Ob denn die Bürger mündig genug sind?

Alleine schon, dass diese Frage gestellt wird, könnte einem zu denken geben. Sie taucht ja nicht nur auf, wenn es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen geht, sie gehört zu den Standardbedenken, wenn die Sprache auf direkte Demokratie kommt – in Deutschland, in der Schweiz nicht. Genau diese Frage stellte kürzlich ein Kollege aus der Wissenschaft in einer Diskussionsrunde über Bedingungsloses Grundeinkommen. Im Raum standen Bedenken, wie denn wohl mit den Freiräumen umgegangen würde, wenn ein BGE eingeführt wäre; ob denn wohl die Freiheit nur eine Freiheit dazu wäre, die meiste Zeit World of Warcraft zu spielen?

Besonders häufig wird dies dann in Verbindung mit pubertierenden Kindern gebracht, durchaus auch den eigenen, mit denen man sich ja manches Wortgefecht liefern müsse und die so gar nicht dem folgen wollen, was man selbst für ungeheuer bedeutend hält. Vielleicht käme man mit den eigenen Bedenken weiter, wenn man sich klar machte, in welcher Lebensphase Adoleszente sind, dass sie gerade ihren Platz in der Erwachsenenwelt zu finden suchen – Erwachsene, die es ihnen nicht gerade leicht machen durch den Erwartungsdruck, den sie ausüben. Man könnte sich ein wenig kundig machen, eventuell bei Einsichten aus Forschung über kindliche Entwicklung (vielleicht hier, hier oder hier).

Nachdem der Kollege in unserem Gespräch diese Bedenken geäußert hatte, meinte ich, das sei doch ein weitreichender Einwand. Müsste dieser Einwand ihn, also den Kollegen, nicht dazu führen, Artikel 20 (2) GG in Frage zu stellen, denn er bestimmt schließlich, dass alle „Staatsgewalt vom Volke ausgehe“ und das Volk seien die Staatsbürger. Mündigkeit ist das Fundament der Demokratie. Da stutzte er, der Gedanke war ihm offenbar fremd, wie er, meiner Erfahrung nach vielen fremd ist. Man kann doch nicht Mündigkeit unter Vorbehalt praktizieren, sie also so lange voraussetzen, wie Wohlverhalten erfolgt, und in Abrede stellen, wo keines vorliegt. Das ist letztlich pädagogisierende Entmündigung. Es gibt nicht ein bißchen Demokratie oder temporäre Demokratie für ausgewählte Mitglieder – es gibt sie nur ganz oder gar nicht.

Es nimmt also nicht Wunder, dass Vorbehalte gegenüber der Demokratie sich genauso gegenüber dem BGE zeigen. Dabei ist das Menschenbild des BGE nicht irgend ein ausgedachtes, sondern ein brute fact, eine Tatsache, und zwar eine Tatsache unserer politischen Ordnung. Wer das als ideologisch oder philosophisch abtut, muss sich fragen lassen, wie er zur Demokratie steht. Vielleicht doch besser abschaffen, zumindest einschränken, auf Arbeitswilligkeit gründen?

Sascha Liebermann