Was verlangt das „Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung“?

In einem Interview mit Hubertus Heil in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Bezahlschranke), hier auf der Seite des BMAS, kommt der Bundesminister auf diese Frage zu sprechen und beantwortet sie zugleich.

„[FAZ] Eine andere Art Arbeitszeitverkürzung ist das Projekt „Bedingungsloses Grundeinkommen“. Könnte das den Menschen mehr Sicherheit geben, gerade jetzt in den Verwerfungen der Corona-Zeit?
[Heil] Ich halte nichts von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Dieser Begriff ist vor allem eine große Projektionsfläche: Geht es um eine Pauschalierung aller Sozialleistungen auf niedrigstem Niveau oder um ein Versprechen „2000 Euro für alle“? Das ist weder praxisnah noch vernünftig. Ich bin Anhänger einer menschenwürdigen Grundsicherung – genau das, was das Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung verlangt: Angemessene Hilfe für Menschen in Not. Zugleich muss Arbeit aber einen Unterschied machen – für Lohn und Einkommen wie für die soziale Absicherung. Und: Arbeit ist für die meisten Menschen mehr als nur Broterwerb, sie sichert gesellschaftliche Teilhabe. Ich konzentriere mich darauf, Arbeitsplätze zu sichern, die These vom Ende der Arbeit teile ich nicht.“

Wie ein BGE aussehen würde, darüber würde die politische Willensbildung entscheiden. Nun kann der Bundesminister grundsätzlich gegen ein BGE sein, aber der Popanz, den er hier aufbaut zwischen Pauschalierung und Übersteigerung dient offenbar der Diskreditierung der Diskussion. Es mag in seinen Augen nicht vernünftig sein, in denen anderer womöglich schon, darüber befinden Mehrheiten. Dann aber sagt er etwas, das haltlos ist. Das Grundgesetz gebietet nicht, dass der Sozialstaat nur „Hilfe für Menschen in Not“ anbieten müsse. Er muss das Existenzminimum sichern, wie, davon ist keine Rede. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen November gelangt zu dem Schluss, dass das Grundgesetz es nicht verbietet, sanktionsbewehrte Leistungen vorzuhalten, wie es heute der Fall ist. Das folgt aber keineswegs notwendig aus ihm. Eine „menschenwürdige Grundsicherung“, folgt man dem, was die Grundfesten der Demokratie und auch des Grundgesetzes ausmacht, würde eine „Grundsicherung“ gebieten, die keine Vorbehalte kennt und deren Zweck nicht die Rückkehr in den Arbeitsmarkt sein soll.

Wenn Arbeit einen Unterschied machen muss, wenn sie mehr als Broterwerb ist, dann wäre eine große Koalition mit Ministerpräsident Armin Laschet die konsequente Antwort, um ein BGE einzuführen. Doch überraschenderweise ziehen beide ja diesen Schluss gerade nicht, vielmehr wird deutlich, wie wenig es ihnen um Wertschöpfung geht, denn sie hat mit Arbeitsplätzen nicht zwingend zu tun. Wer von „Teilhabe“ an Arbeit spricht, hat den Leistungsgedanken schon aufgegeben, behandelt Erwerbsarbeit wie eine sozialpädagogische Beschäftigungsmaßnahme.

Siehe auch frühere Äußerungen des Bundesministers Heil hier.

Sascha Liebermann