Unwillige Leser oder blinde Flecken der Argumentation? – Nachtrag zu „Garantierter Job oder garantiertes Einkommen?“

Der Beitrag hat zu einer Diskussion geführt, weil er Fragen aufwarf, auf die der Verfasser selbst antwortet – siehe hierzu den Thread auf Twitter. Die Leser scheinen den Verfasser nicht richtig verstanden zu haben, dass zumindest sieht er so, die Einwände gegen seinen Beitrag sind meines Erachtens berechtigt, siehe meinen gestrigen Kommentar hier. Der „Ausschnitt“, mit dem der Verfasser erklärt, weshalb nicht alles in dem Text verhandelt werden könne, erklärt keineswegs die dortigen Widersprüche und undifferenzierten Argumente gegen ein BGE.

Erkennen lässt der Text vielmehr unexplizierte Voraussetzungen und normative Setzungen, die nicht weiter reflektiert werden, z.B. bezüglich der Folgen von „Arbeitslosigkeit“. Dass es nicht an diesem Text liegt, zeigen auch andere Beiträge des Autors, so der im August veröffentlichte Beitrag auf der Website der Pufendorf-Gesellschaft, ein früherer Beitrag auf Jacobin argumentiert vergleichbar.

Zwei entscheidende Dinge werden nicht reflektiert: zum einen die Auswirkungen des normativen Vorrangs von Erwerbstätigkeit auf die Lebensführung samt aller Stigmatisierungseffekte bezüglich Nicht-Erwerbstätigkeit. Der Vorrang führt eben gerade erst zu bestimmten Problemen, die es ohne ihn nicht gäbe. Terminologische Begriffe wie „freiwillige Arbeitslosigkeit“ lassen erkennen, dass Tätigkeiten jenseits des Arbeitsmarktes nicht gleichwertig sind. Zum anderen wird vom Individuum und seinen Interessen und Neigungen abstrahiert, wenn von sinnvollen oder dem Gemeinwohl dienlichen Jobangeboten gesprochen wird. Ob sie für den Einzelnen sinnvoll sind, kann nur er selbst entscheiden. Und er kann anderer Auffassung sein, auch wenn die Gemeinschaft sie im Allgemeinen als sinnvoll erachtet. Insofern stellt sich insgesamt bei der JG die Frage, wie sie denn praktiziert werden soll, ohne Neigungen und Interessen des Einzelnen zu übergehen? Hat er denn die Möglichkeit, sanktionslos zu verzichten auf die Angebote oder bleibt es dann letztlich doch bei Sanktionen, mit denen sozialstaatliche Leistungen in der Regel verbunden sind und es auch vor der Agenda 2010 schon waren? Eine Antwort findet sich im Beitrag des Autors nicht.

Sascha Liebermann