Ein Bedingungsloses Grundeinkommen als Entmündigungsinstrument? Vermeintliche Entmündigung kritisieren, sie dann selbst praktizieren

Norbert Häring hat einen Beitrag zum „universellen Grundeinkommen“ verfasst, auf den ich gestern schon hinwies. Er greift hierbei offenbar auf die Übersetzung des in der internationalen Diskussion gebräuchlichen Begriffs „universal basic income“ zurück. In der deutschen Diskussion wird meist vom Bedingungslosen Grundeinkommen gesprochen. Wer sich ein wenig kundig macht, findet dazu auch Kriterien, die charakterisieren, wovon die Rede sein soll, so z. B. beim Basic Income Earth Network oder dem Netzwerk Grundeinkommen. Wir reden hierbei also über etwas, das relativ deutlich eingegrenzt werden kann, auch wenn das in der öffentlichen Diskussion nicht immer beachtet wird, so dort, wo der Begriff für vollkommen andere Vorschläge wie z. B. ein „Solidarisches Grundeinkommen“ gekapert oder auch einmal behauptet wird, Hartz IV sei ja so etwas wie ein Grundeinkommen.

Härings Beitrag „Das universelle Grundeinkommen: Der feuchte Traum des Weltwirtschaftsforums“ lässt schon vom Titel her aufhorchen, denn bislang ist das Weltwirtschaftsforum (WEF) nicht mit klaren Ausführungen dazu hervorgetreten, die mir bekannten Artikel benutzen in der Regel lediglich das Schlagwort oder lassen sogleich erkennen, dass es nicht ganz ernst gemeint ist mit der Bedingungslosigkeit. Was ist z. B. ein „modest minimum“, als das ein BGE in einem Artikel, auf den Häring verweist, beschrieben wird? Weshalb wird es in Verbindung gebracht zur Aufrechterhaltung von „incentives to have a job“? Schimmert hier beim WEF schon die Sparversion eines Grundeinkommens durch? Wenn das so schnell klar wird, Häring weist selbst auf Bezugsbedingungen hin, die ein von ihm zitierter Autor sich vorstellen kann, weshalb dann der irreführende Titel ohne weitere Differenzierung? Das WEF baut sich eben selbst eine Variante, muss sich dann aber sagen lassen, dass sie mit dem UBI oder BGE nach den genannten Kriterien schon nichts mehr zu tun hat. Damit könnte das Thema beendet sein.

Häring scheint es indes noch um etwas anderes zu gehen, er verknüpft die Unterstützung für ein Grundeinkommen mit Themen, die ihn schon länger beschäftigen, wie die Abschaffung des Bargeldes oder Massenüberwachung. Hängt denn das eine notwendig mit dem anderen zusammen? Auch lassen sich alle möglichen Szenarien durchspielen, wie dann – Häring zitiert Daniel Stelter – die Bedingungslosigkeit mit immer weiteren Bedingungen versehen wird. Sicher, jeder Vorschlag kann verwässert, verkehrt, unterlaufen werden, aber was hat das mit dem BGE zu tun?

Eine Organisation, deren Vorhaben zum Grundeinkommen, zitiert werden, ist GiveDirectly. Ihre Vorhaben sind unter denjenigen, die sich ernsthaft mit einem BGE befassen, durchaus kritisiert worden, aus verschiedenen Gründen, unter anderem auch, was es bedeutet, wenn ein solcher Versuch von einer amerikanischen Organisation in einem nicht-amerikanischen Land stattfindet. Wer wird da zum Versuchskaninchen gemacht? Häring lässt sich über die Höhe der Beträge aus, die in Kenia, eines der Projekte, fließen, erwähnt aber nicht, dass in dem Dorf, auf das sich der von ihm erwähnte Spiegel-Beitrag bezieht, das Durchschnittseinkommen unter 2 USD am Tag liegt. Das hätte immerhin die Relationen des Projekts deutlich werden lassen.

Dass Befürworter eines BGE im Silicon Valley der in den USA verbreiteten staatsaversen Vorstellung von Grundeinkommen anhängen, überrascht doch nicht. Häring erwähnt selbst, wie stark der libertäre Geist in den USA ist. Das rührt er dann in einen Topf mit solchen Überlegungen wie von Scott Santens, dass ein BGE (abhängig von der Betragshöhe in Kaufkraftverhältnissen) die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern bzw. die Situation von Selbständigen erheblich verbessern kann. Wäre das denn nicht so? Das allerdings ist nicht libertär, zumal Santens, wie Häring zitiert, eben nicht für die Abschaffung bedarfsgeprüfter Leistung ist, gleichwohl aber sieht, dass ein BGE ein Teil der Leistungen substituieren kann. Ja, einen Teil, was wäre daran das Problem? Dann schreibt er:

„Es gäbe keinen Grund mehr für die lästigen Abweichungen vom perfekten Arbeitsmarkt, wie Mindestlohn, Kündigungsschutz, Tarifverträge, Abfindungen, Diskriminierungsverbote. Denn das alte Argument, die Arbeitnehmer müssten schließlich von ihrer Arbeit leben können, fiele weg, wenn auch “leben” eher als “überleben” definiert wäre, denn als menschenwürdiges Leben mit sozialer Teilhabe.“

