, könnte – wenn es gewollt wäre. Aber wer befindet darüber? Wenn die Bürger tatsächlich damit einverstanden wären, dass „alle Sozialleistungen abgeschafft“ werden sollen, dann würde es wohl geschehen. Will Butterwegge sie vor sich selbst retten? Ein anmaßendes Unterfangen. Warum denkt Butterwegge nicht in die andere Richtung: Verhandlungsmacht, Option zum Nein-Sagen, nicht mehr erpressbar usw. – all das wären ebenfalls Folgen eines BGEs. Dazu müsste er aber in die Mündigkeit der Bürger, in die Bereitschaft und Veranwortung sich zu organisieren vertrauen und auch wenn diese nicht geschähe, es als demokratische Willensbildung gelten lassen können.

In der Tat müsste es Mindestlöhne nicht mehr geben, wenn die Existenzsicherung durch das BGE erreicht wäre, aber was wäre daran das Problem? In Kombination mit der Verhandlungsmacht können sehr wohl neuartige Rahmenbedingungen entstehen, die es erschweren, ein bestimmtes Lohnniveau zu unterschreiten. Wer aber nicht verhandeln will, würde eben nicht verhandeln, das BGE hätte er ja ohnehin. Dann kommt Butterwegge wieder mit dem Kombilohn-Vergleich, das BGE ist aber gerade kein Kombilohn.

Folgende Passage ist noch aufschlussreich:

makro: Einer der prominentesten Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens ist Götz Werner. Er fordert 1000 Euro für jeden. Könnte so ein fester monatlicher Betrag nicht vielen Leistungsempfängern Armut und Demütigung ersparen?
Butterwegge: Das bezweifle ich. Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriemarktkette, möchte sämtliche Steuerarten abschaffen, die Großunternehmer wie er zahlen müssen: die Reichensteuer, die Gewerbesteuer und die Körperschaftsteuer, die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaften. Refinanzieren möchte Werner das Grundeinkommen durch eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer, obwohl diese besonders kinderreiche Familien von Geringverdienern und Transferleistungsbeziehern hart trifft, weil sie praktisch ihr gesamtes Einkommen in den Alltagskonsum stecken müssen.“

Bezweifeln kann man Vieles, was ist das Argument gegen diese Möglichkeit, „Armut und Demütigung“ zu ersparen? Butterwegge richtet sich nur gegen den Vorschlag einer Konsumsteuer, die andere Steuerarten überflüssig machen soll laut Götz W. Werner. Das alleine rechtfertigt aber Butterwegges Zweifel nicht. Er hätte, wenn er ernsthaft aufgeschlossen wäre, genau so argumentieren können, dass dieses Ziel – „Armut und Demütigung“ zu ersparen – richtig sei, ein BGE entsprechend ausgestaltet sein müsste. Es geht Butterwegge aber gar nicht um eine Klärung dieser Frage, es ist ein Werturteil, das ihn leitet: es kann nicht sein, was nicht sein darf. Dass die heute anzutreffende Ungleichheit in den Einkommen auch mit der viel geringeren Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zu tun hat, kommt ihm gar nicht in den Sinn. Welchen Anteil die Idolatrie der Erwerbsarbeit daran hat, der jeder Arbeitsplatz besser als keiner ist, liegt auf der Hand. Ein klares Verständnis davon, was unser Gemeinwesen zusammenhält, eben nicht Erwerbsarbeit, fehlt weitgehend. Eine Konsumsteuer könnte dann mit entsprechend gestalteten Freibeträgen, die noch höher sind als das BGE, sinnvoll sein, wenn diese Ungleichheit durch die Verhandlungsmacht langfristig wieder relativ gerade gerückt wäre, das scheint ihn aber nicht zu interessieren.

Dann äußert er folgendes:

„Während ein Milliardär wie Götz Werner seiner Gattin den nächsten Brillantring auf den Bermudas oder den Bahamas ohne hohe Steuerlast kaufen könnte, würden Mittelschichtangehörige und Arme ihr Grundeinkommen selbst finanzieren, wenn sie im heimischen Kiez einkaufen gehen. Wie man sieht, bildet die Refinanzierung des Grundeinkommens seine Achillesferse, zumal es prominenten Befürwortern des Grundeinkommens an sozialer Sensibilität, Empathie und Solidarität mit den Unterprivilegierten fehlt.“

An Vorurteilen mangelt es ihm auch nicht, damit zeigt er dieselbe Haltung wie diejenigen, die über „Hartz-IV-Schmarotzer“ herziehen, nur andersherum. Mangelt es Butterwegge womöglich an „sozialer Sensibilität, Empathie und Solidarität“, wenn er die Stigmatisierungen, die der um Erwerbstätigkeit konstruierte Sozialstaat hervorbringt, einfach unter den Tisch fallen lässt?

Sascha Liebermann