Folgt das aus einem BGE? Keineswegs, es sei denn, man wählt eine bestimmte Variante. Ist es nicht etwa gänzlich ohne BGE möglich gewesen, die Verschärfungen in den Sozialgesetzbüchern der letzten Jahre herbeizuführen? Haben die Tarifverträge nicht ganz ohne BGE an Bedeutung verloren?  Und wie war das möglich? Erklären lässt sich diese Entwicklung nicht, ohne das erhebliche Misstrauen in die Bereitschaft der Bürger, des Misstrauens auch der Bürger untereinander, etwas beitragen zu wollen. Der Geist von Hartz IV, um es einmal so zu formulieren, hat starken Rückhalt, sonst wäre es so weit nicht gekommen. Selbst Kritiker der Verschärfungen, die sich für die Aufhebung von Sanktionen aussprechen, wie z. B. Christoph Butterwegge, lassen doch auf Rückfrage erkennen, dass sie eine Erwerbsverpflichtung sehr wohl für richtig halten. Die lässt sich aber nicht ohne Sanktionsinstrumente durchsetzen. Wer dennoch eine Abschaffung von Sanktionen fordert, ohne die Erwerbsverpflichtung abschaffen zu wollen, hängt Illusionen nach. Wenn Häring dann schreibt:

„Genau diese Argumentation wird wieder geführt werden, wenn ein sehr kleines Grundeinkommen einmal in weiten Teilen der Welt durchgesetzt worden ist. Dann werden sich diejenigen in den Industrieländern, die für ein relativ hohes oder steigendes Grundeinkommen in ihren Ländern einsetzen, fragen lassen müssen, ob sie nicht lieber solidarisch mit denen in den armen Ländern sein wollen, die nur einen Bruchteil davon bekommen. Zuerst müsse man für ein höheres Grundeinkommen dort eintreten, sonst sei man Nationalist oder gar Rassist.“

Der letzte Satz ist übrigens in der gegenwärtigen Diskussion schon zu vernehmen und gar keine Zukunftsmusik – ja und? Man muss sich in Diskussionen ohnehin manches vorhalten lassen, das gehört eben dazu. Häring ist ganz zuzustimmen, dass für Verbesserungen der Lebensbedingungen, auch der Einkommen, gestritten werden muss, sie wird es nicht von selbst geben, doch ein BGE dafür verantwortlich zu machen, dass es solche Diskussionen dann nicht geben würde, wirkt doch so, als wolle er etwas loswerden, das er nicht haben will.

Mit Bezug auf einen Kritiker eines BGE auf der WEF-Website, Daron Acemoğlu, schreibt Häring:

„Acemoğlu ergänzt einen sehr wichtigen Punkt, um den die Möchtegern-Technokratenherrscher aus dem Silicon Valley einen großen Bogen machen. Solche politischen Maßnahmen werden demokratisch ausgehandelt und tragen dazu bei, dass die Leute sich für Politik engagieren. Ein universelles Grundeinkommen als eierlegende Wollmilchsau der Politik tut das Gegenteil: Es wird von ganz oben auf die unbeteiligten Menschen herabregnen gelassen und entmündigt sie.“

Wie kommen Acemoğlu (siehe unseren früheren Beitrag dazu hier) bzw. Häring darauf, dass dies beim BGE nicht der Fall sei? In einer Demokratie werden über den parlamentarischen Prozess alle „Maßnahmen“ stets ausgehandelt, das gilt für ein BGE gleichermaßen. Von „ganz oben“ regnet ohnehin nichts auf die Bürger herab, weil es dieses „oben“ auf legitimiert durch das „unten“ gibt. Insofern können natürlich Repräsentanten entmündigende Haltungen an den Tag legen, aber ist Acemoğlus These nicht selbst Ausdruck einer solchen Entmündigung? Weshalb sollten die Bürger, es sei denn, sie wollen das, auf Einmischung verzichten? Ist das weniger technokratisch gedacht als auf Seiten der Kritisierten aus dem Silicon Valley? Welche Vorstellung von Demokratie gibt sich hier zu erkennen?

Und weiter schreibt Häring Acemoğlu zitierend:

„Das universelle Grundeinkommen hat alle Merkmale von ‚Brot und Spiele‘, die das römische und das byzantinische Reich nutzten um Unzufriedenheit zu zerstreuen und die Massen ruhigzustellen, anstatt ihnen ökonomische Chancen und politische Mitsprache zu ermöglichen. Viele der heutigen sozialen Probleme hätten ihre Wurzeln in der Missachtung des demokratischen Prozesses. ‚Die Lösung ist nicht, genug Krümel zu verteilen, um die Leute daheim, abgelenkt und sonstwie befriedigt zu halten, sondern den demokratischen Prozess wiederzubeleben.‘

„Politische Mitsprache“ muss den Bürgern in unseren Breiten nicht „ermöglicht“ werden, die Bürger müssen sie ergreifen, denn die Möglichkeiten bestehen längst. Man kann manches daran kritisieren, wie die Möglichkeiten genutzt werden und welches Verständnis von Demokratie sich darin zum Ausdruck bringen mag; man kann zurecht Missstände kritisieren oder Entscheidungen, die man nicht teilt; aber daran zu zweifeln, dass es die Möglichkeiten gibt, ist doch ziemlich verwegen. Wenn die Bürger tatsächlich „Brot und Spiele“ wollen, werden sie sie auch erhalten, das ist ihr gutes Recht. Zu behaupten, ein BGE würde sie entmündigen oder ruhigstellen, behandelt Bürger wie Unmündige.

Sascha Liebermann